Spanien:Am Ende siegen die Radikalen

Josep Borrell

Josep Borrell

(Foto: AP)
  • Der spanische Außenminister Josep Borrell, ein Katalane, beklagt die Sturheit seiner Landsleute.
  • Die Regierung sei ihnen beim Haushalt entgegengekommen, doch hätten sie stets "absolute Forderungen nach Selbstbestimmung" gestellt.
  • Viele Spanier fühlten sich angegriffen vom katalanischen Nationalismus.

Von Sebastian Schoepp

Josep Borrell gehört zu einer Generation spanischer Politiker, die die Geschicke Europas sehr viel stärker mitgestaltet haben als spanische Politiker von heute. Diese sind meist zu sehr in innenpolitischen Grabenkämpfen gefangen. Borrell war von 2004 bis 2007 Präsident des Europaparlaments, es war die Ära von Javier Solana, Joaquín Almunia und Pedro Solbes.

Das Intermezzo des Sozialisten Pedro Sánchez als Chef einer Minderheitsregierung in Madrid hat den 71-jährigen Borrell für eine kurze und "äußerst intensive Zeit", wie er sagt, als Außenminister zurückgebracht ins internationale Geschäft. In der EU werde Spaniens Bedeutung durch den Ausfall Großbritanniens künftig steigen, hofft Borrell. Sein Land habe die Chance, eine zentrale Rolle an der Seite Frankreichs und Deutschlands einzunehmen.

Ob eine künftige spanische Regierung das auch so sehen wird, ist allerdings die Frage. Selbst wenn Borrells Sozialisten bei der Wahl am 28. April stärkste Partei werden würden, wie jüngste Umfragen verheißen - mehr als eine Neuauflage der gerade gescheiterten kurzlebigen Minderheitsregierung würde womöglich nicht herausspringen. Auch ein scharfer Rechtsruck ist nicht unwahrscheinlich. Ausgerechnet Borrells Heimatregion Katalonien ist für diese Polarisierung in Spanien verantwortlich, die alle politischen Energien bindet. Das sei für ihn persönlich "sehr traurig, ja schmerzlich", wie Borrell im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung  sagt.

Der Etat sah Maßnahmen mit "tiefer sozialer Reichweite" vor

Es waren die katalanischen Abgeordneten in Madrid, die Sánchez bei der Haushaltsabstimmung scheitern ließen - und damit einen Etat, der "Strukturmaßnahmen mit tiefer sozialer Reichweite" vorgesehen habe, wie Borrell sagt. Sánchez habe versucht, mäßigend vorzugehen und der katalanischen Regionalregierung bei strittigen Sachthemen im Rahmen der Verfassung entgegenzukommen.

"Wir waren bereit, über reale Probleme zu reden, wie etwa, was man bei ausbleibenden Investitionen tun kann." Doch stets seien absolute Forderungen nach Selbstbestimmung gestellt worden. Und leider hätten am Ende die radikalen Kräfte obsiegt - wie die Parteigänger Carles Puigdemonts, die den Haushalt blockierten.

Auf die Frage, wie er das Erstarken nationalistischer Kräfte in ganz Spanien bewertet, antwortet Borrell: "Der Franquismus hatte uns gegen so etwas geimpft, darauf waren wir sehr stolz." Es habe in Spanien keine Le Pen, keinen Wilders, keinen Orbán gegeben. Jetzt aber fühlten sich viele Menschen angegriffen vom katalanischen Nationalismus: "Wenn du siehst, wie sie deine Fahne verbrennen, und wenn sie dir sagen, du seist ein Dieb" - das habe "bad feelings" erzeugt, auf beiden Seiten.

Der radikale Independentismus wecke die radikalsten Kräfte des Nationalismus, warnt der Politiker

Als Ausdruck dieser miesen Stimmung sehen viele Kommentatoren die rechtsradikale Partei Vox, die den Einzug in das Regionalparlament im früher roten Andalusien schaffte. Dort duldet Vox nun eine Koalition aus Konservativen und Liberalen, die durchaus als Blaupause für eine künftige nationale Regierung gesehen wird - was den Radikalen in Barcelona ebenso radikale Gegner in Madrid bescheren würde. Richtig viel Streit und keine Lösung: der Traum aller Radikalen. Es sei leider "nicht das erste Mal in der Geschichte Spaniens, dass sich der radikale Independentismus dem Staat entgegengestellt und die radikalsten Kräfte des spanischen Nationalismus weckt", sagt Borrell.

Für ihn als Katalanen ist das ein persönliches Problem. Er stammt aus dem Dorf La Pobla de Segur im Herzen Kataloniens, wo Schriftzüge an den Straßen ihn davor warnen, sich dort wieder blicken zu lassen. "Ich kann nicht zurück", sagt er. "An den Wänden steht, ich sei eine Schande für das Dorf." Und da ist er nicht der Einzige: Die liberale Politikerin Inés Arrimadas, die bei der jüngsten Regionalwahl die meisten Stimmen bekam, sei in vielen Teilen Kataloniens unerwünschte Person.

Die Behauptungen vieler Separatisten, es würden in Katalonien die Menschenrechte verletzt, weist der Außenminister scharf zurück. "Es ist nicht akzeptabel, dass die spanische Demokratie auf diese Weise heruntergemacht wird." Vor allem ärgern den 71-Jährigen Vergleiche mit der Franco-Diktatur, die er selbst noch erlebt hat. Zu behaupten, man könne das heutige Spanien auch nur annähernd mit dem Franquismus vergleichen, sei "eine Beleidigung für die politischen Gefangenen der Franco-Zeit". Niemand könne glauben, zu Zeiten des Franquismus hätten festgenommene Katalanen ihren applaudierenden Anhängern so zuwinken können wie jene, die jetzt vor Gericht erscheinen mussten.

Niemand werde in Spanien wegen seiner Ideen angeklagt

Er bezieht sich auf die zwölf Politiker, denen seit einer Woche in Madrid der Prozess wegen der verfassungswidrigen Unabhängigkeitserklärung vom Oktober 2017 gemacht wird. Am Wochenende forderten Hunderttausende in Barcelona eine Freilassung der "politischen Gefangenen". Auf die Frage, ob es angemessen sei, eine Landesregierung wegen Rebellion anzuklagen und sie mit jahrzehntelangen Haftstrafen zu bedrohen, sagt Borrell: Als Madrider Regierungsmitglied stehe es ihm nicht zu, eine Meinung zu dem Prozess abzugeben. Aber das spanische Rechtssystem genüge allen internationalen Standards. Allein die Tatsache, dass zu Zeiten der konservativen Regierung Mitglieder der Regierungspartei, darunter ein früherer Wirtschaftsminister, wegen Korruption ins Gefängnis geschickt worden seien, zeige ja, dass spanische Richter einiges an Unabhängigkeit besitzen. Niemand werde in Spanien wegen seiner Ideen angeklagt. Der Unterschied bestehe darin, vom Denken zum Handeln überzugehen.

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