Neuwahlen:Wer Spanien künftig regieren könnte

Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez

Ob Pedro Sánchez' Sozialdemokraten von Neuwahlen profitieren können, hängt auch von der Wählermobilisierung ab.

(Foto: imago/Agencia EFE)

Ministerpräsident Sánchez ruft für Ende April Neuwahlen aus. Damit wird die politische Lage nicht klarer, was auch an den Katalanen liegt. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Barbara Galaktionow

Neun Monate nach seinem Amtsantritt hat Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE) Neuwahlen ausgerufen. Sie sollen am 28. April abgehalten werden - etwa einen Monat vor den Europa-, Regional- und Kommunalwahlen in Spanien. Der Schritt war allgemein erwartet worden, nachdem das Parlament den Haushaltsentwurf der sozialdemokratischen Minderheitsregierung für das laufende Jahr am Mittwoch abgelehnt hatte. Die nächste reguläre Parlamentswahl wäre eigentlich erst im Juni 2020 fällig gewesen.

"Eine Regierung hat die Pflicht, ihre Aufgaben zu erfüllen: Gesetze zu verabschieden, zu regieren, vorwärts zu gehen", sagte Sánchez in Madrid. Wenn einige Parteien dies blockierten, bliebe nur der Weg von Neuwahlen. Der Ministerpräsident betonte, dass es nun wichtig sei, dass alle Seiten die Bürger mobilisierten. Denn es ginge um die Zukunft des Landes.

Woran ist die Sánchez-Regierung gescheitert?

Seit dem Sturz des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (PP) Mitte vergangenen Jahres regiert in Madrid eine sozialdemokratische Minderheitsregierung unter der Führung von PSOE-Chef Sánchez. Sie ist auch von den Stimmen zweier separatistischer katalanischer Parteien im spanischen Parlament abhängig.

Im Gegensatz zur konservativen Vorgängerregierung hatte Sánchez versucht, den Konflikt mit Katalonien zu entschärfen. So ließ der neue Regierungschef Separatisten, die wegen des Vorwurfs der Rebellion in Untersuchungshaft saßen, von Madrid nach Katalonien verlegen. Zudem wollte die Regierung die für die autonome Region vorgesehenen Investitionsmittel deutlich erhöhen.

Doch den separatistischen Parteien ERC und PdeCAt ging das nicht weit genug. Vor Beginn des Prozesses gegen zwölf führende Separatisten in Madrid diese Woche forderten sie von Sánchez ein deutliches Zeichen zugunsten der Angeklagten. Als das ausblieb, stimmten sie gemeinsam mit den rechten Oppositionsparteien gegen den Haushaltsplan der Minderheitsregierung. Damit machten sie die Sánchez-Regierung handlungsunfähig.

Wer profitiert von Neuwahlen?

Jüngsten Umfragen zufolge würden die derzeit regierenden Sozialdemokraten (PSOE) im Vergleich zur Wahl 2016 leicht zulegen und kämen auf etwas mehr als 24 Prozent. Die im Kern liberalen Ciudadanos, die allerdings im Katalonien-Konflikt deutlich nach rechts gerückt sind, würden etwa vier Prozentpunkte dazugewinnen und lägen nun bei 18 Prozent. Die radikal-nationalistische Partei Vox würde mit mehr als zehn Prozent der Stimmen erstmals ins Parlament einziehen.

Klare Verlierer wären den Umfragen zufolge die konservative Volkspartei (PP) und die Linkspopulisten von Podemos.

Die Umfrageergebnisse geben jedoch allenfalls einen Hinweis darauf, wie die Parteien dastehen. Tatsächlich kann sich bis zur Wahl noch sehr viel ändern. Etwa 30 Prozent der Spanier würden erst innerhalb der letzten zwei Wochen vor einer Wahl entscheiden, wem sie ihre Stimme geben, sagt der spanische Politologe Pablo Simón von der Universität Carlos III in Madrid.

Viel hängt außerdem an der Frage, ob es den Parteien gelingt, ihre Wähler zu mobilisieren. In Spanien gebe es traditionell eine soziologische Mehrheit der Linken, erklärt Politikwissenschaftler Fernando Vallespín von der Autonomen Universität Madrid. Doch wenn die potenziellen Wähler am Wahltag zu Hause bleiben, kommt es zu Situationen wie in Andalusien, wo die PSOE nach Jahrzehnten an der Regierung ihre Macht verlor. "Die Linke verliert, wenn sie ihre Wähler nicht mobilisiert", sagt Vallespín. Das ist offensichtlich auch PSOE-Chef Sánchez bewusst, der bereits die "totale Mobilisierung" seiner Partei ausrief, so die Zeitung El País.

Wer regiert künftig in Spanien?

