Katalonien gegen Spanien:Juristischer Erfolg für inhaftierten Separatistenführer

Oriol Junqueras, Katalonienkonflikt

Jubel bei den Separatisten: Der Europäische Gerichtshof spricht Oriol Junqueras Immunität zu. Der spanische Separatist war zum Abgeordneten des Europaparlaments gewählt worden.

(Foto: AP)

Der wegen Aufruhrs verurteilte Katalane Junqueras ist von Spanien zu Unrecht an der Aufnahme seines Mandats als Europaabgeordneter gehindert worden, urteilt der Europäische Gerichtshof. Es ist der jüngste Schritt im schon lange währenden Konflikt zwischen spanischer Zentralregierung und Katalonien. Eine Chronologie.

Von Barbara Galaktionow

Mit dem Gerichtsprozess gegen führende katalanische Separatisten hat in Madrid die juristische Aufarbeitung eines politischen Dramas begonnen, das mit der Ausrufung der Unabhängigkeit im Oktober 2017 einen Höhepunkt erreicht hatte. Der Konflikt zwischen Barcelona und Madrid reicht allerdings sehr viel weiter zurück. Die Spannungen zwischen Katalonien und Spanien haben historische Gründe.

Historische Wurzeln des Katalonien-Konflikts

Im 18. Jahrhundert: Beginn der Schmach

Der katalanische Nationalfeiertag am 11. September erzählt eine blutige Geschichte: Am 11. September 1714 kapitulierte die Stadt Barcelona nach einem verheerenden Angriff durch die spanische Krone. Katalonien hatte im Spanischen Erbfolgekrieg den habsburgischen Thronprätendenten unterstützt. Damals verlor Barcelona seine angestammte Rechtsverfassung. Der Nationalfeiertag erinnert noch immer an diese Schmach, die sich tief ins kollektive Bewusstsein gegraben hat.

Im 19. Jahrhundert: Ursprung der gehässigen Hymne

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand die katalanische Hymne, die vom Bauernaufstand im Jahr 1640 handelt. Der Text zeugt von der Abscheu gegen Madrid und das von ihm repräsentierte Kastilien, das als "protzig" und "hochmütig" bezeichnet wird. Schon hier findet man die vage Ankündigung einer Unabhängigkeit: "Es wird die Zeit kommen, in der wir unsere Ketten zersägen."

1936-1939: Spanischer Bürgerkrieg

Während des Spanischen Bürgerkriegs war Katalonien die Hochburg der Republikaner und der Linken, die gegen den Faschismus kämpften. Schon zuvor hatten die Katalanen 1932 nach der Ausrufung der Republik eine erste Autonomie erlangt. Unter anderem sollte ihre kulturelle und sprachliche Unabhängigkeit geschützt sein. Die Autonomie gilt - mit einer Unterbrechung - bis zum Jahr 1939, in dem Francos Truppen Katalonien erobern. Im Franquismo ist jede Äußerung eines katalanischen Nationalismus verboten und wird brutal verfolgt.

Vorgeschichte des aktuellen Konflikts

1979 und 2006: Autonomiestatut verspricht Freiheit

Mit der Verfassung von 1978 wird nach dem Ende der Franco-Diktatur in Spanien eine freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung geschaffen; diese wird auch in Katalonien mehrheitlich angenommen. Während des Übergangs zur Demokratie erhalten die Katalanen in einem Autonomiestatut weitgehende Rechte zur Selbstverwaltung und sprachlichen wie kulturellen Unabhängigkeit. Dieses Statut wird im Jahr 2006 überarbeitet - und in der Folge von den Parlamenten angenommen, von den Katalanen in einem Referendum bestätigt und von König Juan Carlos unterzeichnet.

2010: Verfassungsgericht annulliert das neue Autonomiestatut

Auf Einspruch der konservativen Volkspartei (PP) hebt das spanische Verfassungsgericht das veränderte Autonomiestatut auf. Die Konservativen hatten sich unter anderem an der Präambel gestört, in der von einer "katalanischen Nation" die Rede war. In der Neufassung des Statuts war auch vorgesehen, dass der Großteil des katalanischen Steueraufkommens von Barcelona selbst verwaltet werden kann, ähnlich wie im Baskenland. Nach der Annullierung des Statuts bleibt alles beim Alten.

2011: Folgen der Wirtschaftskrise erschüttern Spanien

Im Jahr 2011 wird nicht nur Rajoy zum spanischen Ministerpräsidenten gewählt. Es ist auch das Jahr, in dem die Arbeitslosigkeit in Spanien auf mehr als 20 Prozent ansteigt. Katalonien bleibt auch während der Krise eine der wirtschaftsstärksten Regionen des Landes. Die Regierung in Barcelona führt nun ökonomische Argumente für eine finanzielle Autonomie ins Feld. Der Streit über die Steuereinnahmen ist vergleichbar mit Diskussionen über den Länderfinanzausgleich in Deutschland. Die Regierung in Madrid bleibt hart.

