Der Weg zur Wahl von Friedrich Merz zum neuen Bundeskanzler ist frei. Die SPD wird in eine schwarz-rote Koalition mit der Union eintreten. Mit einer Zustimmung von 84,6 Prozent stimmten die Mitglieder dem mit CDU und CSU ausgehandelten Koalitionsvertrag und somit der Bildung einer gemeinsamen Regierung zu. „Ich bin mächtig stolz“, sagte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch am Mittwoch im Willy-Brandt-Haus. Das Ergebnis sei „eine große Rückendeckung von der Basis“. 2013 hatte es beim ersten Mitgliedervotum dieser Art eine Zustimmung von 75,96 Prozent gegeben, 2018 eine von 66,02 Prozent. 2021 hatte man darauf verzichtet, weil man mit Olaf Scholz selbst den Kanzler stellte.
Deutlich niedriger als bei den vergangenen beiden Abstimmungen fällt jedoch die Beteiligung der Mitglieder aus: 2013 hatten rund 78 Prozent der stimmberechtigten Genossen abgestimmt, 2018 waren es 78,4 Prozent. Dieses Mal nahmen lediglich 56 Prozent der SPD-Mitglieder an der Abstimmung teil. Im Willy-Brandt-Haus wurde darauf verwiesen, dass die Abstimmung in den Osterferien stattfand, zudem erstmals weitgehend digital. Allerdings bestand gerade für ältere Mitglieder auch die Möglichkeit, vor Ort abzustimmen.
Das SPD-Präsidiums sprach sich am Mittwochmorgen zudem einstimmig dafür aus, Parteichef Lars Klingbeil zum Vizekanzler und Bundesfinanzminister zu machen. „Als designierter Vizekanzler trägt er damit die Verantwortung, Frauen und Männer für das zukünftige Kabinett auszuwählen“, sagte Miersch. Das Präsidium habe ihn - ebenfalls einstimmig - mit dieser Aufgabe betraut. Klingbeil solle jetzt dafür sorgen, dass in der neuen Aufstellung „neue Gesichter tatsächlich erkennbar sind“, erklärte der SPD-Generalsekretär weiter, „so wie wir es auch der Basis versprochen haben“.
Einige Kompromisse im Koalitionsvertrag hatten deutliche Kritik ausgelöst
Klingbeil selbst hatte sich in den vergangenen zwei Wochen, in denen 358 322 stimmberechtigte Genossen über den Vertrag abstimmen konnten, im Hinblick auf das Ergebnis des Mitgliedervotums gelassen gegeben. „Ich bin mir sicher, dass die Mehrheit der Mitglieder zustimmen wird“, sagte er wenige Tage vor Ende des Votums in einem SZ-Interview.
Wer sich an der Basis umhörte, merkte jedoch schnell, wie sehr viele Mitglieder mit dem Koalitionsvertrag, vor allem aber mit einem Kanzler Merz hadern. Ebenso gab es Kritik an einigen Kompromissen im Vertrag, etwa den strengeren Regelungen zur Migration mit der Möglichkeit zu direkten Abweisungen von Asylsuchenden an den Grenzen oder der nicht durchgesetzten stärkeren Besteuerung von hohen Vermögen und Erbschaften. Zudem ist nicht sicher, ob es schon von 2026 an zu einer Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro kommen wird. Beim linken Flügel ist außerdem die geplante Abwicklung des Bürgergeldes, zurück in Richtung des früheren Hartz IV, stark umstritten.
Auf Informationsveranstaltungen versuchten die Spitzen von Partei, Fraktion und Ländern alles, um die Genossen von einer Zustimmung zu überzeugen. Sie betonten immer wieder auch die Bedeutung des geplanten Sondervermögens für die Infrastruktur von 500 Milliarden Euro. Doch von vielen Mitgliedern hieß es, wenn man zustimmen werde, dann nicht aus Überzeugung, sondern aus einem Pflicht- und Verantwortungsgefühl heraus, Deutschland wieder zu einer stabilen Regierung zu verhelfen. Zumal vielen sich die Frage der Alternativen stellte. Eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen mit einer noch stärkeren AfD? Dann doch lieber mitregieren.
