Süddeutsche Zeitung

Spanien:Regionalpräsidentin von Madrid tritt wegen Diebstahlsvorwürfen zurück

  • Ein Video zeigt die Regionalpräsidentin von Madrid dabei, wie sie vom Sicherheitsmann eines Supermarkts zur Rede gestellt wird.
  • Sie soll Kosmetikprodukte gestohlen haben. Zuvor stand sie bereits wegen eines möglichen gefälschten Studienabschlusses unter Druck.
  • Die Politikerin der konservativen Partido Popular (PP) gehört zum Reformflügel ihrer Partei.

Von Thomas Urban, Madrid

Noch am Wochenende hatte Cristina Cifuentes auf einer Pressekonferenz selbstbewusst erklärt: "Ich trete nicht zurück." Als Begründung führte die Präsidentin der 6,5 Millionen Einwohner zählenden Region Madrid an: "Denn dafür gibt es keinen Grund." Außerdem wisse sie ihre Partei hinter sich, die konservative Volkspartei (PP), an deren Spitze Premierminister Mariano Rajoy steht.

Wochenlang hatte die Presse von rechts bis links gegen sie geschossen, der Vorwurf: Sie schmücke sich mit einem Magistertitel in Rechtswissenschaften, doch habe sie nie ein Examen abgelegt. Möglicherweise sei das ganze Studium an der König-Juan-Carlos-Universität in Madrid, das sie in ihrem offiziellen Lebenslauf aufgeführt hat, von A bis Z erschwindelt.

In der Tat hatte es in den vergangenen Tagen so ausgesehen, als wolle Rajoy auch den Fall Cifuentes aussitzen. Die wortgewandte Blondine gehört zu den führenden Köpfen des Reformflügels der PP, auf den sich der Premier stützen kann. Doch am Mittwoch half ihr die Unterstützung von oben nicht mehr: Die Madrider Medien veröffentlichten ein knapp vierminütiges Video, das der Internetzetung OK Diario zugespielt worden war. Es zeigt Cifuentes in einer äußerst unangenehmen Situation: Im Hinterzimmer eines Supermarkts muss sie vor einem Wachmann den Inhalt ihrer Einkaufstasche auspacken.

Die Videoaufnahme von einer Überwachungskamera hat keinen Ton, aus dem kurzen Streifen geht nicht hervor, ob sie nun den Ladendiebstahls überführt wurde. Die konservative Tageszeitung El Mundo, Vorreiter bei der Aufdeckung von Korruptionsaffären in der PP hat recherchiert: Das Video stamme aus dem Jahr 2011, die Leitung des Supermarkts habe die Polizei gerufen, Cifuentes habe den Dienstahl zweier Dosen mit Hautkrem gestanden und auch an Ort und Stelle eine Strafe bezahlt; wegen Geringfügigkeit des Vergehens sei kein Strafverfahren eingeleitet worden. Der Fall kam nicht an die Öffentlichkeit - sie war damals Vizepräsidentin des Madrider Regionalparlaments.

Schwerer Rückschlag für Ministerpräsident Rajoy

2015 wurde sie Regionalpräsidentin, ihr Vorgänger Ignacio González González war nicht mehr angetreten. Wie wenig später bekannt wurde, lief damals bereits ein Ermittlungsverfahren gegen ihn, weil er eine Villa bei Marbella besaß, diese aber in seinen Steuererklärungen verschwiegen hatte.

Nun ist auch Christina Cifuentes' politische Karriere wohl zu Ende. Am Mittwochmittag erklärte sie ihren Rücktritt. Ihr Sturz ist ein schwerer Rückschlag auch für Rajoy, der die PP in den letzten Jahren ein Stück zur politischen Mitte hingerückt hat. Die 53-jährige Madrilenin gehörte zu den Modernisierern in der Partei, die sich in den internen Machtkämpfen gegen Altfranquisten und Nationalkatholiken durchgesetzt hatten.

Sie war bekennende Agnostikerin und Republikanerin, auch trat sie für die Homoehe ein - und verärgerte dadurch einen Großteil der klassischen PP-Wähler. Kommentatoren der Madrider Medien sind denn auch überzeugt, dass der Presse die kompromomittierende Materialien von ihren innerparteilichen Gegnern zugespielt wurden.

Wegen der Magisterarbeit ermittelt die Staatsanwaltschaft

Bereits die Kontroverse um ihren angeblichen Magister in Verwaltungsrecht hatte ein Teil der Parteigranden von ihr abrücken lassen. Eine von ihr angeblich vor vier Jahren verfasste Examensarbeit war nirgendwo registriert; sie gab an, dass ihr eigenes Exemplar wohl bei einem ihrer zahlreichen Umzüge abhanden gekommen sei. Auch stellte sich heraus, dass zwei der drei Unterschriften von Professoren auf ihrer Magisterurkunde gefälscht waren. Der dritte Professor, der das Dokument unterzeichnet hat, sieht sich nun einem Verfahren wegen Bestechlichkeit ausgesetzt.

Denn Recherchen der Universitätsleitung haben ergeben, dass Cifuentes überhaupt nicht an den Hauptseminaren teilgenommen hat, bei denen eine Präsenzpflicht besteht, also die formalen Voraussetzungen für die Zulassung zu einem Magisterexamen überhaupt nicht erfüllt hat. Der Fall schlug an der Universität große Wellen: Mehrere Dutzend Professoren forderten in einem offenen Brief und mehrere Hundert Studenten auf einer Demonstration den Rücktritt Cifuentes'.

Der Fall ist allerdings mit ihrem Rückzug für sie noch längst nicht abgeschlossen. Zwar hat sie den Magistertitel aus ihrem offiziellen Lebenslauf auf der Webseite der Region Madrid vor einer Woche entfernt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Urkundenfälschung und Führen eines falschen Titels. Sie selbst beklagte eine "Treibjagd" auf sie, sie habe unter diesem Druck in den vergangenen Wochen 15 Kilogramm abgenommen.

So reiht sich Cristina Cifuentes in die Reihe der Hoffnungsträger im politischen Madrid ein, die nach einem steilen Aufstieg ganz tief gefallen sind. Sie wird nicht die einzige bleiben - offenbar haben auch andere spanische Politiker an derselben Fakultät fiktive Mastertitel erworben.

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