In Spaniens Politik gibt es erneut Streit, diesmal nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen rechts und rechtsaußen. In fünf Autonomieregionen zugleich hat die rechtspopulistische Partei Vox ihrem Koalitionspartner, dem konservativen Partido Popular (PP) die Regierungsbeteiligung aufgekündigt. In diesen Regionen, die Deutschlands Bundesländern entsprechen, muss der PP nun als Minderheitsregierung weitermachen.
Aktueller Anlass für den Zwist war die Verteilung von einigen hundert minderjährigen Migranten, die als Bootsflüchtlinge auf den Kanarischen Inseln angekommen waren.
In den betroffenen Regionen, Kastilien und Leon, Aragon, Valencia, Murcia und Extremadura, hatte bei den Regionalwahlen im vergangenen Jahr eine Koalition aus dem Partido Popular und Vox die Macht übernommen. Als Juniorpartner dieser Zweiparteien-Bündnisse hatte Vox die Vizeministerpräsidenten gestellt und teils weitere Ministerien übernommen.
Auch auf den Balearen distanziert sich Vox von dem Partido Popular
Mehrere Stunden lang hatte sich die Parteiführung unter Leitung ihres Vorsitzenden Santiago Abascal am Donnerstagabend zurückgezogen, um über den Bruch mit dem PP zu beraten. Dann passierte, was in Deutschland praktisch unmöglich wäre: Die Vox-Führung ordnete den Koalitionsbruch in fünf Regionen zugleich an und befahl sämtlichen Vizeministerpräsidenten zurückzutreten.
Auch auf den Balearen, wo Vox zwar keine Regierungsämter bekleidet, aber die dortige PP-Regierung unterstützt, soll die Zusammenarbeit beendet werden.
Diese Schritte verkündete Vox-Chef Abascal am späten Donnerstagabend in einem Videoauftritt. In Spanien sind Parteien derart hierarchisch strukturiert, dass die Parteispitze über das Schicksal ihrer Amtsträger bis hinunter auf Regional- und sogar Gemeindeebene entscheiden kann. „Die Vizepräsidenten der betroffenen Regierungen werden ihren Rücktritt erklären und Vox wird in die Opposition gehen, loyal und energisch“, sagte Abascal.
Ein Minister will bei dem Coup nicht mitmachen
Dieser radikale Schnitt könnte jedoch zu Unzufriedenheit und Trotzreaktionen betroffener Vox-Funktionäre führen. Die Partei hat in den bisher mitregierten Regionen nicht nur die Vizeministerpräsidenten gestellt, sondern Dutzende weitere Spitzenposten besetzt, in Ministerien, Verwaltung und Staatsbetrieben.
Tatsächlich hat ein bisheriger Vox-Minister in der Region Extremadura am Freitagmorgen angekündigt, im Amt zu bleiben. Häme aus seiner Parteiführung ließ nicht lange auf sich warten: Es sei klar gewesen, dass mancher auf seinem Sessel kleben bleibe, statt die Werte von Vox zu verteidigen, hieß es von dort.
Die Führung des Partido Popular hat Funktionären von Vox unterdessen angeboten, ihre Arbeit weiterzuführen, sofern die Ministerpräsidenten einverstanden seien. In manchen Fällen könnte das einen Parteiübertritt bedeuten.
Entzündet hat sich alles an Migranten
Der Auslöser für diesen politischen Rundumschlag erscheint im Vergleich zu den Konsequenzen fast nichtig: Vox war nicht einverstanden gewesen mit der Art und Weise, wie knapp 350 jugendliche Bootsmigranten von den Kanaren auf andere Regionen Spaniens verteilt werden sollten.
Der PP hatte am Mittwoch bei einem überparteilichen Treffen auf Teneriffa einem Verteilungsschlüssel für die Migranten zugestimmt. Vox wollte die Verteilung von Jugendlichen auf andere Regionen jedoch verweigern. Die Vox-Führung warf dem Chef der Volkspartei PP, Alberto Núñez Feijóo, vor, er habe mit seinem Verhalten die Regionalregierungen zerstört.
Die Regierung der Kanarischen Inseln, auch sie eine spanische Autonomieregion, fordert Solidarität der Festlandregionen und verpflichtende Quoten für die Aufnahme von Migranten. Rund 4000 weitere Jugendliche aus Afrika sind derzeit in Einrichtungen auf den Kanaren untergebracht.
Im Europaparlament paktiert Vox mit den „Patrioten für Europa“
Dass Vox das Thema Migration als Sollbruchstelle für die Bündnisse mit den Konservativen nutzt, lässt sich als Teil einer umfassenderen Strategie deuten: Spaniens Rechtspopulisten rücken zunehmend weiter nach rechts. Die Anzeichen dafür sind vielfältig. Schon im vergangenen Herbst zeigte sich Parteichef Abascal bei Protesten gegen Spaniens sozialistischen Regierungschef Pedro Sánchez gemeinsam mit Demonstranten, die Flaggen mit dem Wappen des Diktators Francisco Franco schwenkten.
Vor einigen Wochen lud Vox diverse Anführer ultrakonservativer Bewegungen nach Madrid zu einem Kongress ein, unter ihnen Marine Le Pen aus Frankreich. Und im Europaparlament gliederte sich Vox in die Plattform der „Patrioten für Europa“ ein, die von Ungarns Premier Victor Orbán ins Leben gerufen worden ist.
Vielleicht kein Wunder: Die Vox-Fraktion im Europaparlament führt Jorge Buxadé an, ein Mann, der aus seiner Verehrung für die Falange, Francos einstiger Faschisten-Kampfgruppe, keinen Hehl macht.