Süddeutsche Zeitung

Kulturförderung:Wie in Spanien der Streit um die Sprachen eskaliert

Manche fürchten schon, Katalanisch könnte aussterben, und fordern daher eine Quote für Netflix und Co. Doch sie wählten den falschen Gegner.

Von Karin Janker, Madrid

Er sei einer, der viel bellt, aber niemals beißt, heißt es in Madrid über Gabriel Rufián. Der 39-Jährige sitzt für die katalanischen Linksrepublikaner im spanischen Parlament, einem Abgeordnetenhaus, in dem generell viel gebellt, ab und an aber auch gebissen wird. Es hat schon Ritualcharakter, wie hier die Abgeordneten verbal übereinander herfallen. In den vergangenen Wochen war es besonders schlimm. Die Entgleisungen gipfelten in jenem Moment, als dem konservativen Oppositionsführer Pablo Casado eine vulgäre Formulierung gegenüber Regierungschef Pedro Sánchez entfuhr. Sánchez ließ sich von der Wut seines Gegenübers nicht anstecken und fragte gelassen zurück: "Wie viel Kaffee haben Sie denn heute schon intus?"

Grund für die selbst für spanische Verhältnisse hitzigen Debatten war, dass sich in die Verhandlungen über den Staatshaushalt fürs kommende Jahr ein Thema gemischt hatte, das in Spanien stets zu heftigem Streit führt: die Frage der Sprachen. Besser gesagt, die Frage, welchen Raum neben dem als "Spanisch" bekannten Kastilisch die anderen spanischen Sprachen, das Katalanische, das Baskische und das Galicische, bekommen.

Was einen zurückbringt zu Gabriel Rufián, jenem katalanischen Politiker, der fürs Bellen bekannt ist. Rufián steht der Fraktion von Esquerra Republicana vor, die Linksrepublikaner stellen in Katalonien den Regionalpräsidenten. In Madrid sitzen sie mit zwölf Abgeordneten im Kongress - zwölf entscheidenden Abgeordneten, denn der Sozialist Pedro Sánchez, Chef einer linken Minderheitsregierung, ist auf die Unterstützung der Regionalparteien aus Katalonien und dem Baskenland angewiesen.

Und eben hier setzte Rufián sein Messer an: Wenige Wochen bevor die Frist zur Verabschiedung des Haushalts 2022 ablief, drohte er, dem Entwurf nur zuzustimmen, wenn sich die Zentralregierung in Madrid stärker für die Förderung des Katalanischen einsetzt. Konkret forderte er eine Quote für Streamingplattformen wie Netflix, Amazon Prime oder HBO. Diese sollten künftig mindestens sechs Prozent ihrer Inhalte in Regionalsprachen wie Katalanisch, Baskisch und Galicisch zur Verfügung stellen.

Auf dem Pausenhof setzt sich Spanisch durch - wohl wegen der sozialen Medien

Der Grund: Immer mehr Menschen in Katalonien fürchten, dass das Katalanische allmählich ausstirbt. Tatsächlich zeigen Umfragen, dass gerade Kinder und Jugendliche immer weniger Katalanisch sprechen. Laut einer aktuellen Studie nutzen 28 Prozent der Schüler die Sprache nie oder fast nie an der Schule. Vor allem auf dem Pausenhof setzt sich Spanisch durch - was wohl auch am Einfluss der sozialen Medien liegt: Es gibt nun einmal mehr spanischsprachige Influencer als katalanische.

Eine weitere Bedrohung sehen katalanische Eltern in einem aktuellen Urteil des Obersten Gerichtshofs. Dieses schreibt fest, dass in Katalonien 25 Prozent des Unterrichts auf Kastilisch, also "Spanisch", abgehalten werden müssen. 35 000 Menschen demonstrierten in Barcelona gegen dieses Urteil, das das Katalanische als Unterrichtssprache zurückdrängt. Die Stimmung im spanischen Sprachenstreit ist auch deshalb so aufgeheizt, weil er an Wunden rührt, die noch aus der Franco-Diktatur stammen. Damals war Katalanisch verboten. Das Wiedererstarken der Regionalsprachen ist nun für die einen ein Symbol der Demokratisierung. Für die anderen hingegen ist es verbunden mit jenem aufgewiegelten Separatismus, der 2017 in Katalonien die Unabhängigkeit gefordert hatte.

Das Thema polarisiert - und bringt den Linksrepublikanern Stimmen. So hat sich ERC-Fraktionschef Gabriel Rufián dazu hinreißen lassen, die Zukunft der spanischen Regierung an die Frage der Sprachen zu knüpfen. Dass eine solche Drohung mehr als bloße Rhetorik sein kann, zeigt der Blick ins Nachbarland Portugal. Dort ist soeben eine linke Minderheitsregierung daran zerbrochen, dass sie nicht die Forderungen kleinerer Unterstützerparteien erfüllt hatte. Sollte in Spanien die Regierung tatsächlich an einem Streit über Filme und Serien ins Wanken geraten?

Doch Regierungschef Pedro Sánchez hat dieses Jahr bereits mehrmals diplomatisches Geschick und Gelassenheit bewiesen, als er etwa gegen Widerstand von allen Seiten katalanische Separatisten begnadigen ließ. Dass er sich beim wutschäumenden Oppositionsführer lächelnd nach dessen Kaffeekonsum erkundigt, ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass Sánchez gelernt hat, Souveränität auszustrahlen, wo ihn der Sturm umtost. Und so hat der Sozialist auch im Netflix-Streit einen Kompromiss errungen, mit dem alle leben können.

Sogar Gabriel Rufián, der sich schlicht verkalkuliert hatte, als er forderte, dass global agierende Konzerne sich um die Bewahrung spanischer Regionalsprachen kümmern sollen. Sánchez verspricht einen staatlichen Fonds, in den auch die Streamingportale einzahlen und der Inhalte in den Regionalsprachen finanzieren soll. So kann - nach reichlich Gebell - der Haushalt an diesem Dienstag gerade noch rechtzeitig verabschiedet und der Sprachenstreit vorerst vertagt werden. Doch spätestens wenn im Oktober Spanien Gastland auf der Frankfurter Buchmesse ist, dürften die alten Debatten wieder hochkochen.

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