Süddeutsche Zeitung

Sparkassen-Skandale:Wie die Sparkassen Vertrauen verspielen

Sparkassen haben zahlreiche Privilegien und sind eng mit der Politik verbandelt. Noch genießen sie politischen Schutz. Doch die kleinen Skandale richten erheblichen Schaden an: Denn sie zerstören das Vertrauen der Bevölkerung, ihr höchstes Gut.

Ein Kommentar von Marc Beise

Ein Dorf, drei Häuser, eine Sparkasse: Das war mal Deutschland. Heute noch findet man mitunter auf dem Land diese Kombination, und auch in größeren Orten ist das Geldhaus meist nicht zu übersehen: Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist es das hässlichste Gebäude in der Stadtmitte, der in Beton gegossene Gegenentwurf zu jeder anspruchsvollen Ästhetik. Raumumgreifende Mittelmäßigkeit, meilenweit entfernt von den gegen Himmel strebenden gläsernen Kulttempeln des Geldes in Frankfurt, der "Bankenmetropole".

Zweimal Finanzwirtschaft. Dort wird auf Marmor gebaut, hier auf Auslegeware das Kleingeld eingesammelt. Dort sind die Master of the Universe nur einen Mausklick von den Gurus an der Wall Street entfernt, hier will das Mütterchen am Schalter bedient werden. Kapitalismus und Provinzialismus, Jahrzehnte lang lebten öffentlich-rechtliche Institute und Privatbanken neben- und sich auseinander. Die einen vorgeblich auf dem absteigenden Ast sitzend, die anderen auf dem aufsteigenden.

Bedenkenlose Gier hinter Hochhausfasaden

Bis zu jenem denkwürdigen Herbst 2008, als eine Glitzerbank im fernen New York namens Lehman Brothers - gegründet vor 160 Jahren ausgerechnet von deutschen Auswanderern - das Spiel mit den immer größeren Summen nicht mehr beherrschte und die Welt in eine Finanzkrise stürzte.

Seither weiß man, dass hinter den Hochhausfassaden bedenkenlose Gier und manchmal nackte Dummheit zu Hause waren, und dass im Flachbau auf dem Land zwar ein wenig miefig, aber im Großen und Ganzen redlich gewirtschaftet wurde. Plötzlich war sie deshalb attraktiv, die gute alte Sparkasse, bei der das Geschäftsmodell im Namen steckt und deren Insignien das Sparbuch sind und der Weltspartag: sparen statt spekulieren.

Es hätte wieder so schön sein können - wenn nicht hier und da und leider zu häufig unschöne Dinge bekannt werden würden. Erstens haben natürlich auch einige Sparkassen ein großes Rad drehen wollen und durch leichtfertige Beratung manchen treuen Kunden um sein Erspartes gebracht. Von den Landesbanken ganz zu schweigen, von denen die Sparkassen gerne vergessen machen möchten, dass sie ihnen (mit-)gehören und die Milliarden von Euro versenkt haben, für die maßgeblich der Steuerzahler aufkommen muss.

Sparkassen gehören uns allen

Zweitens blüht in der Provinz der Filz, und das ist durchaus systembedingt. Die Sparkasse ist eine öffentlich-rechtliche Veranstaltung mit eingebautem PolitikGen, sie ist, vor 250 Jahren, gegründet worden um des Gemeinnutzes wegen. Die Bezirkssparkasse Salem in Baden-Württemberg sollte als "Ordentliche Waisenkassa" verhindern, dass Waisengelder zweckentfremdet werden, und alsbald erfand die Stadtgemeinde Göttingen die Gewährträgerhaftung: Die Gemeinde, der Staat, haftet für die Verbindlichkeiten der Sparkasse, und sie kann das guten Gewissens tun: Hier ist ja jemand fürs Allgemeinwohl zuständig.

Private Banken sind ihren Aktionären verpflichtet, Volks- und Raiffeisenbanken ihren Genossen, die Sparkassen gehören niemandem, also allen. Dann aber wollen die Repräsentanten dieses Staates auch mitmachen. Ein erheblicher Teil der Sparkassen-Verwaltungsräte ist traditionell mit Politikern besetzt, viele Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte sitzen im Kontrollgremium der örtlichen Sparkasse - und sie leben nicht schlecht davon, häufig mit fünfstelliger Aufwandsentschädigung im Jahr.

