SPD auf Rekordtief:Steinmeier: Letzte Hoffnung Rechenfehler

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Die SPD fährt in Umfragen Rekordtiefs ein - doch Kanzlerkandidat Steinmeier setzt unverdrossen auf die unentschiedenen Wähler. Experten können diese Hoffnung jedoch nur bedingt nähren. Kanzlerin Merkel lässt sich nicht auf die SPD-Themen ein.

Barbara Vorsamer

So düster hat es für die SPD in Umfragen noch nie ausgesehen. Bei nur noch 22 Prozent sieht das Institut Infratest Dimap die Sozialdemokraten, Emnid immerhin noch bei 24 Prozent. Forsa zählt sogar nur 21 Prozent potentielle SPD-Wähler.

Steinmeiers letzte Hoffnung: Vielleicht verzählen die sich. (Foto: Foto: Getty)

Da ist es schwer zu glauben, dass SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier so gelassen ist, wie er sich gibt: "Natürlich bin ich nicht zufrieden mit der Umfragesituation", sagt der Außenminister dem Nachrichtensender N24. Er schiele jedoch nicht jeden Morgen auf neue Umfragen.

Stattdessen hofft der Kandidat auf die große Gruppe der unentschlossenen Wähler. 60 Prozent hätten sich noch nicht entschieden, wem sie am 27. September ihre Stimme geben, behauptet Steinmeier. Und er sei zuversichtlich, dass es der SPD gelingen werde, viele dieser Wähler auf ihre Seite zu ziehen.

Doch jenseits solcher Beschwörungen ist klar ersichtlich: Die SPD kämpft darum, nicht das historisch schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl einzufahren. Der bisherige Tiefststand wurde 1953 mit 28,8 Prozent erreicht. Das sind immerhin einige Prozentpunkte mehr, als die Partei derzeit laut Umfragen bei den Wählern schafft.

Mit einem Ergebnis in diesen Regionen sind die Sozialdemokraten als Regierungsführer natürlich aus dem Rennen - nur für eine Rolle als Juniorpartner in einer Großen Koalition taugt ein Abschluss nach der Formel 30 Prozent minus X. Darum dürfte es in Wahrheit auch Steinmeier und dem SPD-Chef Franz Müntefering gehen. Das Duo hat sich darauf verständigt, gegen "Schwarz-Gelb" vorzugehen und eine solche Koalition als Schreckensgebilde für den Sozialstaat hinzustellen.

Bislang aber verfängt die Strategie nicht. Und auch die Rechenkünste der Spitzengenossen weisen Schwächen auf.

Jürgen Falter, Politikwissenschaftler und Wahlforscher an der Universität Mainz, hält Steinmeiers Zahl von 60 Prozent Unentschlossenen für übertrieben - und geht eher von einem Drittel bis maximal 40 Prozent unentschlossener Wähler aus. "Es ist allerdings verständlich, dass Steinmeier bei dieser Zahl möglichst hoch greift und versucht, den Eindruck zu erwecken, es gäbe noch viele latente SPD-Wähler", sagt er im Gespräch mit sueddeutsche.de.

Dass da noch Luft ist, wissen die Experten. "Die SPD hat noch Wählerreserven, die CDU nicht mehr", erklärt Manfred Güllner, Geschäftsführer des Umfrageinstitutes Forsa, auf Anfrage von sueddeutsche.de.

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering glaubt trotz der miesen Prognosen an einen erfolgreichen Wahlkampf für seine Partei. "Auch 2005 sind die Werte schlecht gewesen, doch bei der Wahl sah es ganz anders aus", sagt er. Müntefering verweist intern auf die Fragwürdigkeit von Umfragen. Jeder, der seine Parteipräferenz zu erkennen gibt, würde doch nicht gleichzeitig sagen, ob er zu 100 Prozent oder nur zu 51 Prozent von seiner Wahl überzeugt sei. Davon würde es aber abhängen, ob derjenige noch ansprechbar sei.

Tatsächlich: 2005 lag die SPD sechs Wochen vor der Wahl ebenfalls weit abgeschlagen hinter der Union. Deutschlandtrend sah damals CDU/CSU bei 48 Prozent, die SPD bei 29 Prozent. Am Wahltag dann lagen Sozialdemokraten und Union nur ein Prozent auseinander. Auf solch massive Verschiebungen in den letzten Wochen hoffen die Sozialdemokraten auch dieses Mal.

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Wahlforscher Falter erklärt, wieso die Umfragen oft so falsch liegen: "Die meisten Meinungsforscher teilen die Unentschlossenen in ihren Prognosen proportional auf die Parteien auf, in der Annahme, dass die Wahlabsichten dort genauso verteilt sind. Diese Annahme stimmt höchstwahrscheinlich nicht."

