Spaniens Regierungschef Sánchez:Anrüchiger Saubermann

Lesezeit: 2 min

Stürzt Pedro Sánchez über seine Doktorarbeit, dürfte das auch in der EU neue Unsicherheiten schaffen. (Foto: REUTERS)

Pedro Sánchez steht im Verdacht, seinen Doktortitel erschwindelt zu haben. Die Affäre könnte ihn das Amt kosten - und Spanien in eine weitere Phase der Instabilität stürzen.

Kommentar von Thomas Urban, Madrid

Vor drei Monaten wurde Pedro Sánchez als Hoffnungsträger der europäischen Sozialdemokraten gefeiert. Er hatte Hartnäckigkeit und taktisches Geschick bewiesen, als er ein breites Bündnis zusammenbrachte, um den konservativen Premier Mariano Rajoy zu stürzen. In seiner Antrittsrede versprach er eine "moralische Erneuerung" der spanischen Politik, er verwies auf die zahlreichen Korruptionsskandale und die Affären um erschwindelte Magistertitel bei den Konservativen.

Diese haben seit der Verdrängung von der Macht nach Schwachstellen im Werdegang von Sánchez gesucht - und fanden: seine Dissertation in Volkswirtschaft an einer jungen privaten Universität. Die Arbeit wurde durch ein Programm zur Aufdeckung von Plagiaten überprüft. Das Ergebnis: Etwa ein Fünftel des Textes hat der Autor ohne Quellenangabe abgekupfert. Der überwiegende Rest, befanden angesehene Wissenschaftler, ist inhaltlich so dünn und formal so mangelhaft, dass keine renommierte Universität das Machwerk angenommen hätte.

SZ PlusSpanien
:Zu 21 Prozent verdächtig

Das könnte ihn den Job kosten: Der sozialistische Premierminister Pedro Sánchez soll bei seiner Doktorarbeit getrickst haben.

Von Thomas Urban

Es kam noch schlimmer für den selbsternannten moralischen Erneuerer: Seinen Doktortitel hat er offenbar einer Seilschaft aus Prüfern zu verdanken, die der von ihm geführten Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) nahestehen. Dies aber, Postenvergabe durch Seilschaften und nicht nach Leistung, hatte Sánchez als Oppositionsführer oft den Konservativen vorgeworfen. Um sich als Saubermann zu profilieren, hat er erst in der vergangenen Woche seine Gesundheitsministerin wegen eines offensichtlich erschwindelten Mastertitels entlassen.

Die neue Affäre bedroht seine Regierung. Die PSOE verfügt nur über 84 der 350 Sitze im Parlament zu Madrid. Sánchez hatte zwar eine knappe Mehrheit für den Sturz Rajoys zusammengebracht, aber keine für seinen eigenen Haushaltsentwurf. Nun ist er noch weiter geschwächt, sein Los hängt ab von Abgeordneten der baskischen und katalanischen Regionalparteien. Längst wird in Madrid gewettet, wann er den Regierungspalast Moncloa wieder verlassen muss.

Premier Sánchez droht über eine Titel-Affäre zu stürzen. Für Europa wäre das schlecht

Aus den anderen europäischen Hauptstädten schaut man besorgt nach Madrid. Spanien hat nach einem harten Sanierungsprogramm die Wirtschaftskrise unter Kontrolle bekommen. Sánchez vollzog zudem eine spektakuläre Wende in der Flüchtlingspolitik: Zunächst hatte er den Rückbau der Grenzanlagen um die spanischen Exlaven in Nordafrika Ceuta und Melilla angekündigt - und bei den Nachbarn große Sorgen ausgelöst, weil die beiden Städte nun das Ziel Zehntausender junger afrikanischer Migranten wurden, die Sánchez Ankündigung als Einladung nach Europa verstanden.

Doch wenig später ließ er die Abschottung der Städte sogar verstärken. Von Brüssel bis Berlin beruhigte man sich wieder. Überdies wird dort Sánchez als überzeugter Proeuropäer geschätzt, der die Brüsseler Institutionen bestenfalls verbessern möchte, aber keinesfalls auf Konfrontationskurs gehen dürfte.

Nun könnte er darüber stolpern, dass er vor wenigen Jahren das getan hat, was viele andere spanische Politiker taten: ein wenig manipulieren, nicht vorhandene Kompetenzen vortäuschen. Sollte Sánchez über seine dürftige Dissertation stürzen, so dürfte dies für Spanien eine weitere Phase politischer Instabilität bedeuten. Für die EU wäre dies nicht gut.

© SZ vom 19.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Migration
:Gefühlte Wahrheiten bei der Einwanderung

In ganz Europa überschätzen die Bürger die Zahl der Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten. Eine Studie zeigt: Wer eher rechts ist, neigt dazu, den Ausländeranteil zu überschätzen.

Von Andrea Bachstein

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: