Sparen mit Schwarz-Gelb:Die Netto-Lüge

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Vor der Wahl lag Union und FDP die Mittelschicht am Herzen. Die Koalition wollte, dass sie viel weniger Steuern zahlt. Daraus wird das Gegenteil: Gerade die Mittelschicht wird geschröpft. Irgendwer muss ja den Haushalt sanieren.

Thorsten Denkler, Berlin

Es war der Wahlkampfschlager von Union und FDP im vergangenen Herbst. "Mehr Netto vom Brutto" haben sie im ganzen Land plakatiert. Eine erkleckliche Mehrheit hat das geglaubt, hat ihr Kreuz bei CDU, CSU oder FDP gemacht.

Von wegen Entlastung für die Mittelschicht: Unterm Strich sorgt die Bundesregierung gerade dafür, dass die Menschen in vielen Fällen weniger Netto vom Brutto haben. (Foto: dpa)

Schon im Bundestagswahlkampf war klar, dass die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise so schnell ausgestanden ist, dass das Geld fehlen würde, um wie versprochen die Mittelschicht zu entlasten. Union und FDP haben den Wählern so ihre Stimmen abgejagt, ohne auch nur eine Ahnung zu haben, wie sie ihre Netto-Versprechen halten sollen.

Da war auch gar nichts zu halten, wie sich herausstellt. Heute ist klar: Das Ganze war eine dreiste Netto-Lüge. Unterm Strich nämlich sorgt die Bundesregierung gerade dafür, dass die Menschen nicht nur nicht mehr, sondern in vielen Fällen sogar weniger Netto vom Brutto haben.

Ursprünglich sollte die Mittelschicht um 35 Milliarden Euro entlastet werden. So hat es die FDP vor der Wahl versprochen. Davon ist nichts übrig geblieben. Die Mittelschicht, die doch den Koalitionären so sehr am Herzen liegt, sie wird gemolken, um die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Größter Coup: Die Regierung will den Beitragssatz zur Krankenversicherung von 14,9 auf 15,5 Prozent anheben, um damit einen Teil des Elf-Milliarden-Euro-Lochs im Gesundheitssystem zu stopfen.

Gleichzeitig werden alle künftigen Kostensteigerungen im Gesundheitssystem über Zusatzbeiträge auf die Versicherten abgewälzt. Das schlägt voll auf die Mittelschicht durch, weil sie sich bis zu einem Jahreseinkommen von 45.000 Euro gesetzlich krankenversichern muss.

Die hat dadurch fast durchgehend deutlich weniger Netto vom Brutto. Bei 3000 Euro Brutto im Monat fehlen schon wegen des erhöhten Krankenkassenbeitrages 108 Euro im Jahr. Die Zusatzbeiträge von geschätzt 200 Euro im Jahr nicht mitgerechnet.

Hinzu kommt das angebliche Sparpaket der Bundesregierung. Statt dem Namen Ehre zu machen, werden in weiten Teilen einfach die Einnahmen erhöht.

Der Wirtschaftsweise Wolfgang Wiegard wirft der Bundesregierung Vertuschung vor. (Foto: ddp)

Das beginnt etwa bei der Luftverkehrsabgabe. Aus ökologischer Sicht könnte das ein durchaus sinnvolles Steuerungselement sein, um Flüge mit hohem Kohlendioxidausstoß zu vermeiden. Aber die Regierung nutzt das als Vorwand, um wenigstens eine Milliarde Euro jährlich in die Kassen zu bekommen. Geld, das am Ende die Flugkunden bezahlen müssen, oder eben nicht, weil sich die Mittelschicht die verteuerten Flüge womöglich nicht mehr wird leisten können.

Ähnlich verhält es sich mit der Brennelemente-Steuer für Betreiber von Atomkraftwerken. Wiederum ökologisch sinnvoll, 2,3 Milliarden soll sie bringen. Wieder aber werden die Zeche letztlich die Stromkunden zu zahlen haben. Bedanken werden sich auch die Beschäftigten in energieintensiven Unternehmen. Die haben bisher von einem reduzierten Ökosteuersatz profitiert. Ausgerechnet Union und FDP, einst die erbittertsten Gegner der rot-grünen Ökosteuer, wollen diese Ausnahme aufheben. Was sie damals Abzocke nannten, nennen sie heute sparen.

Von den Wahlversprechen der Koalitionsparteien umgarnt fühlen dürften sich auch Eltern und Hartz-IV-Empfänger, die in großen Teilen Union oder FDP gewählt haben. Das Schonvermögen für Hartzer ist tatsächlich erhöht werden. Klingt toll, hat nur leider mit aktuellen Hartz-IV-Empfängern nichts zu tun und betrifft auch nur einen Bruchteil aller Antragsteller. Stattdessen kürzt ihnen Schwarz-Gelb nicht nur den Heizkostenzuschuss, sondern auch gleich das Elterngeld. Macht zusammen 500 Millionen Euro.

Auch für arbeitende Eltern wird es nichts mit "mehr Netto vom Brutto". Ihr Elterngeld wird um 200 Millionen Euro gekürzt. Hinzu kommen natürlich noch höhere Krankenversicherungsbeiträge, höhere Steuern und so fort.

Wolfgang Wiegard, Wirtschaftsweiser im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, wirft der Bundesregierung gar Vertuschung vor. Das Sparpaket bestehe zu einem Drittel aus Steuererhöhungen, "im nächsten Jahr sogar aus mehr als 40 Prozent", sagte er der Passauer Neuen Presse.

Da wundert es nicht, dass der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, von der "größten Netto-Lüge in der Geschichte der Bundesrepublik" spricht. Interessant ist da eher die Replik von FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Der wolle sich nicht von einer Partei, die erst eine Mehrwertsteuererhöhung ausgeschlossen und diese dann nach der Wahl 2005 um drei Prozentpunkte erhöht habe, einer "Stilkritik" unterziehen lassen.

Doch zum einen regiert Lindner jetzt mit jener Union das Land, die die Mehrwertsteuererhöhung damals mitbeschlossen hat - und rückgängig gemacht hat sie nach der Bundestagswahl 2009 auch keiner. Und zum anderen würde das ja bedeuten: Weil die große Koalition 2005 die Wähler betrogen hat, darf Schwarz-Gelb das jetzt auch.

Immerhin, in der großen Koalition hat nach der Mehrwertsteuererhöhung niemand mehr versprochen, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen. Schwarz-Gelb ist da anders. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle und seine FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger rennen immer noch durchs Land und rufen: "Steuern senken! Mittelschicht entlasten!"

Es ist nicht bekannt, wann auch sie merken, dass da längst nichts mehr geht.

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