Süddeutsche Zeitung

Spanien:Wie Sánchez mit einem neuen Image die Wahl gewinnen will

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Von Thomas Urban, Madrid

Pedro Sánchez hat offensichtlich viel dazugelernt, seitdem er vor zehn Monaten an die Spitze der spanischen Regierung trat. So hat er kräftig an seinem Auftreten gefeilt. Präsentierte er sich anfangs gern als Regierungschef in Jeans und Turnschuhen, so hat er nun für sich das Gravitätische entdeckt, wie es sich für einen angehenden Staatsmann gehört. Sogar ein Bild, wie er im Frack bei einem Empfang im Königspalast neben Felipe VI. die Honneurs abnimmt, wurde absichtsvoll in Umlauf gebracht. An gediegener Ausstrahlung hatte es ihm gefehlt, seine Berater haben erkannt, dass dies entscheidend sein könnte bei den Parlamentswahlen an diesem Sonntag, vor denen er in Umfragen führt.

Mit seinem neuen Image als seriöser und stets dialogbereiter Politiker hat der Chef der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) nun ein Alleinstellungsmerkmal. Die Spitzenkandidaten der vier anderen großen Parteien fallen demgegenüber ab: Der Konservative Pablo Casado und der Liberale Albert Rivera, beide Enddreißiger, wirken wie adrette Musterschüler, die zwar aufgeregte Reden halten, denen die große Mehrheit aber wohl kaum die Geschicke des Landes anvertrauen möchte. Der Neomarxist Pablo Iglesias, Chef der Linksalternativen von Podemos, trägt Pferdeschwanz und Holzfällerhemden, Santiago Abascal, raubeiniger Führer der nationalpopulistischen Gruppierung Vox, wettert gegen das "volksferne Establishment" und zeigt sich gern im Helm der Conquistadoren, um sein Versprechen, "Spanien wieder groß zu machen", zu bekräftigen.

Zum Startvorteil von Sánchez gehört, dass er sich als hartnäckiger Kämpfer profilieren konnte, der schwere Schläge wegstecken kann und in der nächsten Runde siegt. Vor knapp fünf Jahren war er fast aus dem Nichts der PSOE als Hoffnungsträger erschienen. In den Umfragen befand sich die Partei im freien Fall, die Mehrheit der Wähler gab ihr, keineswegs ohne Grund, die Hauptschuld an der schweren Wirtschaftskrise. Sánchez setzte sich 2014 beim Mitgliederentscheid über die Parteiführung überraschend durch.

Mit seinem alten Peugeot war er durchs Land gefahren und hatte bei den Ortsvereinen in der Provinz für sich geworben. Sofort wurde der 1,90 Meter große Hobbysportler zum Liebling vieler Medien. Die Boulevardpresse bescheinigte ihm, er sehe aus wie ein Hollywoodstar der Fünfzigerjahre, schon hatte er seinen Beinamen "Pedro der Hübsche" (el guapo) weg, der allerdings nicht nur positiv gemeint war. Dann begann für ihn eine Zeit der Rückschläge: Die PSOE verlor bei allen Wahlen unter seiner Führung weiter an Stimmen, im Wahlkampf zeigte er sich als Rüpel, der vor Beleidigungen seiner Gegner nicht zurückschreckte. Zweimal scheiterte er im Parlament mit seiner Kandidatur für das Amt des Regierungschefs. Er wurde als Parteichef gestürzt, kämpfte sich aber an die Parteispitze zurück.

Dann änderte er seinen Stil, wurde verbindlich, suchte das Gespräch mit anderen Parteiführern. Mit Erfolg: Im vorigen Frühjahr brachte er im Parlament eine Mehrheit für den Sturz des konservativen Premiers Mariano Rajoy zusammen. So wurde er Regierungschef, fand aber keine Mehrheit für seine Haushaltsentwürfe, deshalb nun die vorgezogene Parlamentswahl.

In der Migrationspolitik hat er eine Wende vollzogen

Viel hat er in diesen zehn Monaten versprochen: eine Aufstockung der sozialen Leistungen, die Umbettung der Gebeine des Diktators Franco, einen Weg zur Lösung der Katalonienkrise, eine Willkommenskultur für die Migranten aus Afrika. Den Geldsegen für die unterprivilegierten Gruppen versuchte er per Dekret durchzusetzen, was die Opposition unterbinden will. Das Franco-Projekt blockieren die Nachkommen des Generalissimus. Der Dialog mit Barcelona stockt. In seiner Migrationspolitik hat er mit Blick auf die Wähler der bürgerlichen Mitte sogar eine Wende vollzogen: Ganze Gruppen von Afrikanern wurden ohne Asylverfahren aus den Exklaven Ceuta und Melilla abgeschoben, die dortigen Grenzzäune werden keineswegs, wie angekündigt, zurückgebaut.

Die Förderung von Frauen sowie der Kampf gegen die Diskriminierung ethnischer und sexueller Minderheiten gehört zum Kernprogramm Sánchez'. Sein Kabinett zählt elf Frauen und nur sechs Männer. Doch er weiß, dass er mit gesellschaftspolitischen Reformen allein die Wahlen nicht gewinnen kann, er weiß, dass er den Erfolg des harten Sanierungsprogramms, mit dem Rajoy das Land aus der Krise geführt hat, nicht aufs Spiel setzen darf. So gelobte er, die Vorgaben der EU für den spanischen Haushalt einzuhalten. Er bezeichnet sich als "begeisterten Proeuropäer", in jungen Jahren hat er als Assistent einer Europa-Abgeordneten Erfahrung in Brüssel gesammelt. Heute punktet er im Ausland mit gutem Englisch und Französisch.

Gefahr droht der PSOE von anderer Seite: Wie in den meisten EU-Ländern hat sich auch bei Spaniens Sozialdemokraten die traditionelle Anhängerschaft weitgehend aufgelöst. Die Partei wird nicht mehr von Gewerkschaftern dominiert, sondern von Verwaltungsjuristen, Lehrern und Hochschuldozenten. Zur letzten Gruppe gehört Sánchez selbst. Immerhin eine Sorge ist er los: Die Kontroverse um seine Doktorarbeit, in der offenbar zahlreiche Passagen Plagiate enthalten, ist verstummt. Den Grund sehen Kommentatoren in einem Geheimabkommen mit dem konservativen Spitzenmann Casado, der mit seinem Magistertitel ähnliche Probleme hatte - eine Art akademischer Nichtangriffspakt.

Geblieben ist ein anderes Problem: Die Regionalwahlen in der einstigen PSOE-Hochburg Andalusien haben gezeigt, dass sich Vox mit Erfolg als Partei der "kleinen Leute" präsentiert. Dagegen hat Sánchez noch kein Rezept gefunden. Zwar sagen Umfragen nun einen klaren PSOE-Sieg voraus, aber es wird nicht für eine linke Mehrheit im Parlament reichen. Sánchez wäre also wieder auf die Abgeordneten aus dem Baskenland und Katalonien angewiesen, die an einer starken Zentralregierung nicht interessiert sind. Es ist also möglich, dass die Unruhe im Königreich Spanien nach den Wahlen weitergeht.

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SZ vom 25.04.2019
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