Spaniens Regierungschef Rajoy:Vom angefeindeten Sparpolitiker zum starken Mann

Spain's Prime Minister Mariano Rajoy arrives at parliamentary session for the formal approbation of the budget for 2013 at Parliament in Madrid

Distinguierte Zurückhaltung: Mariano Rajoys Erfolgskonzept.

(Foto: REUTERS)

Sein Start als spanischer Ministerpräsident war schlecht: Die Wirtschaft schrumpfte, Hunderttausende zogen gegen die Sparpolitik seiner Regierung auf die Straße. Doch nach zwölf Monaten im Amt steht der Konservative Mariano Rajoy in Madrid unangefochten da - und das nicht nur wegen der Schwäche seiner Gegner.

Von Thomas Urban, Madrid

Dass Mariano Rajoy besonders beliebt bei seinen Landsleuten sei, behaupten nicht einmal die Pressesprecher der in Madrid regierenden Volkspartei (PP). Laut den Umfragen liegt die Popularitätsrate des konservativen Ministerpräsidenten bei ungefähr einem Drittel.

Doch Sorgen macht man sich in der PP deshalb nicht. Denn seine wichtigsten innenpolitischen Rivalen stehen noch viel schlechter da. Der sozialistische Oppositionsführer Alfredo Pérez Rubalcaba kommt nicht einmal über die 20-Prozent-Marke.

Und Artur Mas, dem christdemokratischen Chef der Regionalregierung in Barcelona, der die staatliche Souveränität Kataloniens verlangt, wünscht die überwältigende Mehrheit der Spanier alles Unglück dieser Erde, weil er die Einheit der Nation zerstören wolle.

Zum letztjährigen Weihnachtsfest hat Rajoy die Nachfolge von José Luis Zapatero angetreten, dessen Sozialisten die Parlamentswahl wegen ihrer Ratlosigkeit in der Wirtschaftskrise krachend verloren hatten. Rajoy hatte sich im Wahlkampf sehr bedeckt gehalten, auf welche Weise er denn die Krise bekämpfen wolle. Als er aber nach wenigen Wochen im Amt ein rigides Sparprogramm ankündigte, waren die links und liberal eingestellten Medien aufgebracht, das Wort "Wahlbetrug" tauchte in den Kommentaren auf.

Im Sommer schien alles aus dem Ruder zu laufen

So hatte Rajoy einen schlechten Start. Es half ihm anfangs wenig, dass seine Minister auf das riesige Haushaltsdefizit von etwa neun Prozent hinwiesen, das abgebaut werden müsse, damit Spanien nicht die internationale Kreditwürdigkeit verliere.

Die Kommentatoren der internationalen Wirtschaftspresse beschrieben ihn als Kapitän eines leckgeschlagenen Schiffes, das unaufhaltsam in den Strudel der Staatspleite hineingezogen werde. Die Wirtschaftsleistung schrumpfte, während die Arbeitslosigkeit auf den Rekordwert von 25 Prozent stieg. Das Land galt nun als Sorgenkind Nummer eins in der EU.

Als im Sommer Hunderttausende in den Großstädten gegen das Sparpaket protestierten, schien Rajoy alles aus dem Ruder zu laufen. Die Gewerkschaften kündigten einen "heißen Herbst" mit Generalstreik an, der ihn aus dem Amt treiben sollte. Seine Antwort hörte sich hilflos an: "Die schweigende Mehrheit der Spanier sieht keine Alternative zu unserem Sparkurs."

Für diesen Satz erntete Rajoy angesichts der Massendemonstrationen Hohn und Spott. Doch nun, am Ende seines ersten Regierungsjahres, spricht alles dafür, dass er mit seiner Einschätzung der "schweigenden Mehrheit" durchaus richtig lag. Die Protestbewegung ist ermattet und gespalten, der Generalstreik am 14. November war eine Schlappe für die Gewerkschaften, weil er den meisten ziemlich egal war.

Wie der zurückhaltende Rajoy punktete

Trotz des unpopulären Sparprogramms hat Rajoys PP bei den Regionalwahlen in Galicien überraschend souverän gesiegt, in Katalonien hat sie leicht dazugewonnen und sich im Baskenland gehalten. In der ratlosen Opposition und den Medien wird analysiert, wie es zum Stimmungsumschwung zugunsten Rajoys gekommen ist.