Mehrere Konstellationen sind möglich. Derzeit sieht es so aus, als könnten die rechtsgerichteten Parteien - also die konservative Volkspartei, die liberalen Ciudadanos und die ultrarechte Vox - gemeinsam eine knappe absolute Mehrheit erringen. Sollte das zahlenmäßig funktionieren, scheinen die Berührungsängste der beiden bürgerlichen Parteien mit der Rechtsaußen-Partei gering zu sein. Jedenfalls organisierten sie gemeinsam am vergangenen Wochenende eine Großdemonstration gegen die Regierung.

Sánchez' Sozialdemokraten könnten zwar stärkste Partei werden, aber trotzdem an einer Regierungsbildung scheitern. Der bisherige linke Bündnispartner Podemos dürfte verlieren. Und eine neuerliche Duldung durch die separatistischen katalanischen Parteien scheint ausgeschlossen, nachdem sie der derzeitigen Minderheitsregierung ihre Unterstützung beim Haushaltsentwurf verweigert haben.

Wegen der schwierigen Lage halten die beiden Politologen aus Madrid daher auch noch eine weitere Lösung für möglich, obwohl die beiden Parteien derzeit sehr über Kreuz stehen: ein Regierungsbündnis der PSOE mit den Ciudadanos. Beide Parteien liegen in der Katalonien-Frage im offenen Konflikt miteinander: Sánchez' PSOE ist eine moderate Linie gefahren, während sich die Ciudadanos vollkommen kompromisslos zeigen.

Trotzdem könnte eines am Ende den Ausschlag geben: "Der Wunsch nach Stabilität könnte entscheidend werden", sagt Simón. Das Land habe seit 2015 viel mitgemacht: zwei Wahlen, eine erste konservative Minderheitsregierung, die durch ein Misstrauensvotum gestürzt wurde, und dann eine zweite sozialdemokratische Minderheitsregierung, die mittlerweile regierungsunfähig ist. Nun seien alle Seiten kompromissbereiter. "Ich denke, dass die nächste Regierung in Spanien eine Koalitionsregierung sein wird."

Was bedeuten Neuwahlen für den Katalonien-Konflikt?

Je nachdem, wer am Ende in Madrid regiert, dürfte sich auch das Verhältnis der Zentralregierung zu Katalonien entwickeln. Sollte tatsächlich eine rechte Koalitionsregierung an die Macht kommen, ist kaum zu erwarten, dass diese sich auf kurze Sicht kompromissbereiter gegenüber der katalanischen Regierung verhält als die frühere konservative Minderheitsregierung unter Rajoy.

"Die Haltung der Parteien des rechten Flügels ist klar: Sie wollen den starken Zentralstaat und die Rechte der autonomen Regionen kleinhalten oder sogar reduzieren", stellt Experte Simón fest. Leichter dürfte es sein, den Konflikt zu entschärfen, wenn die Sozialdemokraten an die Macht kommen - auch wenn die jüngsten Erfahrungen der PSOE mit den Separatisten ihre Verhandlungsbereitschaft erst einmal etwas dämpfen mag.

Fraglich ist allerdings, ob die separatistischen Parteien in Barcelona überhaupt eine Entschärfung des Konflikts wünschen - oder nicht vielmehr eine Zuspitzung, um das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter zu stärken. So ist die Lage wohl auch deshalb so verfahren, weil in Katalonien nicht eine, sondern zwei separatistische Parteien regieren - und Simón zufolge kann keine von ihnen Abstriche von ihrer Linie machen, ohne von der anderen sofort als "Verräter" gebrandmarkt zu werden.

Auf lange Sicht, da sind sich die spanischen Politikexperten Simón und Vallespín einig, führt dennoch kein Weg vorbei an zumindest einem vorläufigen Kompromiss in dem Konflikt. "Früher oder später muss man verhandeln. Das geht nicht anders", konstatiert Vallespín, "Madrid kann es sich nicht leisten, dass eine der wichtigsten Regionen des Landes gegen den Staat ist. Aber Katalonien kann es sich auch nicht leisten, dass die Hälfte seiner Bürger in Opposition zur Regionalregierung stehen."

Es brauche jetzt einfach erst mal ein bisschen Zeit, zunächst müsse der Prozess gegen die separatistischen Politiker in Madrid zuende gehen, der seit dieser Woche läuft, dann könne man endlich ernsthaft über eine politische Lösung nachdenken.

Vallespín ist sich sicher, dass es einen Weg aus der verfahrenen Situation gibt: "Dieser Weg muss in einer Wahl enden: Allerdings nicht in einer Wahl, in der so dramatisch, polarisierend entschieden wird zwischen Ja oder Nein." Madrid und Barcelona müssten ein neues Autonomiestatut verhandeln und dann die Katalanen darüber abstimmen lassen.

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