KorruptionsvorwürfeZerbricht Spaniens Regierung?

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Spaniens Premierminister Pedro Sánchez während einer Rede im Parlament in Madrid.
Spaniens Premierminister Pedro Sánchez während einer Rede im Parlament in Madrid. (Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP)

Wegen Korruption in den eigenen Reihen steckt die links-sozialistische Regierungskoalition von Pedro Sánchez in ihrer bisher größten Krise. Neuwahlen aber würden wohl Rechtsextreme mit an die Macht bringen.

Von Patrick Illinger, Madrid

Derart geknickt sah man ihn selten. Spaniens Premier Pedro Sánchez hatte sich einen dunklen Anzug angezogen, sein Gesicht wirkte fahl, als er am Donnerstag vergangener Woche in der Zentrale seiner sozialistischen Partei PSOE vor die Presse trat. Mehr als ein halbes Dutzend Mal entschuldigte er sich beim spanischen Volk für Verfehlungen eines seiner engsten Vertrauten, die kurz zuvor durch einen Hunderte Seiten starken Polizeibericht bekannt geworden waren.

Dieser Vertraute war nicht irgendwer, sein Job war in der Partei das, was in Deutschland der Generalsekretär wäre. Der Mann, der in der PSOE die Strippen zog. Und ein Mann, dem Sánchez persönlich verbunden war – so sehr, dass er ihn mit heikelsten Missionen betraute. Zum Beispiel mit den Verhandlungen mit dem katalanischen Separatisten Carles Puigdemont, dessen Unterstützung Sánchez für eine Mehrheit im spanischen Kongress benötigt.

Auch in Parteien, die die Regierung bislang stützen, gibt es Zweifel am Premierminister

Santos Cerdán heißt der Mann. Er war schon an Sánchez’ Seite, bevor dieser 2014 Parteichef der PSOE und 2018 Premier wurde. Nun hat sich Cerdán in reines Gift verwandelt. Seine Ämter ist er ebenso los wie seine Freundschaft mit Sánchez, und der Geruch der Korruption umweht nun die Regierungspartei. Mit einer „politischen Leiche“ verglich die Zeitung ABC Pedro Sánchez. Sogar ein Kolumnist der regierungsfreundlichen Zeitung El País forderte Neuwahlen.

Zumal Cerdán sich nicht allein mutmaßlich an der Vergabe öffentlicher Bauvorhaben bereichert hat, sondern zu einer Gruppe ehemaliger PSOE-Funktionäre gehört, die bereits der Korruption überführt wurden, darunter ein ehemaliger Transportminister, der wie Cerdán zu Sánchez’ Vertrauten gehörte.

Nicht nur forderte die konservative Opposition in einer turbulenten Parlamentssitzung am Mittwoch Sánchez zum Rücktritt auf. Zweifel gären auch bei Parteien, die dessen Minderheitsregierung bislang stützen. Drei der fünf Minister seines linken Koalitionspartners Sumar blieben der Debatte am Mittwoch ostentativ fern. Anonym zitieren spanische Median sogar Forderungen von PSOE-Funktionären nach Neuwahlen.

Eine große Koalition der beiden Volksparteien PP und PSOE erscheint undenkbar

Sánchez hat indes den „totalen Widerstand“ ausgerufen. Er setzt dabei auf ein Argument, das ihm bereits bei den Wahlen im Sommer 2023 Stimmen brachte: Die Alternative zu seiner links-sozialistischen Regierung wäre eine rechte Regierung mit Beteiligung der rechtspopulistischen Partei Vox. Vor Letzterer, die teils Ideale der Franco-Diktatur verkörpert, fürchtet sich der überwiegende Teil der spanischen Bevölkerung. In Umfragen liegt Vox derzeit bei knapp 15 Prozent.

Die konservative Volkspartei Partido Popular (PP) mit derzeit gut 30 Prozent Zustimmung wäre rechnerisch gezwungen, mit den Postfranquisten zu paktieren, und macht daraus auch keinen Hehl. Eine große Koalition der beiden Volksparteien PP und PSOE erscheint in Spanien undenkbar, zu sehr haben sich beide Lager in den vergangenen Jahrzehnten verfeindet.

„Nein heißt nein“, sagt ein PP-Funktionär, fragt man nach der Möglichkeit einer großen Koalition wie in Deutschland. Dabei wäre dies – oder wenigstens eine Minderheitsregierung unter Duldung der jeweils anderen Volkspartei –, was sich viele Spanierinnen und Spanier wünschen würden, ebenso wie Wirtschaftsvertreter. Nebenan, in Portugal, funktioniert es.

In Spanien geht es um rechts oder links. Und das Menetekel einer Regierungsbeteiligung der Rechtsextremen malt Pedro Sánchez täglich mit Leuchtfarben aus. So gelingt es ihm bisher, dass sich genügend der kleinen, meist regional orientierten Parteien im Parlament auf seine Seite schlagen und einen Zusammenbruch der Regierung verhindern. Seit dem Fall Cerdán sitzt Sánchez jedoch wie auf einer Ladung Nitroglyzerin. Jede weitere Erschütterung würde eine politische Detonation auslösen. Eine, die Rechtsextreme auf die Regierungsbank bringen könnte.

Die Konservativen haben selbst keine reine Weste

Diese Besorgnis versucht der konservative Oppositionsführer mit dem Verdruss über Sánchez zu übertrumpfen. „Sie müssen nicht die Spanier vor sich selbst retten“, sagte PP-Chef Alberto Núñez Feijóo bei der Parlamentsdebatte am Mittwoch, „die Spanier müssen sich vor Ihnen retten.“ Allerdings nährt auch Feijóo den Verdruss vieler Spanier über ihre politischen Akteure, zum Beispiel, indem er eisern an seinem Parteifreund Carlos Mazón festhält, dem Regionalpräsidenten von Valencia, der während der Flutkatastrophe im vergangenen Oktober auf erschütternde Weise versagt hat.

Aus dem Fall Cerdán Kapital zu schlagen, fällt den Konservativen auch deshalb nicht leicht, weil sie in dieser Hinsicht keine reine Weste haben. Der PP wurde als bisher einzige Partei der spanischen Demokratiegeschichte wegen Korruption von höchsten Gerichten verurteilt. Zudem ist für den aktuellen PP-Chef Feijóo zumindest lästig, dass ein Foto kursiert, das ihn in jungen Jahren mit einem einschlägigen Drogenboss auf einer Yacht zeigt.

Null Korruption gebe es nicht, sagte Sánchez am Mittwoch im Parlament, der Unterschied zwischen Sozialisten und Konservativen sei, wie man damit umgehe. „Wir tolerieren sie nicht, wir merzen sie aus“, sagte er. Externe Wirtschaftsprüfer sollen nun die Finanzen der PSOE durchforsten.

Dennoch dürfte der Fall Cerdán an der Partei haften bleiben. Mittlerweile sind auch noch Tondateien öffentlich geworden, auf denen sich zwei Kumpanen aus Cerdáns Gruppe, einer davon der Ex-Minister selbst, ausgiebig über die Fähigkeiten diverser Prostituierter unterhalten, die man anzuheuern gedenke. Das passt ganz und gar nicht zu dem feministischen Idealen, die Sánchez’ links-sozialistische Regierung in den vergangenen Jahren vertreten hat.

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