SPD-Vorsitzende Andrea Nahles:Ungewollt, aber wirksam

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Die SPD ist noch lange nicht dort, wo Nahles sie gerne hätte. (Foto: dpa)

Sie ist jetzt seit drei Monaten SPD-Vorsitzende. Und die Fraktion der "Die kann es nicht!"-Männer schreit fast jeden Tag. Doch Andrea Nahles war noch nie ein Liebling der Partei. Ihr geht es nicht so sehr darum, bei den eigenen Genossen beliebt zu sein.

Kommentar von Mike Szymanski, Berlin

Als Andrea Nahles sich beim Parteitag der SPD im April um den Vorsitz bewarb, stellte sie sich mit ihrem vollständigen Namen und ihrem Alter vor - gerade so, als sei sie eine große Unbekannte. Das ist natürlich Unsinn. Vor 30 Jahren ist die Frau aus der Eifel der SPD beigetreten. Sie hat sich hochgekämpft und spätestens in dem Moment ihre politische Unschuld verloren, als sie 2005 Parteichef Franz Müntefering mit ihrer Kandidatur zur Generalsekretärin zu Fall brachte. Nahles verkörpert zum einen wie kaum eine andere in der SPD das Aufstiegsversprechen, das die Partei ihren Anhängern gegeben hat. Zum anderen steht sie, mittlerweile, für die machtorientierte Führungselite der Partei, die die SPD dorthin geführt hat, wo Nahles sie am 22. April 2018 übernommen hat: auf einem Tiefpunkt. Wer eine Partei am Boden erleben wollte, konnte das an jenem Tag studieren, als Nahles mit 66 Prozent zur Chefin gewählt wurde.

Nahles, das war die Ungewollte. Drei Monate sind seither vergangen. Wer der SPD vorwirft, sie befinde sich auf dem verhassten Weiter-so-Kurs, sollte genauer hinschauen. Für die Arbeit in der Regierung mag der Vorwurf zutreffen. In der Partei ist mit Nahles als Chefin aber eine neue Zeit angebrochen. Ob Russland-Debatte oder Migrationspolitik - die SPD hat angefangen, wieder zu diskutieren, um dann allerdings auch zu gemeinsamen Positionen zu finden. Unter Sigmar Gabriel wurde gemacht, was Gabriel wollte. Parteibeschlüsse sind schon lange nicht mehr in so großer Eintracht mitgetragen worden wie in den vergangenen Monaten. Als sich die Union beinahe im Streit um die Asylpolitik zerlegte, überraschte die SPD damit, dass ihre Führungsleute nicht wie ein wilder Haufen auseinanderliefen. Das wäre früher anders gewesen.

Leserdiskussion
:Tut Nahles der SPD gut?

Mit Andrea Nahles an der Spitze hat die SPD wieder angefangen zu diskutieren. Die Vorsitzende verkörpert das Aufstiegsversprechen der Partei, sie hat sich hochgekämpft. Doch sie steht inzwischen auch für die machtorientierte Führungselite - und muss immer noch um Respekt kämpfen.

Dennoch bleibt die Regierungsbeteiligung für die SPD mehr Risiko als Chance. Um des Koalitionsfriedens willen baut die SPD in der Migrationspolitik an der Festung Europa mit. Das zeigte sich daran, dass sich die Sozialdemokraten von CSU-Chef Horst Seehofer Regelungsbedarf aufzwingen ließen, wo sie selbst keinen sahen. So hilft die SPD, die kleinste Lücke im Zaun zu schließen, der die große Idee von Europa verengt. Das Beispiel zeigt auch: Allein das Regieren, wie es sich die SPD als Mittel zur Regeneration vorgenommen hat, wird der SPD auf Dauer nicht helfen. Die SPD muss wieder mehr wollen.

Die Fraktion der "Die kann es nicht!"-Männer ist laut

Ist Nahles dafür die Richtige? Sie kann die rabiate Durchsetzungskraft eines Sigmar Gabriel entwickeln. Das hat sie gerade bei der Auflösung der Historischen Kommission der SPD bewiesen, die Nahles nicht veränderungswillig genug erschien, weil sie sich gegen Verjüngung sträubt. Nahles trägt andererseits den Selbstzweifel eines Martin Schulz in sich, Fehler zu machen, nicht stark genug für diese Partei zu sein. Ob das eine gute Mischung ist, muss sich zeigen. Als erste Frau an der Spitze muss Nahles kämpfen. Die Fraktion der "Die kann es nicht!"-Männer ist laut, angeführt wird sie von früheren Vorsitzenden wie Gabriel oder Gerhard Schröder und Exoten wie Heinz Buschkowsky. Sie meinen noch immer, alles besser zu wissen.

Die SPD ist noch lange nicht dort, wo Nahles sie gerne hätte. Der Lauf der Dinge hat ihr die Rolle der Vorsitzenden für den Übergang zugetragen. Nahles war nie ein Liebling der Partei. Es ist fraglich, ob sich das jemals ändern wird. Sie kämpft nicht um Zuneigung. Sie kämpft um Respekt.

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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