Der wichtigste Grund: Das Horrorszenario ist nicht eingetreten. Überdies werden die Sozialisten (PSOE) als größte Oppositionspartei nicht nur mit dem Absturz der vergangenen Jahre in Verbindung gebracht, sondern haben auch kein Alternativkonzept für einen Ausweg aus der Krise vorgelegt. PSOE-Chef Rubalcaba gilt bestenfalls als Fuchs, aber kaum als souveräner Führer.

Zwar ist Rajoy für die außerparlamentarische Opposition eine Hassfigur. Doch schaden ihm deren Angriffe in den Augen der Mehrheit seiner Landsleute wenig. Denen geht es um Stabilität. Seine persönliche Linie, die er nach den ersten unsicheren Monaten gefunden hat, entspricht offenkundig diesen Bedürfnissen.

Er ist so ganz anders als seine beiden lauten Vorgänger, der Konservative José Maria Aznar und der Sozialist José Luis Zapatero. Aznar wurde von seinen Gegnern nicht ohne Grund als eitler Gockel gezeichnet; er schaffte es sogar, seinen politischen Freund George W. Bush während eines Staatsbesuchs in Madrid zur Hochzeit seiner Tochter zu lotsen, deren Termin eigens so gelegt worden war. Vor allem aber führte Aznars Wirtschaftspolitik zu der Immobilienblase, deren Platzen 2008 das Land abstürzen ließ.

Rajoy vermeidet nun möglichst, gemeinsam mit Aznar aufzutreten. Und Zapatero, den gefallenen Visionär und Volkstribun, erwähnt er einfach nicht. Er ist nicht der Versuchung erlegen, die großen Probleme seiner Regierung der Schuldenpolitik des Vorgängers anzulasten.

Treppauf oder treppab - wohin geht's?

Stattdessen spricht Rajoy über die Krise immer in Wir-Form: "Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt! Wir müssen gemeinsam Opfer bringen!" Der Jurist wirkt wie der oberste Rechnungsprüfer der Nation, wie in der Volkshochschule führt er Zahlenbeispiele an. Er spricht eine klare Sprache ohne emotionale Bilder. Auch hebt er nie die Stimme, wirkt stets kontrolliert. Wenn er einmal ausnahmsweise polemisch ist, dann gegen die Separatisten im Baskenland und in Katalonien - und das kommt allemal gut an bei seinen Landsleuten.

Bei seinen Auftritten verkörpert der hochgewachsene Rajoy die zurückgenommene Distinguiertheit, durch die sich die Spanier nach ihrem Selbstbild von allen anderen Mittelmeervölkern unterscheiden. Er trägt sehr elegante Anzüge und ist ein exzellenter Rhetoriker. Geschickt überlässt er die Verkündigung neuer Sparmaßnahmen seinen Ministern und bleibt bis zum Abklingen der ersten öffentlichen Empörung den Kameras fern.

Rajoy gilt als typischer Galicier. Diesem ist die Wichtigtuerei der Madrileños ebenso fremd wie die Prunk- und Verschwendungssucht der Valencianos. Obwohl seine Partei immer wieder von Korruptionsskandalen betroffen ist, unterstellen ihm nicht einmal seine ärgsten Gegner, an persönlicher Bereicherung interessiert zu sein.

Als prägende Charakterzüge der Menschen aus der Nordwestecke Spaniens mit dem rauen Atlantikklima gelten ihre unterkühlte Nüchternheit und misstrauische Verschlossenheit. So wird ihnen nachgesagt, dass sie nie ihre Absichten zu erkennen geben. "Wenn du einem Galicier auf der Treppe begegnest, weißt du nicht, ob er rauf- oder runtergeht", sagen die Spanier von der Mittelmeerküste.

So hat es Rajoy geschafft, nach zwölf Monaten im Amt als der starke Mann in Madrid dazustehen. Es war zwar für Spanien kein gutes Jahr, doch ist der Absturz der Wirtschaft nahezu gestoppt. Rajoy sagt: "Wir müssen uns weiter anstrengen!"

Linktipp: Der Sozialist José Luis Zapatero hat sich nach seiner Abwahl vor einem Jahr nicht nur aus der Politik, sondern auch aus dem öffentlichen Leben weitgehend zurückgezogen. Was er heute macht und wie er über seine Zeit als Ministerpräsident denkt, sagte er nun der spanischen Zeitschrift El Pais, hier nachzulesen auf Englisch.

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