Süddeutsche Zeitung

Spanien:Vier Wahlen in vier Jahren

Lesezeit: 2 min

Die Regierungsbildung ist gescheitert: Ohne Mehrheit im Parlament steht das Land vor der nächsten Abstimmung.

Von Thomas Urban, Madrid

In einer emotionsgeladenen Debatte haben sich die Führer der großen Parteien im spanischen Parlament zu Madrid am Mittwoch gegenseitig die Schuld gegeben, dass erneut eine Regierungsbildung gescheitert ist und aller Wahrscheinlichkeit nach im November erneut vorgezogene Wahlen stattfinden. Es sind die vierten Parlamentswahlen innerhalb von vier Jahren. Theoretisch besteht noch eine Chance, den Urnengang zu vermeiden: Die Frist zur Bildung einer Regierung nach den jüngsten Wahlen in diesem April läuft erst am Wochenende ab. Doch zeichnete sich nicht ab, dass es unter den Fraktionen noch zu einer Einigung kommt. Deshalb hat König Felipe VI. dem geschäftsführenden Premier Pedro Sánchez, der die traditionsreiche Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) führt, am Dienstagabend erklärt, dass er keinen Auftrag zur Regierungsbildung vergeben werde.

Sánchez hatte im Mai 2018 als Oppositionsführer den konservativen Premierminister Mariano Rajoy per Misstrauensvotum gestürzt. Seitdem regiert er mit einem Minderheitskabinett. Da im Februar sein Haushaltsgesetz keine Mehrheit im Parlament fand, mussten vorgezogene Wahlen für April ausgeschrieben werden. Die PSOE siegte mit 28,7 Prozent der Stimmen deutlich vor der konservativen Volkspartei (PP), die fast die Hälfte ihrer Wähler verlor und auf 16,7 Prozent abstürzte. Diese Niederlage war Folge der großen Korruptionsprozesse, in denen eine Gruppe von PP-Politikern zu langen Haftstrafen verurteilt worden war. Auch das Misstrauensvotum gegen Rajoy hatte Sánchez mit der in der PP epidemischen Korruption begründet.

Ein hartes Urteil gegen die katalanischen Separatisten könnte ihre Wähler mobilisieren

Allerdings gelang es Sánchez nach seinem Wahlsieg im April nicht, eine Mehrheit für die Duldung seines zweiten Minderheitskabinetts zusammenzubringen. Zwar verhandelte er zunächst mit dem Chef des linksalternativen Bündnisses Podemos Unidas, Pablo Iglesias, doch hätten einer Koalition aus beiden Gruppierungen im Parlament immer noch elf Stimmen bis zur Mehrheit gefehlt: Zusammen kamen sie nur auf 165 der 350 Sitze. Eine Mehrheit hätte wohl eine Koalition aus PSOE und der rechtsliberalen Bürgerpartei (Ciudadanos) gehabt. Beide Gruppierungen hatten sich bereits 2016 auf eine Koalition geeinigt, verfehlten aber bei der entscheidenden Abstimmung die Mehrheit.

Doch der Konflikt um Katalonien hat Sánchez und Ciudadanos-Chef Albert Rivera entzweit: Rivera fordert von der Zentralregierung unter Sánchez die erneute Absetzung der Regionalregierung in Barcelona und die Auflösung des katalanischen Parlaments, da diese nach seiner Ansicht weiter verfassungsfeindliche Ziele verfolgen. Sánchez allerdings hat versucht, in Gesprächen mit Führern der katalanischen Separatisten eine Lösung auszuloten, die der Region eine erweiterte Autonomie garantiert, doch nicht Unabhängigkeit. Rivera nannte diese Gespräche "Verrat".

Die Wirtschaftsexperten des Kabinetts Sánchez verhehlen hingegen nicht, dass ihnen die Ciudadanos als Koalitionspartner lieber wären als Podemos. Mit Podemos teilt die PSOE zwar viele gesellschaftspolitische Positionen, doch in der Wirtschaftspolitik liegen beide weit auseinander. Iglesias fordert ein breit gefächertes Sozial- und Kulturprogramm, für das Kredite aufgenommen werden müssten. Doch Sánchez, der in jungen Jahren Assistent eines Europaabgeordneten war und die politischen Mechanismen in Brüssel kennengelernt hat, möchte die EU-Vorgaben für das Haushaltsdefizit einhalten. Auch weiß er, dass ein Hauptgrund für die große spanische Wirtschaftskrise die unsolide Finanzpolitik des letzten sozialistischen Kabinetts unter José Luis Zapatero vor anderthalb Jahrzehnten war. Er weiß aus Umfragen, dass nur eine Minderheit der Bürger der PSOE wirtschaftspolitische Kompetenz zutraut. Dies möchte er ändern.

Ein Großteil der Madrider Kommentatoren vertritt die Auffassung, Sánchez habe gezielt auf Neuwahlen hingearbeitet. Denn alle Umfragen sehen die PSOE mit großem Abstand vorn, mit mehr als 30 Prozent Zustimmung liegt sie mehr als zehn Punkte vor der konservativen PP. Die nächsten Wochen könnten das Bild aber ändern. Denn es stehen Urteile in zwei großen Prozessen an: Ein hartes Verdikt gegen die katalanischen Separatisten könnte in ihrer Heimat die Wähler mobilisieren, so dass deren Abgeordnete noch mehr Möglichkeiten erhalten, das Parlament in Madrid zu lähmen. Und in Andalusien stehen zwei ehemalige Regionalpräsidenten der PSOE wegen Korruption vor Gericht. Die Berichterstattung darüber könnte viele Traditionswähler der PSOE dazu bringen, am Wahltag zu Hause zu bleiben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4606081
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.