Süddeutsche Zeitung

Spanien:Sánchez entlässt jene, die für ihn die Kugeln abgefangen haben

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Der spanische Premier baut sein Kabinett grundlegend um. Sieben Minister müssen gehen. Seine Regierung steht nun beim Frauenanteil in Europa an der Spitze.

Von Karin Janker, Madrid

Pedro Sánchez habe nun sein eigenes "Tal der Gefallenen", schreibt die konservative Online-Zeitung El Español in Anspielung auf das Mausoleum, in dem Diktator Franco seine Getreuen bestatten ließ. Spaniens Premier hat, so die Zeitung, jene begraben, die ihm zur Macht verholfen haben. Tatsächlich hat der Sozialist an diesem Wochenende eine der gravierendsten Regierungsumbildungen in der Geschichte der spanischen Demokratie angekündigt. Die Zeitung El País spricht von einer "revolución total", La Vanguardia von einem "Erdbeben".

Spanien wird künftig eine der weiblichsten Regierungen Europas haben, mit einem Frauenanteil von 64 Prozent. Nur Finnland hat anteilig ebenso viele Ministerinnen. Jünger wird das Kabinett ebenfalls: Der Altersdurchschnitt der Mitglieder liegt bei 50 Jahren. Sánchez, selbst 49 Jahre alt, tauscht insgesamt sieben Minister aus und will, dass von seiner Regierungsumbildung vor allem zwei Signale ausgehen: eines der internen Befriedung an seine sozialistische Arbeiterpartei PSOE, die zuletzt in Umfragen immer weiter abgesunken war. Und eines des Aufbruchs und der wirtschaftlichen Erholung an die EU und die europäischen Nachbarn.

Garantin des Aufschwungs nach der Krise, in die die Corona-Pandemie Spanien gestürzt hat, bleibt Wirtschaftsministerin Nadia Calviño. Die Parteilose rückt zur mächtigsten Frau in der Regierung auf. Sie wird erste Vizepräsidentin, zuvor war sie zweite, noch vor wenigen Monaten dritte Vize. Calviño, die in der EU gut vernetzt ist, ist mit zu verdanken, dass Spanien heute in Brüssel mehr Vertrauen genießt als noch bei der letzten Wirtschaftskrise vor gut zehn Jahren. Sie gilt als seriös, zuverlässig - und als Ausgleich zu Sanchez' linkspopulistischem Koalitionspartner Podemos. Der übrigens bleibt von der Neuformation der Regierung unberührt.

Andere Ministerinnen, die im Ausland ebenfalls einen guten Ruf genossen, müssen ihre Posten räumen. Besonders bemerkenswert ist der Wechsel an der Spitze des Außenministeriums: Arancha González Laya verlässt die Regierung, ihre Nachfolge tritt der bisherige spanische Botschafter in Paris, José Manuel Albares, an. Beobachter wie Marokko-Experte Ignacio Cembrero bewerten diesen Schritt als Zugeständnis Spaniens an Marokko, das zuletzt an der EU-Außengrenze Druck aufgebaut hatte, indem es in Ceuta binnen weniger Stunden Tausende Migranten über die Grenze ließ.

Der Streit um die Westsahara schwelt weiter

"Gonzalez Laya wurde geopfert, um Rabat zu besänftigen", sagt Cembrero. Aber auch Botschafter Albares, der nun auf seine bisherige Chefin folgt, wird einiges an diplomatischem Geschick aufwenden müssen, um die Krise mit Marokko wirklich zu befrieden. In marokkanischen Medien hieß es bereits, dass der Wechsel auf dem Ministerposten die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Madrid und Rabat nicht aus dem Weg schaffe. Es geht dabei vor allem um das Westsahara-Gebiet, das Marokko für sich beansprucht. Spanien will zu diesem Anspruch bislang keine Stellung beziehen.

Ihre Posten verlieren auch Minister, die in den vergangenen Monaten ambitionierte Projekte zu stemmen hatten: Bildungsministerin Isabel Celaá zum Beispiel ist es unter anderem zuzuschreiben, dass Spanien seine Schulen im zurückliegenden Schuljahr trotz der Corona-Pandemie konsequent offengehalten hat. Celaá stürzt nun über eine umstrittene Bildungsreform, die Spanien in eine heftige Leitkulturdebatte gestürzt hat, weil sie etwa den Einfluss der Kirchen auf die Schulen einschränkt. Auf die Parteilose Celaá folgt die PSOE-Politikerin Pilar Alegría, studierte Grundschullehrerin. Sie soll die Bildungsreform nun umsetzen, auch wenn der Volksmund diese längst schon "Ley Celaá" getauft hat.

Gehen muss unter anderem auch Justizminister Juan Carlos Campo, der zuletzt gemeinsam mit dem Regierungschef die Begnadigung der katalanischen Separatisten auf den Weg gebracht hatte. Noch so einer, der viel Kritik abbekommen hat. Die umstrittenen Begnadigungen brachten nicht nur Sánchez, sondern auch seinen Justizminister, der formal dafür verantwortlich war, in die Schusslinie der Konservativen und Rechten im Land. Campos Nachfolge tritt Pilar Llop an, die sich als Richterin einen Namen gemacht hat. El País zitiert sie mit dem Satz, der Sozialismus sei die Impfung gegen die Krankheit der Macho-Kultur, die in Spanien grassiere.

Während die Sozialisten die Regierungsumbildung mit großem Wohlwollen aufnahmen, weil Sánchez damit seine Regierung wieder stärker auf Parteilinie brachte, kam aus der Opposition scharfe Kritik. "Wir haben eine Regierung in einer Dauer-Krise", sagte Cuca Gamarra, Sprecherin der PP-Fraktion im spanischen Parlament. "Die Lösung wird nicht sein, Minister auszutauschen. Die Lösung wird sein, Sánchez auszutauschen", so Gamarra.

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