Man nennt ihn den "Gentleman" von Barcelona. Manche glauben gar, eine Ähnlichkeit mit George Clooney zu erkennen. Andere erinnert er in seinem nüchternen Auftreten eher an einen Deutschen, an Olaf Scholz. Jaume Collboni, 53 Jahre alt und Sozialist, möchte Bürgermeister von Barcelona werden. Es ist sein dritter Anlauf. In der zurückliegenden Legislaturperiode brachte er es immerhin zum Vize der linksalternativen Bürgermeisterin Ada Colau. Die beiden schrieben sich auf die Fahnen, Barcelona zu einer lebenswerteren und einer grüneren Stadt zu machen.
Doch im Februar brach Collboni mit Colau, um selbst ins Rennen um das Bürgermeisteramt einzusteigen. Nun verspricht er, weder der Linken Colau (Barcelona en Comú) noch dem konservativen Unabhängigkeitsvertreter Xavier Trias (Junts) ins Amt verhelfen zu wollen. Die Botschaft ist klar: Diesmal will Collboni selbst in die Casa de la Ciutat einziehen, das Rathaus an der Plaça de Sant Jaume. Passt ja auch, vom Vornamen her.
Sánchez erhofft den Sieg der Sozialisten in Barcelona - er hätte ein Problem weniger
Jaume Collboni kämpft in Barcelona nicht nur für sich oder für die katalanischen Sozialisten, er kämpft auch für den Parteichef des Partido Socialista Obrero Español (PSOE) in Madrid. Der heißt Pedro Sánchez und dürfte an diesem Sonntag mindestens so nervös sein wie Collboni selbst. Denn wenn am 28. Mai in Spaniens Kommunen und in zwölf der 17 autonomen Regionen gewählt wird, dann gilt der Ausgang dieser Wahlen auch als wichtiges Signal für die spanienweite Parlamentswahl, die Ende des Jahres angesetzt ist.
"Sánchez würde Barcelona gewinnen, aber Sevilla verlieren", titelte die rechte Zeitung La Razón in dieser Woche angesichts der jüngsten Umfragen aus den großen Städten. Wenn es so käme, wäre das für den Regierungschef gut und schlecht zugleich: Schlecht, weil Sevilla so etwas wie die "Kathedrale des Sozialismus" ist, und wenn der PSOE diese verlöre, sähe es womöglich so aus, als sei alles verloren. Aber gleichzeitig wäre dieses Szenario auch gut, denn wenn die Sozialisten Barcelona gewinnen, haben sie eine Festung zurückerobert.
Barcelona ist nicht nur Spaniens zweitgrößte Stadt und gewichtiger Gegenpol zum rechtsregierten Madrid. Sánchez hofft dort auch deshalb auf einen Sieg von Collboni, weil dies erstens die Wahrscheinlichkeit erhöhen würde, dass er selbst im Winter wiedergewählt wird, und er zweitens darauf hoffen dürfte, dass die katalanischen Sozialisten auch demnächst in die Regionalregierung der Generalitat einziehen. Dort unterstützen sie derzeit die Minderheitsregierung der Linksrepublikaner. Katalonien wäre damit endgültig befriedet, und der Regierungschef in Madrid hätte ein Problem weniger.
Doch allzu sicher darf sich Sánchez und darf sich auch Collboni eines sozialistischen Wahlerfolgs am Sonntag nicht sein. Die Umfragen sagen ein denkbar knappes Ergebnis in Barcelona voraus: Jaume Collboni liegt sowohl mit der bisherigen Amtsinhaberin Ada Colau gleichauf als auch mit Junts-Mann Xavier Trias. Jeder der drei aussichtsreichsten Kandidaten bräuchte einen Koalitionspartner. Wenn aber Collboni nicht mehr Colau ins Amt verhelfen will, bleibt ihm nur, sich mit Trias zusammenzutun - oder darauf zu hoffen, dass er so deutlich vor Colau liegt, dass diese ihn zum Bürgermeister macht. Dann hätten die Bürgermeisterin und ihr bisheriger Vize die Plätze getauscht.