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Herauszufinden, zu welcher Partei die Unentschiedenen tendieren, ist zwar möglich - diesen Aufwand betreiben aber nur akademischen Studien. "Für die wöchentlichen Wahlprognosen wird das selten gemacht", sagt Falter. Steinmeier könne also auf eine nicht unerhebliche Menge latenter SPD-Anhänger hoffen. Doch auch die Union mit Angela Merkel, die immerhin einen "Kanzlerbonus" hat, könnte zum Zug kommen.

Doch um die Unentschlossenen zur Wahlurne zu bringen, müsste die SPD ihnen einen Grund zum Wählen liefern. "2002 und 2005 war das die Person von Gerhard Schröder", erklärt Güllner vom Forsa-Institut. In diesem Wahlkampf fehle ein solches Motiv. "Steinmeier schafft es nicht, die Wähler zu mobilisieren." Er bleibt ein guter zweiter Mann, der es als erster Mann versuchen muss. Den diplomatischen Habitus des Außenministers hat der Schröder-Vertraute jedenfalls noch nicht abgelegt.

Im vergangenen Wahlkampf hätten viele Wähler Vorbehalte gegen Angela Merkel gehabt, erklärt Güller weiter. Inzwischen jedoch habe sich die CDU-Chefin als Kanzlerin etabliert, die Bürger mögen sie und beurteilen ihre Leistung positiv.

So führt die Bundeskanzlerin unverändert die Liste der beliebtesten Politiker Deutschland an, 72 Prozent der Deutschen sind laut Deutschlandtrend mit ihrer Leistung zufrieden. Würde der Kanzler direkt gewählt, könnte sie mit 62 Prozent der Stimmen rechnen. Für Kanzlerkandidat Steinmeier hingegen würden nur 23 Prozent der Befragten stimmen.

Kein Wunder also, dass die SPD nun zu schärferen Mitteln greift. Generalsekretär Hubertus Heil greift die Kanzlerin persönlich an: "Frau Merkel ist, wie einige Finanzmarktprodukte, überbewertet", giftet er in der Neuen Presse aus Hannover. Die Genossen wollen Merkel stellen, den "Ball aufs Spielfeld" bringen, wie Müntefering erklärt. Doch die Kanzlerin entzieht sich den Attacken einfach und wirkt mit präsidialer Aura.

Den von Steinmeier so ehrgeizig aufgebrachten "Deutschland-Plan", der Vollbeschäftigung bis 2020 ermöglich will, hat sie kühl abmoderiert. Man könne nicht über etwas reden, was man nicht überschaut, so die Kanzlerin. Ende der Diskussion.

Über diese Strategie verzweifeln viele Sozialdemokraten. Da hilft es auch wenig, auf das Kandidatenduell zu hoffen, das 2005 das Wahlergebnis noch beeinflusst hat. Ein jovialer, rhetorisch starker Gerhard Schröder konnte damals mit Hilfe der TV-Diskussion immerhin 2,5 Millionen Wähler mobilisieren. Doch Steinmeier hat Schrödersche Stärken nicht erkennen lassen.

Unentschiedene Wähler lassen sich am stärksten sich von solchen Fernsehduellen beeinflussen - allerdings weniger von der Sendung selbst, die sie sich meist nicht anschauen, als von der nachfolgenden Diskussion in den Medien.

Dass das Merkel-Steinmeier-Duell einen ähnlich großen Effekt erzielen könnte wie das zwischen Schröder und Merkel nehmen die Experten jedoch nicht an. "Merkel müsste schon extrem schlecht sein und Steinmeier extrem gut, damit sich da etwas tut", sagt Güllner.

Wird die SPD also diesmal wirklich zur 20-Prozent-Partei? Das glaubt Wahlforscher Falter nicht: " Es können schon an die 30 Prozent werden." Die Lücke von 15 Prozentpunkten, die derzeit noch zwischen Schwarz und Rot klafft, noch zu schließen, traut er dem Kandidaten Steinmeier aber nicht zu.

Umfragen nicht überzubewerten, dazu rät auch die ungekrönte Königin der Statistik: "Mit mir brauchen Sie über Umfragen nicht zu reden", sagt die Bundeskanzlerin in Interviews. "Es zählen zum Schluss die Wählerstimmen."

Dass Angela Merkel die Umfragen nicht interessieren, ist genauso wenig zu glauben wie Frank-Walter Steinmeiers Gelassenheit. Doch richtig ist trotzdem: Am 27. September zählt das Wahlergebnis.

Gewonnen wird auf dem Platz, würde Müntefering sagen - und danach geduscht.

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