Zumal zur Wahrheit gehört, dass die SPD bei der Bundestagswahl mit 16,4 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren hat. Viele Mitglieder befürchten, in einer Koalition mit der Union in den Umfragen eher noch weiter zu sinken. Die Parteiführung hingegen sieht sie als Chance, sich in der Regierung neu zu beweisen – und machte bis zuletzt Werbung dafür. „Der Koalitionsvertrag ersetzt nicht die Aufarbeitung des Wahlergebnisses oder die notwendige inhaltliche und personelle Erneuerung der Partei“, heißt es in einer Whatsapp-Nachricht, die die Partei kurz vor Ablauf des Mitgliedervotums verschickte. Der Vertrag enthalte jedoch viele konkrete Vorhaben, die das Leben der Menschen spürbar verbesserten. „Aber nur, wenn die SPD auch die Umsetzung verantwortet.“
Auf ein paar Ministerposten könnte es Überraschungen geben
Mit dem positiven Mitgliedervotum steht nun einer Wahl von CDU-Chef Friedrich Merz zum Bundeskanzler am kommenden Dienstag nichts mehr im Weg. Die Parteigremien von CDU und CSU hatten den Koalitionsvertrag zuvor bereits gebilligt; ein Mitgliedervotum wie bei der SPD gab es bei ihnen nicht.
Dafür haben Merz und CSU-Chef Markus Söder bereits ihre Aufstellungen für das Bundeskabinett präsentiert. Die SPD will ihr Personaltableau erst am 5. Mai vorlegen, also dem Tag vor der Wahl von Merz zum Bundeskanzler. Als sicher gilt, dass Parteichef Lars Klingbeil Vizekanzler und Finanzminister wird, zudem wird Boris Pistorius wohl seine Arbeit als Verteidigungsminister fortsetzen. Bei allen anderen Posten – die SPD stellt darüber hinaus die Minister für Arbeit und Soziales, Bauen und Wohnen, Justiz, Umwelt und Entwicklung – könnte es Überraschungen geben, hieß es.
Fraglich ist vor allem, wie es mit Co-Parteichefin Saskia Esken weitergeht, ob auch sie einen Ministerposten, zum Beispiel für Entwicklung bekommen soll. Es gibt aktuell erhebliche Vorbehalte ihr gegenüber in allen Bereichen der Partei. Zuletzt hatte sich sogar der Generalsekretär ihres eigenen Landesverbands Baden-Württemberg gegen sie gestellt. Er gebe Saskia Esken recht, dass vier der sieben Kabinettsposten an Frauen gehen sollten, sagte Sascha Binder dem Südkurier und der Badischen Zeitung. „Aber dann geht es danach, wer sind die vier Besten? Und darunter sehe ich Saskia Esken nicht.“
Unterstützung für Esken gab es hingegen vor allem von den Jusos und der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen. Sie beklagten den Umgang mit Esken, die seit 2019 Teil der Parteispitze ist. Aber von führenden Genossen kam kaum Unterstützung. Esken werden besonders öffentliche Auftritte zur Last gelegt, die der Partei immer wieder schaden würden. Zugleich war sie mit ihrer Vernetzung im linken Flügel auch immer wieder ein Garant für die innerparteiliche Geschlossenheit. Klingbeil versucht gemäß seinem Politikstil durch gemeinsame Gespräche Lösungen zu suchen, aber zuletzt wurde ihm vorgeworfen, die Sache zu sehr laufen zu lassen.
Sollte sich am Ende der Eindruck durchsetzen, Esken sei zum Verzicht auf ein Ministeramt gedrängt worden, könnte das aber zu einer Belastung für die Partei werden. Nach dem Motto: Die Frau wird zum Rückzug gedrängt, während der Mann seine Macht weiter ausbaut. Sollte Esken kein Ministeramt bekommen, stellt sich die Frage, ob sie aber zumindest als Parteivorsitzende erneut kandidieren will. Der Bundesparteitag wurde vom Dezember auf Ende Juni vorgezogen. Sollte Esken nicht mehr antreten, wird unter anderem die bisherige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas als neuer Teil der Doppelspitze mit Klingbeil gehandelt.