Colaus Idee der "Superblocks" wird inzwischen nach Berlin importiert
Doch Umfragen sind keine Wahlergebnisse, und in den Fernsehdebatten schlug sich Ada Colau nach Meinung vieler Beobachter deutlich besser als ihre Herausforderer. Sie hat schließlich in ihren eigenen Augen auch einiges vorzuweisen: Während ihrer Amtszeit ist es ihr gelungen, den Tourismus einzuhegen (na gut, es war auch die Pandemie), die Stadt stellenweise grüner zu machen (wobei nach wie vor viel Luft nach oben ist) und in einigen Vierteln den Verkehr zu beruhigen - das immerhin ist ein Modellprojekt mit internationaler Strahlkraft.
Diese sogenannten "Superilles", die verkehrsberuhigten Superblöcke, die unter dem Namen "Kiezblocks" gerade auch in Berlin importiert werden, sind eines der heißen Wahlkampfthemen. An ihm zeigt sich deutlich, wo die Bruchlinien zwischen den Kandidaten verlaufen. Für Colau sind die Superblöcke eine Erfolgsgeschichte. Sie begann im Sommer 2016 mit einem ersten Versuch im Viertel Poblenou. Der Durchgangsverkehr wurde ausgesperrt, Straßen gehörten fortan vor allem Fußgängern und Radfahrern, neue Grünflächen entstanden. Aus einem ersten Experiment wurden sechs Superblöcke, die sich über die Stadt verteilen und nach und nach durch sogenannte "grüne Achsen" miteinander verbunden werden sollen.
Colau ging damit eines der großen Probleme Barcelonas an: Die Stadt gehört mit Paris und Athen zu den drei am dichtesten besiedelten Gebieten der Europäischen Union, Grün ist Mangelware, der Verkehr droht die Innenstadtviertel an jedem Morgen und jedem Abend zu ersticken. Colau lässt keinen Zweifel daran, dass sie ihr Projekt fortzusetzen und auszuweiten gedenkt, sollte sie wiedergewählt werden.
Doch die Superblocks gefallen nicht jedem. Eva Parera, Spitzenkandidatin der liberalen Formation Valents, etwa wettert, um dieses Projekt habe niemand gebeten, es schaffe Verkehrsprobleme und habe 53 Millionen Euro Steuergelder gekostet. "Es ist außerdem die perfekte Entschuldigung dafür, das zu tun, was Comú am liebsten tut: verbieten und regulieren." Ähnlich dezidiert spricht sich Junts-Kandidat Xavier Trias gegen die Verkehrsberuhigung aus. Colau erreiche damit vor allem eines: den völligen Verkehrskollaps der Stadt.
Wird Collboni vom Scholz-Effekt profitieren?
Und was sagt Jaume Collboni, der sich als Sozialist ja ebenfalls eine klimafreundliche Politik auf die Fahne geschrieben hat? Er sieht die verkehrspolitische Rettung Barcelonas in einer größeren Verbreitung von E-Autos und drückt sich so ein wenig vor der Frage, wie man im engen Stadtzentrum mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer schafft. Hauptsache, niemandem wehtun.
Das Beispiel zeigt, wie schwierig es für Collboni ist, sich in diesem Wahlkampf zwar links zu positionieren, aber keinesfalls so weit links wie Ada Colau. Und wie herausfordernd ein Wahlkampf ist, den man als Juniorpartner der Amtsinhaberin gestartet hat. Alles verdammen, was die bisherige Bürgermeisterin bewirkt hat, kann er schließlich auch nicht. Hierin immerhin ähnelt Collboni nun tatsächlich Olaf Scholz. Denn auch Scholz musste sich als Kanzlerkandidat erst des Images entledigen, die SPD sei nach acht Jahren großer Koalition für immer und ewig Juniorpartner der Union. Ihm ist die Emanzipation geglückt. An diesem Sonntag wird sich zeigen, ob Collboni profitieren kann vom Scholz-Effekt - jener Verheißung von Neuanfang bei gleichzeitiger Kontinuität.