Spanien, Portugal und Griechenland:Die mit dem eigenen Volk ringen

Spanien, Portugal und Griechenland sind die größten Sorgenkinder der Euro-Zone. Die Länder sind hoch verschuldet, die Regierungen müssen harte Sparmaßnahmen ergreifen. Doch viele Bürger wollen diesen Kurs nicht länger mittragen und reagieren mit massiven Protesten. Wie ähnelt sich die Situation in den Ländern und wo ist sie unterschiedlich?

Hannah Beitzer und Antonie Rietzschel

Dank der Ankündigung der Europäischen Zentralbank, künftig unlimitiert Staatsanleihen aus Krisenländern aufzukaufen, scheint die Euro-Krise erst einmal entschärft. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Um sich für Geld aus dem ESM und/oder Anleihekäufe durch die EZB zu qualifizieren, müssen die Regierungen der angeschlagenen Euro-Länder Spanien, Portugal und Griechenland harte Sparmaßnahmen durchdrücken. Allein: Die Bürger der Krisenstaaten sind nicht länger bereit, den Kürzungskurs der Regierungen mitzutragen und reagieren auf die Zwangsreformen mit massiven Protesten. Ein Überblick.

24-hour general stike against the austerity measures

Ein Generalstreik legt Athen lahm.

(Foto: dpa)

Spanien

Wie ist dort die Lage?

Das Haushaltsdefizit des Euro-Krisenlandes Spanien wird immer größer. Der Fehlbetrag im Budget des Zentralstaats stieg in den ersten acht Monaten dieses Jahres auf 50,1 Milliarden Euro, 23,8 Prozent mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Das Defizit entspricht 4,77 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit hat die Zentralregierung ihren Defizitrahmen für das gesamte Jahr schon jetzt überschritten.

Vor allem die klammen Banken des Landes, insbesondere die Cajas (Sparkassen), sind ein Problem. Die Euro-Länder haben bereits im Sommer ein 100 Milliarden Euro schweres Hilfspaket für das Land beschlossen. Doch noch zögert der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy, unter den Rettungsschirm zu schlüpfen. Stattdessen setzt er auf: Sparen, sparen, sparen. Bereits jetzt liegt die Wirtschaft allerdings am Boden: Die Arbeitslosenquote liegt bei fast 25 Prozent. Von den unter 24-Jährigen ist sogar jeder Zweite ohne Job. Immer mehr Menschen verlieren durch die Krise ihre Wohnung. Zehntausende Betriebe mussten schließen. Besonders betroffen ist der Bildungs- und der Gesundheitssektor.

Wie sind die Reaktionen?

In Madrid sind am Dienstagabend Proteste gegen den Sparkurs der konservativen Regierung eskaliert. Mehr als 60 Menschen wurden nach Medienberichten bei Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten vor dem spanischen Parlamentsgebäude verletzt, fast die Hälfte von ihnen Polizisten.

Die Demonstranten hatten im Vorfeld angekündigt, das Parlament nicht erstürmen zu wollen, sondern lediglich um das Gebäude herum zu marschieren. Absperrgitter und die 1300 Polizisten rund um das Gebäude versperrten ihnen aber den Weg. Die aufgebrachte Menge besetzte daraufhin einen nahegelegenen Platz und skandierte "Raus mit euch", "Ihr vertretet uns nicht" in Richtung Parlament. Sie verlangen überdies den Rücktritt der Regierung und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Die Polizisten setzten Gummigeschosse und Schlagstöcke ein. Der Großteil der Demonstranten blieb jedoch friedlich.

Auch politisch rumort es in Spanien: Die Regierung hat alle Hände voll zu tun, die Regionen des Landes zu Einsparungen zu bringen. In der prinzipiell wohlhabenden, aber stark verschuldeten Region Katalonien wird der Ruf nach Autonomie lauter. Viele Menschen in der Region haben das Gefühl, deutlich zu viel Steuergelder nach Madrid abgeben zu müssen - während die Regionalregierung gezwungen ist, Beschäftigte zu entlassen und Leistungen zu kürzen.

Wie geht es weiter?

Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis Spanien Finanzhilfen beantragen muss. Nach wie vor hofft die Regierung von Ministerpräsident Rajoy, die Banken könnten direkt auf Hilfskredite aus dem Euro-Rettungsfonds ESM zugreifen. Der Vorteil wäre, dass Spaniens Staatsverschuldung auf diese Art nicht ansteigen würde. Am 28. Juni hatten die Staats- und Regierungschefs die Möglichkeit einer direkten Rekapitalisierung eingeräumt. Doch mehrere Länder, darunter auch Deutschland, wehren sich gegen diese Option.