20. September 2012: Erstmals offene Eskalation

Der damalige katalanische Regionalpräsident Artur Mas schlägt Spaniens Ministerpräsident Rajoy vor, über eine Reform des Finanzausgleichs zu sprechen, da dieser Katalonien übermäßig belaste. Rajoy blockt ab: Dieses Thema stehe nicht zur Debatte, erst müsse die Krise bewältigt werden. Nach diesem Tag kippt die Stimmung, die katalanische Regierung betreibt erstmals offen separatistische Politik. Das Schlagwort von der "Ausplünderung Kataloniens" macht die Runde.

9. November 2014: Erste Abstimmung über Unabhängigkeit

Erstmals stimmen die Katalanen in einer symbolischen Volksbefragung darüber ab, ob sie sich vom spanischen Zentralstaat lossagen wollen. Eine überwältigende Mehrheit der Abstimmenden spricht sich für die Unabhängigkeit aus, nämlich etwa 80 Prozent. Allerdings nehmen nur etwa 40 Prozent der Wahlberechtigten an dem Votum teil. Die Abstimmung wird vom spanischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt.

27. September 2015: Katalanen wählen Puigdemont zum Regionalpräsidenten

Die Parlamentswahlen 2015 sollen "plebiszitären Charakter" haben, die Unabhängigkeit ist eines der dominanten Themen des Wahlkampfs. Puigdemont geht als neuer Regionalpräsident aus ihnen hervor. Seit der Wahl sind die Sezessionisten im Regionalparlament in Barcelona in der Mehrheit.

Eskalation zwischen Barcelona und Madrid

6. September 2017: Regionalparlament treibt Unabhängigkeitsreferendum voran

Die Opposition hatte keine Chance, sich darauf vorzubereiten: Durch eine überraschende Änderung der Tagesordnung und unter Umgehung der vorgesehenen parlamentarischen Verfahrenswege bringt die Regierung ein Gesetz für ein Referendum ins Parlament ein. Es wird prompt verabschiedet. Nun ist klar: Am 1. Oktober sollen die Katalanen über ihre Unabhängigkeit abstimmen.

11. September 2017: Katalanischer Nationalfeiertag

Der Nationalfeiertag steht in diesem Jahr im Zeichen des anstehenden Referendums. Wie jedes Jahr pilgern Separatisten zum Denkmal des Rafael Casanova i Comes, des Verteidigers von Barcelona in der Schlacht von 1714. Aber dieses Jahr ist die Stimmung eine andere als in den Jahren zuvor. Eine Million Menschen ziehen in der katalanischen Metropole auf die Straßen, um für die Loslösung von Spanien zu demonstrieren.

1. Oktober 2017: Tag des Unabhängigkeits-Referendums

Obwohl das Verfassungsgericht in Madrid das Referendum für verfassungswidrig erklärt, lässt die katalanische Regierung die Abstimmung durchführen. Bilder von Polizisten, die Schlagstöcke gegen Zivilisten auf dem Weg ins Wahllokal erheben, gehen um die Welt und sorgen für Empörung. Die spanische Regierung wirft Puigdemont vor, es auf die Entstehung genau solcher Bilder abgesehen zu haben. Das Ergebnis der Abstimmung: 90 Prozent für die Ausrufung einer katalanischen Republik - allerdings bei nur 42 Prozent Wahlbeteiligung.

27. Oktober 2017: Unabhängigkeitserklärung - und Entmachtung

Der katalanische Regierungschef Puigdemont gerät nach dem Referendum zunehmend unter Druck - und lässt am Ende das katalanische Parlament abstimmen. Das erklärt am 27. die Unabhängigkeit der Region, die Oppositionsparteien boykottieren die Abstimmung. Tausende Demonstranten feiern den Schritt auf den Straßen Barcelonas. Madrid reagiert sofort: Wie angekündigt wird die katalanische Regierung gemäß Artikel 155 der spanischen Verfassung entmachtet; Neuwahlen in Katalonien werden ausgerufen. Die Region wird bis dahin unter Zwangsverwaltung gestellt. In den folgenden Tagen ziehen erneut Hunderttausende Demonstranten in Madrid und Barcelona auf die Straßen - nun aber auch die Gegner einer Abspaltung Kataloniens.

Oktober und November 2017: Haftbefehl gegen Puigdemont - Regionalpräsident im Exil

Die spanische Staatsanwaltschaft erhebt am 30. Oktober Anklage gegen Puigdemont. Die Vorwürfe lauten Rebellion, Auflehnung gegen die Staatsgewalt und Unterschlagung öffentlicher Gelder. Am Abend wird bekannt, dass sich Puigdemont und vier Minister seiner entmachteten Regierung in die belgische Hauptstadt Brüssel abgesetzt haben. Am 3. November erlässt der Staatsgerichtshof in Madrid daher auch einen Europäischen und einen Internationalen Haftbefehl. Puigdemont und seine Mistreiter stellen sich daraufhin der belgischen Polizei. Drei Tage später werden sie gegen Auflagen aus dem Polizeigewahrsam entlassen.

