Süddeutsche Zeitung

Spanien:Spanien steht vor Wochen der Ungewissheit

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Nach 315 Tagen ohne echte Regierung wird in Madrid ein Ministerpräsident gewählt. Dass die politische Krise damit vorbei ist, ist keineswegs sicher.

Von Benedikt Peters

Juan Ramón González Molero ist alles andere als ein Anhänger Mariano Rajoys. Der 35-jährige Andalusier wählt links, so lange er denken kann. Rajoys konservative Volkspartei kann er nicht leiden, "wegen all der Korruptionsskandale und wegen ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik", sagt er. Trotzdem ist der Mitarbeiter einer IT-Firma froh, dass eben dieser Mariano Rajoy aller Voraussicht nach am heutigen Samstagabend zum Ministerpräsidenten gewählt wird. "Alles ist besser, als noch länger zu warten. Oder sogar zum dritten Mal hintereinander wählen zu gehen", sagt González Molero.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass für Rajoy nun nichts mehr schief geht. In einer ersten Abstimmung vor zwei Tagen im Parlament von Madrid war der Konservative zwar noch an der absoluten Mehrheit gescheitert. Im zweiten Wahlgang aber reicht ihm die einfache Mehrheit. Und die wird er wohl bekommen, da die spanischen Sozialisten, zweitstärkste Kraft nach den Konservativen, angekündigt haben, sich bei der Abstimmung zu enthalten.

Die lange Regierungslosigkeit hat Spanien nicht gut getan

Insgesamt kann Rajoy mit etwa 170 Stimmen rechnen. Neben den Abgeordneten seiner Partei wollen auch die Abgeordneten der liberalen "Ciudadanos" (Bürger) für ihn votieren, ebenso wie eine kanarische Regionalpartei. Rajoys Amtszeit beginnt dann offiziell am Sonntag, wenn er beim spanischen König Felipe den Amtseid ablegt.

315 Tage ist Spanien dann insgesamt ohne echte Regierung gewesen - 315 Tage, die dem Land nicht besonders gut getan haben. Seit den Tagen der Eurokrise hat sich die fünftgrößte Volkswirtschaft der EU zwar erholt. Laut einer Analyse der Bank BBVA aber hat der politische Stillstand viel gekostet - nämlich 0,8 Prozentpunkte an Wachstum, acht Milliarden Euro vom Bruttoinlandsprodukt.

Die konservative Regierung, die seit den Parlamentswahlen vom 20. Dezember 2015 nur noch geschäftsführend im Amt war, hat wichtige Entscheidungen aufgeschoben. Spanien muss dringend den Staatshaushalt für das kommende Jahr verabschieden, sonst drohen hohe Strafen der EU. Weiter ungelöst ist die Frage einer möglichen Unabhängigkeit Kataloniens. Die separatistische Bewegung in der Regionalhauptstadt Barcelona treibt die Abspaltung vom Rest des Landes voran.

Abgesehen von solchen konkreten Entscheidungen muss sich die künftige Regierung Rajoys aber auch darum kümmern, dass die Spanier nicht das Vertrauen in das politische System des Landes verlieren. Weder die Wahlen vom Dezember noch deren Wiederholung im Juni brachten klare Mehrheitsverhältnisse. Das ist vor allem damit zu erklären, dass mit der linken "Podemos" (Wir können) und den liberalen Ciudadanos zwei neue Parteien die poltische Bühne betraten und starke Ergebnisse erzielten.

Die Zeit der Unsicherheit ist nicht beendet

Die lange Hängepartie hat viele Wähler verunsichert. "Ich glaube, dass sich etwas verändern muss", sagt der Andalusier González Molero. "Unsere Politiker denken in diesem Freund-Feind-Schema: Entweder bekomme ich die ganze Macht oder ich bekomme gar nichts. Das funktioniert nicht mehr. Die Parteien müssen koalitionsfähig werden." Isabel Gómez, eine Erzieherin aus Barcelona, stimmt ihm zu. "Das Land steht vor vielen Herausforderungen, vor ökonomischen, politischen und sozialen. Es geht nicht, dass sich die führenden Politiker zehn Monate lang nur mit sich selbst beschäftigen."

Und der Tierarzt Ibrahim Sayyad aus Teneriffa sieht das Ergebnis nach zehn Monaten Regierungslosigkeit ebenfalls kritisch. "Sehr viele Spanier haben für neue Parteien gestimmt und damit für einen Wechsel. Aber die Minderheitsregierung von Rajoy steht nicht für diesen Wechsel, sondern für das Gegenteil."

Dass die neue Regierung alle Herausforderungen angehen kann, ist keineswegs klar. Die Zeit der Unsicherheit wird auch mit der Wahl Rajoys nicht enden. Seine Minderheitsregierung wird für jedes Gesetz neue Mehrheiten schmieden müssen. Gewohnt sind das die spanischen Politiker nicht, seit Ende der Franco-Diktatur haben Konservative und Sozialisten im Wechsel mit absoluten Mehrheiten regiert.

Das Schicksal der Sozialisten ist außerdem offen. Die einst vor Kraft strotzende sozialistische Partei (PSOE) hat in den vergangenen Jahren nicht nur massiv an Wählerstimmen verloren. Die Entscheidung, mit ihrer Enthaltung den konservativen Rajoy zum Ministerpräsidenten zu machen, hat die Partei zudem tief gespalten. Die einen bewerten den Entschluss als notwendiges, weil staatstragendes Übel, die anderen lehnen ihn kategorisch ab. Der Anführer der Nein-Sager ist Pedro Sánchez, der zuerst als Parteichef zurücktrat und nun auch sein Abgeordnetenmandat niedergelegt hat, um mit seiner Enthaltung nicht zur Wahl Rajoys beizutragen. Etwa 14 sozialistische Abgeordnete wollen sich laut Berichten über die Anordnung der Parteiführung hinwegsetzen und gegen Rajoy stimmen.

Gefährlich werden dürfte das für Rajoy nicht mehr. Unruhig könnten die Zeiten für seine Minderheitsregierung trotzdem werden. So sieht es auch der Andalusier González Molero: "Es würde mich nicht wundern, wenn wir doch wieder nächstes Jahr an die Urne müssen."

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