Portugal galt lange als "Musterschüler" unter den Krisenländern: Mit Hilfe von Sparprogrammen konnte das Haushaltsdefizit, das 2009 und 2010 Rekorde um die zehn Prozent erreichte, 2011 auf 4,2 Prozent gedrückt werden. Doch die Sparpolitik trieb das Land in die Rezession. Die Wirtschaft schrumpft seit 20 Monaten in Folge, die Arbeitslosenrate lag zuletzt bei 15,7 Prozent. Das Finanzministerium kündigte im August an, die Steuereinnahmen seien derart drastisch gesunken, dass die Sparziele ohne zusätzliche Maßnahmen nicht zu erreichen seien. Die "Troika", die Portugal 2011 mit einem 78 Milliarden-Euro-Paket aushalf, verlängerte daraufhin das Sanierungsprogramm des Landes um ein Jahr.

Wie sind die Reaktionen?

Lange hielten sich die Portugiesen zurück. Dann kündigte vor wenigen Wochen der portugiesische Ministerpräsident Pedro Passos Coelho an, die Sozialbeiträge von elf auf 18 Prozent erhöhen zu wollen, aber gleichzeitig die Unternehmensteuer zu senken. Daraufhin gingen am 15. September in Portugal Hundertausende Menschen in 40 Städten auf die Straße, um gegen diese Maßnahmen zu protestieren. In Aveiro, 200 Kilometer nördlich von Lissabon, zündete sich ein Demonstrant an. Er wurde dabei schwer verletzt. Überall forderten die Menschen Passos Coelho zum Rücktritt auf. "Eine brutale rote Karte", titelte die Zeitung Correio da Manha.

Die größte Oppositionspartei machte klar, dass sie das Sparprogramm der Mitte-rechts-Regierung aufgrund der geplanten Maßnahmen nicht mehr unterstützen werde. Man werde gegen den Etatentwurf für 2013 stimmen, sagte der Chef der Sozialistischen Partei. Er drohte zudem mit einem Misstrauensantrag gegen die Regierung, falls die Sparpolitik vor dem Hintergrund einer Rekord-Arbeitslosigkeit beibehalten werde.

Wie geht es weiter?

Bisher ist noch immer nicht klar, woher das Geld für die Erfüllung der Sparziele kommen soll. Angesichts der Proteste musste Passos Coelho einlenken und distanzierte sich von seinem Vorschlag. Geplant sind nun Erhöhungen der Einkommen-, Vermögen- und Kapitalertragsteuer, Rentner und Staatsbedienstete sollen anders als 2011 Weihnachtsgeld erhalten. Der Ministerpräsident kündigte jedoch an, dass die Troika die neuen Pläne absegnen müsse. Portugal sei "finanziell nicht autonom". Ein Sprecher der EU-Kommission hatte zuvor mitgeteilt, die Regierung Portugals habe Spielraum bei spezifischen Maßnahmen, um die Vorgaben zu erfüllen. Eine grundsätzliche Neujustierung des Sparprogramms schloss er allerdings aus.

Die wirtschaftliche Lage in Griechenland ist katastrophal. Die Regierung in Athen bereitet derzeit nach zahlreichen Sparrunden der vergangenen Jahre ein weiteres Sparpaket mit Streichungen im Umfang von 11,5 Milliarden Euro vor. Sie steht dabei unter dem Druck der Troika von Europäischer Zentralbank, Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds. Im Februar gab es in Griechenland zwei Generalstreiks gegen die Sparpolitik.

Wie sind die Reaktionen?

Über den Sommer hatte die konservative Regierung von Antonis Samaras Ruhe - zumindest was Massenproteste anging. Doch nun scheint sich eine neue Protestwelle anzukündigen. In Griechenland legte am Mittwoch ein Generalstreik gegen die neuen Sparprogramme das öffentliche Leben lahm. Es ist der erste umfassende Ausstand seit dem Antritt der neuen Regierung im Juni. Flüge wurden gestrichen, Züge fielen aus. Auch der Einzelhandel beteiligte sich. Viele Geschäfte blieben geschlossen. In Krankenhäusern arbeitete nur eine Notbesetzung. Zu dem Streik aufgerufen hatten die beiden größten Gewerkschaften des Landes, die die Hälfte der rund vier Millionen Arbeitnehmer des Landes repräsentieren.

Wie geht es weiter?

Derzeit zeichnet sich ab, dass Griechenland die Auflagen seiner internationalen Geldgeber von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) nicht erfüllt und in den kommenden Jahren mehr Geld benötigt als veranschlagt. Klarheit darüber soll der Bericht der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF bringen, dessen Veröffentlichung sich aber immer weiter verzögert - vermutlich bis nach der US-Präsidentschaftswahl im November. Die Regierung in Athen will von den Geldgebern zwei Jahre mehr Zeit, um die geplanten Reformen und damit das Sparpaket umzusetzen, ohne die schwächelnde Wirtschaft weiter abzuwürgen. EU-Diplomaten erwarten, dass Griechenland nicht wie ursprünglich geplant von 2015 an seinen Haushalt ohne Hilfen finanzieren können wird. Es werde vielmehr wohl noch mindestens zwei weitere Jahre von Zuwendungen abhängig sein.

Mit Material von dpa, afp und Reuters.

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