Ein "griechisches Chaos" hat Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy beschworen, und zwar für den Fall, dass die Parlamentswahlen im Herbst eine Mehrheit aus Sozialisten (PSOE) und der links-alternativen Gruppierung Podemos ergeben. Podemos sei eine radikale Partei, die den Wirtschaftsaufschwung abrupt beenden würde, warnte Rajoy. Knapp zwei Monate nach der schweren Niederlage bei den Kommunal- und Regionalwahlen geht Rajoy mit seiner konservativen Volkspartei (PP) in die Offensive gegen das linke Lager. Rajoy steht mit dieser Ansicht nicht allein: Nur 24 Prozent der Spanier schätzen "Wir können" (Podemos) als nicht radikal ein, ergab eine Umfrage des Instituts Metroscopia, die die Tageszeitung El País am Wochenende veröffentlichte. In Spanien gewinnen traditionell Parteien Parlamentswahlen, die die politische Mitte besetzen.
Die Umfrage belegt auch, dass Podemos mit Abstand als die am wenigsten geschlossene Gruppierung unter allen großen Parteien gilt. In der Tat haben in den letzten Tagen Differenzen über Kandidatenlisten für die Parlamentswahlen Schlagzeilen gemacht: Podemos-Chef Pablo Iglesias, der Wirtschaftsdozent mit Pferdeschwanz und im Holzfällerhemd, überraschte seine Partei mit einer fertigen Liste. Vorgesehen war aber, dass die Mitglieder jedes Wahlkreises ihre Kandidaten selbst bestimmen.
In den Kassen ist kein Geld, um die Versprechen zu realisieren
Keinen Beitrag zur Harmonie bei Podemos leisten auch zwei Frauen, die Oberhäupter der beiden größten Städte des Landes: die links-alternativen neuen Bürgermeisterinnen von Madrid und Barcelona, Manuela Carmena und Ada Colau. Wiederholt haben sie erklärt, dass sie mit Podemos zwar zusammenarbeiten, aber von Podemos unabhängig sind. Ein Teil der spanische Presse verstand das durchaus als Distanzierung. Die linken Kräfte in Madrid irritiert zudem stark, dass die Katalanin Colau kein Hehl macht aus ihrer Sympathie für die Separatisten in ihrer Heimatregion.
Wenige Wochen nach dem Triumph linker Gruppierungen bei den Kommunal- und Regionalwahlen zeigen sich Risse zwischen ihnen. Der von vielen ersehnte Linksblock, in den sogar die Sozialisten eingebunden wären, scheint als neue bestimmende Kraft in weite Ferne gerückt zu sein.
Vor allem mussten die 71-jährige ehemalige Richterin Carmena und die 41-jährige ehemaliger Hausbesetzerin Colau lernen, dass sie auf den Bürgermeistersesseln beschränkte Kompetenzen haben beim Umgestalten ihrer Städte. Beide müssen sich auf fragile Mehrheiten in den Stadträten stützen und natürlich geben auch die Haushaltsgesetze einen Rahmen für ihr Handeln vor. Dazu gehört eine Schuldenbremse, wie sie in den meisten EU-Staaten üblich ist. So fehlen Carmena in Madrid die Mittel für eine städtische Sparkasse, die sozial schwachen Bürgern subventionierte Kredite anbieten soll. Die hatte sie in ihrem Wahlprogramm versprochen - nun war es der erste Punkt, von dem sie sich zurückziehen musste.
Ada Colau in Barcelona hatte vor den Wahlen angekündigt, sie werde Zwangsräumungen von säumigen Hypothekenzahlern verbieten und eine Zwangssteuer für leer stehende Immobilien einführen. Ihre Hausjuristen mussten sie aber belehren, dass sie damit ihre Kompetenzen überschreiten und sogar Rechtsbruch begehen würde - die Stadt würde in private Eigentumsrechte eingreifen. In Andalusien hat bereits das Verfassungsgericht ein Gesetz der sozialistischen Regionalregierung kassiert, das so eine Zwangssteuer vorsah. Das Wirtschaftsministerium in Madrid wies überdies darauf hin, dass bei den meisten Zwangsräumungen nicht Banken, sondern Privatleute die Eigentümer der Immobilien sind.
Drei Prozent Wachstum - für die Gruppierung um Iglesias wäre das eine schlechte Nachricht
Finanzminister Cristobal Montoro, führendes Mitglied der PP von Ministerpräsident Rajoy, kündigte süffisant lächelnd im Fernsehen an, er werde noch im Juli die neuen Stadtoberhäupter zu einer Informationstagung über das Stabilitätsgesetz einladen. Es verpflichtet die Kommunen zu einem ausgeglichenen Haushalt. Andernfalls darf die Zentralregierung, die die Steuern verteilt, Strafzahlungen verhängen. Madrid ist genau wie Barcelona stark verschuldet. Die neuen Stadtregierungen können deshalb bestenfalls einen kleinen Teil der Mittel umschichten, sie dürfen aber keine Kredite aufnehmen, um ihre Wahlversprechen umzusetzen.
Längst haben Kommentatoren den Verdacht geäußert, die Sozialisten hätten den Einzug links-alternativer Kandidaten in die Rathäuser unterstützt mit dem Hintergedanken, dass die sich an den Zwängen der politischen Realität leerer Kassen abarbeiten und somit schnell entzaubert würden. Vor allem dem Sozialistenchef Pedro Sánchez, seit einem Jahr im Amt und kürzlich zum Spitzenkandidaten der PSOE für die Parlamentswahlen gekürt, wird unterstellt, dass er sich profilieren will auf Kosten des breiten, links-alternativen Spektrums um Podemos. In der Tat ist der 43-jährige Wirtschaftsprofessor in einer komfortablen Lage, obwohl die PSOE zuletzt in der Wählergunst kaum über 20 Prozent gekommen ist und in manchen Regionen sogar von den Linksalternativen überholt wurde: Die PSOE kann als einzige der drei großen Gruppierungen nach allen Seiten Koalitionen schließen. Mit Podemos, wie nach den Kommunal- und Regionalwahlen vielerorts geschehen, als auch mit der konservativen PP, die wegen großer Korruptionsaffären in der Wählergunst abgesackt ist. Allerdings hat auch die PSOE mit einem gigantischen Finanzskandal zu kämpfen in ihrer Hochburg Andalusien.
Zwar hat PSOE-Chef Sánchez ein Zusammengehen mit Rajoy kategorisch ausgeschlossen. Doch kein geringerer als Parteipatriarch Felipe González warnte ihn: Es sei falsch, sich wenige Monate vor den Wahlen auf eine Koalition mit einem unsicheren Partner festzulegen, sagte González, der als Regierungschef von 1982 bis 1996 Spanien in die EU und die Nato geführt hat. Es war klar, dass er Podemos-Chef Iglesias meinte, der nicht müde wird, den griechischen Premier Alexis Tsipras dafür zu preisen, dass der das "Spardiktat Brüssels und Berlins" attackiert. Überdies lobt Iglesias die Führung in Venezuela, die nach seinen Worten von den europäischen Medien verleumdet wird.
Allerdings teilt die überwältigende Mehrheit der Spanier Iglesias' positives Bild der Führungen Griechenlands und Venezuelas gar nicht. Nach jüngsten Umfragen halten 55 bis 60 Prozent der Spanier Rajoy trotz der Korruptionsskandale der PP zugute, dass er das Land aus der Rezession geführt habe. Für Ende 2015 wird mit einem Wachstum von drei Prozent gerechnet - für Podemos keine guten Nachrichten.