Sparkassen haben zahlreiche Privilegien und sind eng mit der Politik verbandelt. Kreditentscheidungen bei einer Sparkasse werden bei Bedarf nach politischen Kriterien getroffen. Wer aber aus voller Überzeugung Standortpolitik betreibt, bei dem verschieben sich leicht die Maßstäbe, der steckt rasch tief im Sponsoring, zu dem dann auch jene üppig unterstützten Partys für Politprominenz, die nun in Bayern Thema sind, gehören.

Nicht so schlimm, könnte man sagen. Was sind schon 80 000 Euro für die Feierlichkeiten zum 60.Geburtstag eines Landrats, was sind schon diese 20 000 und jene 120 000 Euro im Vergleich zu den Milliarden Euro und Dollar, die Großbanken verzockten oder veruntreuten? Gerne wird die Sause dann als Kundenveranstaltung gerechtfertigt mit Vertretern aus Wirtschaft und Politik, wo man Ministerpräsident und Kardinal zusammenbringt und auch sonst allerlei Wichtige zum Wohle der Region - was ist das anderes als Vetternwirtschaft?

Vertrauen bleibt das höchste Gut

Die Leichen im Keller der Sparkassen sind einerseits preiswert, und andererseits noch viel schlimmer als die im Keller der Großen: Denn sie zerstören Vertrauen - auf das die Sparkassen mehr angewiesen sind als die Großbanken. Mag der Ruf der Deutschen Bank auch ruiniert sein, so macht sie immer noch einen Milliardenumsatz, weil die Gestalter der großen und ganz großen Geschäfte an ihr nicht vorbeikommen oder das nicht wollen. Für die 422 Sparkassen mit ihren Millionen Bürger-Kunden ist und bleibt Vertrauen das höchste Gut.

Noch überwiegt die freundliche Sicht der Dinge. Die S-Familie ist wichtig in diesem Land. Sie stellt Finanzinfrastruktur dort sicher, wo andere sich zurückgezogen haben. Mehr als 15 000 Filialen, beinahe 250 000 Mitarbeiter, rund 20 000 Auszubildende - das garantiert politische Vorzugsbehandlung.

Auch wenn hier auf europäischen Druck einiges liberalisiert worden ist, haben die Sparkassen immer noch viele Vorteile. Wenn sie die behalten wollen (und seit der Finanzkrise sind selbst Kritiker wieder mehr geneigt, sie ihnen zuzugestehen), dann müssen die Sparkassen ihre Strukturen verändern. Dann brauchen sie offenere Prozesse, rigide Richtlinien, mehr Kontrolle und vor allem einen moralischen Kompass im Sinne dessen, was der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler, der selbst mal oberster Sparkassenfunktionär war, an die Adressen der Großbanker gesagt hat: "Es gibt Dinge, die tut man nicht."

Den Sparkassen droht ein Schicksal wie dem ADAC

Wenn die Sparkassen nicht aufpassen, wenn sie sich nicht bescheiden und sauber wirtschaften, wenn sie nicht den Filz mit der Politik ausräumen, dann geht es ihnen irgendwann so wie dem ADAC. Dann ist das Vertrauen der Bürger weg und die politische Protektion. Dann bleibt ein verblasster Mythos.

Noch ist die Truppe eine der mächtigsten im ganzen Land. Wenn der Sparkassen-Präsident ruft, dann kommt die Kanzlerin Angela Merkel, und nicht deshalb, weil Georg Fahrenschon mal ein führender CSU-Politiker war. Für die Chefs der Deutschen Bank, die alle paar Tage den nächsten Skandal gestehen müssen, ist die Tür zur Kanzlerin derzeit zu in Berlin. Dass sie für die Sparkassen offen bleibt, dafür ist am Ende jeder einzelne Vorstand im Land mitverantwortlich.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1901772
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.03.2014/uga
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.