Süddeutsche Zeitung

Spannungen zwischen Nord- und Südkorea:Krieg der Worte

Nach dem Beschuss aus Nordkorea ist der Süden nicht auf Rache aus - ein Krieg würde seinen Wohlstand gefährden. Stattdessen sucht Seoul wieder eine engere Bindung an die USA.

Christoph Neidhardt

Nordkorea zündelt wieder, so aggressiv wie seit Jahrzehnten nicht mehr - doch die meisten Südkoreaner reagieren gelassen. Die Hauptstadt Seoul pulsierte am Dienstag weiter, als wäre nichts geschehen. Südkoreas Regierung bezeichnete die Attacke auf die Insel Yeonpyeong als "gezielte militärische Provokation" und als eine Verletzung des Waffenstillstands-Abkommens aus dem Jahr 1953. Das Verteidigungsministerium setzte Südkoreas Armee in Alarmbereitschaft und drohte mit "schwerer Vergeltung", falls Pjöngjang den Angriff wiederhole. Die Bürger allerdings ließen sich durch die scharfe Wortwahl ihrer Politiker nicht verunsichern.

Der Norden hat den von den USA und den UN festgelegten Verlauf der Seegrenze im Gelben Meer nie anerkannt. Die Grenze führt entlang der Küste Nordkoreas. Die sieben Quadratkilometer große Insel Yeonpyeong liegt zwölf Kilometer vom Festland des Nordens entfernt. Südkorea führt hier regelmäßig Militärmanöver mit US-Beteiligung durch, so auch seit Montag wieder. Pjöngjang hatte in einem Brief protestiert, es wirft Südkorea vor, den Angriff provoziert zu haben. Am Abend drohte Pjöngjang sogar mit weiteren Schlägen.

Die Bewohner der Insel konnten nicht fassen, dass ausgerechnet sie in den Brennpunkt des Konflikts geraten sind. Viele flüchteten in Luftschutzräume, als die ersten Granaten niedergingen. Andere ließen alles stehen und liegen, um eine der letzten Fähren zum Festland zu erreichen. Auf einigen Hügeln der Insel lösten die Explosionen Waldbrände aus. Auch mehrere Häuser gerieten in Brand.

Südkorea hat viel über sich ergehen lassen in den vergangenen Jahrzehnten: mehrere Terroranschläge, so 1987 gegen ein südkoreanisches Verkehrsflugzeug, Mordkomplotte gegen seine Präsidenten, einen tödlichen Anschlag gegen seine Regierung, als diese 1983 auf Staatsbesuch in Birma weilte, Entführungen von Südkoreanern und immer wieder neue Scharmützel auf dem Gelben Meer. Niemals antwortete man mit Gegengewalt. Auch als das Patrouillenboot Cheonan im März offenbar von Nordkorea versenkt worden war, rächte sich der Süden nicht. Südkorea will eine militärische Eskalation auf jeden Fall vermeiden.

Das Gegenteil von Wohlwollen

Jede bewaffnete Auseinandersetzung mit dem Norden würde den Wohlstand und die internationale Stellung gefährden, die Südkorea sich mit seinem wirtschaftlichen Aufstieg erarbeitet hat. Außerdem ginge selbst ein siegreicher Blitzkrieg gegen den Norden nicht ohne Zerstörung Seouls ab. Die Hauptstadt liegt nur 40 Kilometer südlich der innerkoreanischen Grenze und damit in Reichweite der Artillerie des Nordens.

Er wisse nicht, was hinter der Attacke des Nordens stecke, sagte Wiedervereinigungsminister Park Young Ho am Dienstagabend. Er deute den Angriff als Versuch, die Parteien der Region wieder an einen Tisch zu zwingen. Choi Kang vom Institut für Außenpolitik und Strategie in Seoul sieht das ähnlich. Pjöngjang habe Seoul auch schon die Feststimmung nach dem erfolgreichen G-20-Gipfel verderben wollen, so Choi. Zudem habe der Norden im Spätsommer die Entspannung gesucht, sei in Seoul aber nicht auf das erhoffte Wohlwollen gestoßen.

Auf den Straßen von Seoul erreichte Nordkorea mit dem Angriff nun das Gegenteil von Wohlwollen. Der frühere Präsident Roh Moo Hyun ist 2002 auf einer Welle des Antiamerikanismus gewählt worden. Damals wollte die Mehrheit der Wähler die in Südkorea stationierten US-Truppen rasch nach Hause schicken. Nach den Atomversuchen und Raketentests des Nordens, den Scharmützeln im Gelben Meer mit der Versenkung der Cheonan und dem Angriff vom Dienstag sind diese Stimmen verstummt.

Ein südkoreanischer Parlamentarier warf sogar die Frage auf, ob die USA ihre Atomwaffen, die sie vor 19 Jahren abgezogen hatten, wieder auf der Halbinsel stationieren sollten. Sowohl Washington als auch Seoul wiesen dies am Dienstag allerdings zurück. Südkoreas Regierung kümmert sich derweil bereits um die Kollateralschäden. Eine für Mittwoch einberufene Expertensitzung soll erörtern, wie der Angriff des Nordens die Wirtschaft Südkoreas belasten könnte.

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SZ vom 24.11.2010/jab
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