Süddeutsche Zeitung

Spannung vor Karlsruher ESM-Entscheidung:Kläger zweifeln an vollem Erfolg

Die Kläger fürchten eine Entmachtung des Bundestags und sprechen von einem "kalten Putsch gegen das Grundgesetz": Das Bundesverfassungsgericht urteilt heute darüber, ob der Euro-Rettungsschirm ESM und der Fiskalpakt auch von Deutschland ratifiziert werden dürfen. Die Gegner der Hilfspakete wollen, dass Karlsruhe sie stoppt - einige haben jedoch wenig Hoffnung.

Die Karlsruher Richter entscheiden heute über Eilanträge gegen die am 29. Juni vom Bundestag beschlossenen Zustimmungsgesetze zum dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM und auch zum Fiskalpakt, der den Euro-Staaten eine strengere Haushaltsdisziplin auferlegt. Die Kläger, unter ihnen auch der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler und die Linke im Bundestag, halten die eingegangenen Haftungsrisiken für nicht verantwortbar.

Der Verein "Mehr Demokratie" vermutet, das Bundesverfassungsgericht werde die Verträge nicht als verfassungswidrig einstufen, aber "einige völkerrechtliche Vorbehalte" äußern, sagte der geschäftsführende Vorstand des Vereins, Roman Huber. Es sei "praktisch unmöglich, dass ein Gericht mit acht Menschen den Fiskalvertrag stoppt, obwohl Bundestag und Bundesrat jeweils mit Zweidrittelmehrheit zugestimmt haben". Dennoch bezeichnet Huber die Klage gegen den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM schon vor der Urteilsverkündung als Erfolg. Wenn nicht so viele Menschen dagegen geklagt hätten, "wäre der Vertrag ja schon längst in Kraft", sagte er.

Ähnlich äußerte sich Katja Kipping, die Vorsitzende der Linkspartei. Sie lobte den Widerstand gegen die Verträge als "Gewinn für die Demokratie". Ungeachtet des zu erwartenden Urteils sei die Klage ein Erfolg, weil sie von 37.000 Bürgern getragen werde, sagte die Politikerin im ARD-Morgenmagazin. Das sei die größte Unterstützung, die jemals eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erfahren habe.

Die Linke hofft allerdings darauf, dass Karlsruhe den ESM und den europäischen Fiskalpakt zumindest teilweise stoppt. "Das ist ein kalter Putsch gegen das Grundgesetz, und das darf so nicht durchgehen", sagte die stellvertretende Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht kurz vor dem Karlsruher Urteil. Der ESM sei "der Einstieg in die Bankschulden-Union Europa, in der die Steuerzahler permanent für die Verluste der Finanzmafia zahlen".

Die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) warnte unmittelbar vor der Entscheidung noch einmal eindringlich vor einem Machtverlust des Bundestages. Die durch sie vertretenen Kläger sorgten sich, dass "die Gestaltungs- und Kontrollrechte des von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Bundestags auf die EU-Kommission und die EZB übergehen", sagte sie der Neuen Osnabrücker Zeitung. Diese Rechte seien zentral für die parlamentarische Demokratie.

Die Prozessbevollmächtigte des klagenden Vereins "Mehr Demokratie" betonte, die Bürger müssten abstimmen können, bevor das Recht über die Verwendung von Steuergeldern an diese EU-Gremien übertragen werde. Das habe das Bundesverfassungsgericht in früheren Urteilen auch so gesehen. "Wir erwarten schon, dass Karlsruhe bei der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung bleibt", sagte Däubler-Gmelin

Der Bundesregierung warf sie Heuchelei vor. "Die Bundeskanzlerin ist jetzt plötzlich nicht mehr dagegen, dass Deutschland unbeschränkt zur Haftung herangezogen werden kann, obwohl sie früher immer dagegen gewettert hat", sagte die SPD-Politikerin.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) warnte hingegen davor, die demokratische Legitimation der Entscheidung für den ESM in Zweifel zu ziehen. Er kritisierte die Vorstellung, Demokratie gebe es nur bei einer direkten Beteiligung der Bürger. "Wenn ein Parlament mitwirkt, ist auch die Bevölkerung beteiligt", sagte Schulz der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. "Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, parlamentarische Entscheidung als nicht demokratisch legitimiert hinzustellen."

Schulz erwartet positive Entscheidung

Bundestag und Bundesrat hätten beim ESM mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt. Schulz sagte, ein großes Demokratiedefizit bestehe darin, dass das Europa-Parlament "teilweise systematisch an den Rand gedrängt" worden sei. Eine Bankenunion dürfe nicht am Europäischen Parlament vorbei auf die Beine gestellt werden. Die Arbeit der bisherigen Bankenaufsicht in London und die Tätigkeit der EZB müsse so kombiniert werden, dass das Parlament mit am Tisch sitze.

Schulz erwartet nach eigenen Worten eine positive Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat sei eine deutliche Zwei-Drittel-Mehrheit für die entsprechenden Verträge zustande gekommen, sagte er der Augsburger Allgemeinen. Dies müsse die Messlatte des Bundesverfassungsgerichtes sein.

Auch EU-Kommissar Günther Oettinger zeigte sich zuversichtlich: "Ich baue darauf, dass die Rechtsgrundlagen des ESM mit dem Grundgesetz vereinbar sind", sagte Oettinger im ARD-Morgenmagazin.

Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter (CDU) schloss in der Rheinischen Post aus, dass die Haftung für den deutschen Steuerzahler beim ESM noch höher als bislang bekannt ausfällt. "Die Haftung Deutschlands ist ganz klar auf 190 Milliarden Euro begrenzt", versicherte Kampeter. Im Fall eines positiven Votums aus Karlsruhe könne der ESM schnell mit der Arbeit beginnen: "Wenn Deutschland den Vertrag ratifiziert hat, können die Gremien des ESM rasch ihre Arbeit aufnehmen. Der ESM ist innerhalb weniger Wochen funktionsfähig."

Deutschland hat als einziges Euro-Land den ESM-Vertrag noch nicht ratifiziert. Ohne die Beteiligung des größten Mitgliedsstaats konnte der Rettungsschirm bisher nicht in Kraft treten.

Nach Ansicht des Chefvolkswirts des Versicherungskonzerns Allianz, Michael Heise, wird sich ein Ja des Bundesverfassungsgerichts zum ESM positiv auf den Markt für Staatsanleihen auswirken. "Die Zinsen, die hoch verschuldete Staaten zahlen müssen, werden voraussichtlich leicht sinken", sagte Heise der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der ESM werde helfen, hoch verschuldete Staaten zu stabilisieren. Ein Nein der Verfassungsrichter wäre seiner Ansicht nach gefährlich. "Die Kritiker des ESM bieten keine Alternative", kritisierte Heise.

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