Spanische Monarchie:Held der Selbstdemontage

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Alter Mann, was nun: Juan Carlos I., eingerahmt vom damaligen Kronprinz Felipe und seiner Frau Letizia im Jahr 2012. (Foto: Dominique Faget/AFP)

Vom Architekten der spanischen Demokratie zum Schürzenjäger und zur Karikatur des alten weißen Mannes. Walther L. Bernecker zeichnet das schillernde Leben von Juan Carlos I. recht nüchtern nach.

Rezension von Sebastian Schoepp

Es gibt weltweit kaum eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die einen derartigen Ansehensverlust hat hinnehmen müssen, wie Spaniens früherer König Juan Carlos I.: vom Architekten der spanischen Demokratie, als den ihn immer noch viele Ältere sehen, zum Schürzenjäger und geldgierigen Intriganten, zur Karikatur des alten weißen Mannes, als der er in der Wahrnehmung der meisten Jüngeren dasteht. Was ist Don Carlos von Spanien wirklich? Wohl beides. Der Imageverlust sagt womöglich weniger über den gefallenen Monarchen selbst aus als über die Verschiebung der Kriterien, mit denen Menschen bemessen werden. War eine breite Öffentlichkeit Ende des 20. Jahrhunderts noch willens, spät feudalistische Verhaltensweisen zu tolerieren, solange sozusagen die Rechnung aufging und die Leistung stimmte, so hat sich der Kriterienkatalog seither ins Gegenteil verkehrt: Stimmt die Moral nicht, ist auch die Lebensleistung nichts mehr wert. Die Verlierer solcher Entwicklungen sind meistens die, die an der Bruchstelle der Epochen wirken.

Walther L. Bernecker: Juan Carlos I., König von Spanien. Ein biographisches Porträt. Edition Tranvia, Berlin 2024. 252 Seiten, 20 Euro. (Foto: Edition Tranvia)

Wenn jemand sich berufen fühlen darf, die Lebensbrüche des Juan Carlos I. in einem biografischen Porträt nachzuzeichnen, dann ist es zweifellos Walther L. Bernecker, Hispanist, Historiker und langjähriger Inhaber des Lehrstuhls für Auslandswissenschaft und Romanischsprachige Kulturen an der Universität Erlangen. Aus den nicht gerade üppigen politisch-wissenschaftlichen Veröffentlichungen über die iberoamerikanische Welt im deutschen Sprachraum ragt sein Lebenswerk heraus, kaum jemand hat fleißiger publiziert. In der spanischsprachigen comunidad ist er eine feste Größe und wurde dafür 2007 mit dem Orden Isabel la Católica bedacht – von eben jenem Juan Carlos I.

Zeitzeuge und Weggefährte

Bernecker, Jahrgang 1947, ist also Zeitzeuge, wenn nicht sogar in gewisser Weise Weggefährte seines Protagonisten. Er gehört jener Generation an, die den Aufstieg dieses dynamischen Königs, der 1975 so gar nicht monarchisch, sondern kumpelhaft, anpackend, hemdsärmlig daherkam, atemlos verfolgte. Bernecker schildert in seinem neuen Buch, wie Juan Carlos in einem Akt mal austarierter, mal rabiater politischer Ingenieurskunst das faulige System des Diktators, der ihn als Erben eingesetzt hatte, nicht etwa zu konservieren versuchte, sondern von innen heraus demontierte, wie der junge König die Fassade des national katholischen Franco-Spaniens einriss und maßgeblich daran mitwirkte, sein Land aus dem ideologischen Mittelalter zu holen. Das war 1975 keine Selbstverständlichkeit, in einer Epoche, als etwa die schlimmsten lateinamerikanischen Militärdiktatoren erst in den Startlöchern standen und von den USA nach Kräften unterstützt wurden, wenn sie nur das Schreckgespenst des Kommunismus in Schach zu halten versprachen. Bernecker schildert ausführlich, wie Juan Carlos das gelang, ohne sich zum Diktator aufzuschwingen – nämlich, indem er seinen Landsleuten etwas Besseres anbot: die parlamentarische Demokratie und damit die Anbindung an Europa.

Der General und der Prinz: Juan Carlos (l.) und Diktator Francisco Franco im Jahr 1971. (Foto: DSK/AFP)

Helden der Demontage hat Hans Magnus Enzensberger solche Politiker mal genannt, doch leider folgte danach jene Entwicklung im Leben Juan Carlos I., die man ebenso atemlos verfolgen konnte wie seinen Aufstieg, jedoch diesmal mit atemlosem Entsetzen: die Selbstdemontage bis zur Abdankung 2014 und zur Flucht nach Abu Dhabi. In der ersten Lebenshälfte war der König seiner Epoche vorausgeeilt, nun setzte er dazu an, rückwärts aus der Zeit zu fallen. Berneckers originellster Gedanke ist, dass das eine mit dem anderen zu tun haben könnte: 1982, als die spanische Demokratie endlich gefestigt war, mag Juan Carlos zu der Überzeugung gelangt sein, „dass es nicht der ständigen Interventionen durch den Monarchen bedurfte, dieser vielmehr einen Anspruch darauf hatte, sein Leben (das er als einen langen Opfergang betrachtete) endlich zu genießen“.

Unfassbar stümperhaftes Affären-Management

Warum sich nach getaner Arbeit nicht mal etwas gönnen? Das eigene Familienleben bot dafür anscheinend wenig Gelegenheit: der Sohn ein Spießer, die Schwiegertochter depressiv, die Ehefrau schmallippig. Juan Carlos aber glaubte anscheinend, mehr verdient zu haben, Geld, die Geliebte, Yacht und Jagd. Leider suchte er sich die aus seiner Sicht falsche Frau für seine Eskapaden aus, Corinna Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein-Sayn, geborene Larsen, war mitnichten eine Gespielin, sondern eine ausgefuchste Geschäftsfrau, die den Monarchen nicht nur nach Strich und Faden ausnahm, sondern zudem auch noch das Kunststück fertigbrachte, sich danach medial erfolgreich als Opfer zu präsentieren – wobei es ihr der spanische Staatsapparat leicht machte durch unfassbar stümperhaftes Affären-Management. Eine Posse eigentlich, wenn es nicht so traurig wäre, weil sich die ganze Schmierenkomödie um missglückte Elefantenjagd und schwarze Kisten voller Geld vor dem Hintergrund der schlimmsten spanischen Krise der jüngeren Zeit abspielte, als Hunderttausende um ihre Existenz fürchteten.

Abgedankt vor zehn Jahren: Juan Carlos im Jahr 2014. (Foto: Dani Pozo/AFP)

Das alles hat Walther Bernecker faktentreu aufgeschrieben, wobei er sich in vielen Teilen an jüngere spanische Standardveröffentlichungen gehalten hat. Es wird brav wissenschaftlich zitiert und wenig gemeint in diesem biografischen Porträt, wer sich einen sachlichen Überblick verschaffen möchte über die verwickelte Intrigengeschichte, ist hier richtig. Wer allerdings eine Einschätzung erwartet, was von dem allen zu halten ist, und wie Juan Carlos der Nachwelt erhalten bleiben wird, als Held oder als Herrenreiter, der muss tatsächlich bis zum – dann allerdings wenig überraschenden - allerletzten Satz warten.

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