5. Dezember 2017: Madrid zieht Europäischen Haftbefehl zurück

Knapp einen Monat danach zieht die spanische Justiz den Europäischen Haftbefehl zurück - vermutlich deshalb, weil Spanien fürchten muss, dass die belgische Justiz nicht in seinem Sinne entscheiden würde. Die nationalen Haftbefehle bleiben bestehen. ​In Spanien gibt es mittlerweile weitere Anklagen und Verhaftungen. So wird unter anderem der bisherige katalanische Vize-Regierungschef Oriol Junqueras am 2. November in Untersuchungshaft genommen, er ist bis heute inhaftiert.

21. Dezember 2017: Regionalwahl unter ungewöhnlichen Bedingungen

Bei der von der Zentralregierung in Madrid angesetzten Regionalwahl verteidigt das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter seine absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Das Wahlbündnis Puigdemonts, Junts per Catalunya (JxCat), erzielt überraschend das beste Ergebnis im Lager der Separatisten. Stärkste Einzelpartei werden allerdings die liberalen Ciutadans, entschiedene Gegner einer Abspaltung Kataloniens. Die Volkspartei von Ministerpräsident Rajoy geht deutlich geschwächt aus der Abstimmung hervor. Die Wahl verzeichnet mit fast 82 Prozent eine Rekordbeteiligung.

Es ist eine Wahl der Abwesenden. JxCat-Spitzenkandidat Puigdemont hat den Wahlkampf aus dem Exil in Belgien heraus bestritten. Sein Stellvertreter Jordi Sànchez, Vorsitzender der einflussreichen Gruppierung Katalanische Nationalversammlung (ANC), sitzt in U-Haft. Und auch der Spitzenkandidat der Republikanischen Linken (ERC), Oriol Junqueras, ist in Madrid inhaftiert.

Politische Neuordnung in Barcelona und Madrid

Januar 2018: Puigdemont zum Regionalpräsidenten-Kandidaten ernannt

Am 22. Januar 2018 ernennt der frisch gewählte katalanische Parlamentspräsident Roger Torrent den entmachteten Regionalpräsidenten Puigdemont offiziell zum "einzigen Kandidaten" für die erneute Führung der Regierung in Barcelona. Puigdemont erwägt, Katalonien vom Exil in Brüssel aus zu führen. Doch das Verfassungsgericht in Madrid schiebt dem einen Riegel vor.

März und April 2018: Puigdemont in Deutschland in Haft

In mehreren Staaten Europas tritt Puigdemont unbehelligt auf. Doch auf der Durchreise von Finnland nach Belgien wird der Katalane am 25. März in Schleswig-Holstein festgenommen, nachdem die Justiz in Madrid kurz zuvor ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet und einen neuen Europäischen Haftbefehl erlassen hat. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft erlässt das Oberlandesgericht Schleswig Anfang April einen Auslieferungshaftbefehl gegen Puigdemont. Da es keine Fluchtgefahr sieht, setzt es den Haftbefehl gegen Zahlung einer Kaution außer Kraft. Puigdemont kommt auf freien Fuß. Bei der spanischen Regierung löst die Entscheidung des deutschen Gerichts Empörung aus.

Mai 2018: Torra zum Regionalpräsidenten Kataloniens gewählt

Nach Monaten der Unsicherheit ist die Regierungskrise in Katalonien offiziell beendet. Nachdem Puigdemont wenige Tage zuvor auf seine erneute Kandidatur verzichtet hat, wird der eher unbekannte Quim Torra am 14. Mai zu dessen Nachfolger als katalanischer Regierungschef gewählt. Zuvor waren vier Versuche zur Regierungsbildung gescheitert. Die Zeit drängte: Denn wenn es bis zum 22. Mai keine neue Regierung gegeben hätte, hätten die Katalanen erneut an die Urnen gehen müssen.

Juni 2018: Regierungswechsel in Madrid

Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy wird durch ein Misstrauensvotum am 1. Juni abgesetzt. Sozialistenchef Pedro Sánchez tritt an seine Stelle. Mit dem Machtwechsel in Madrid ändert sich auch die Haltung der Zentralregierung zu Katalonien. Anders als Rajoy, der durch seine beinharte Haltung den Konflikt befeuert hat, setzt Sánchez auf Dialog. Als erstes Zeichen des guten Willens lässt Sánchez Anfang Juli sechs der neun inhaftierten Separatisten in Gefängnisse in Katalonien verlegen. Zwar lehnt auch Sánchez ein Unabhängigkeitsreferendum in der Region ab, doch zeigt er sich bereit, über den umstrittenen Finanzausgleich zwischen den Regionen zu verhandeln.

Juli 2017: Puigdemont darf ausgeliefert werden - aber nicht wegen Rebellion

Das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entscheidet am 12. Juli: Eine Auslieferung Puigdemonts sei zulässig. Eine Auslieferung auf Grundlage des Vorwurfs der Rebellion erklärt es jedoch für unzulässig, weil das Merkmal der "Gewalt" fehle, wie es im vergleichbaren deutschen Straftatbestand des "Hochverrats" festgelegt sei. Nur den Vorwurf der "Veruntreuung öffentlicher Gelder" lässt es grundsätzlich gelten. Das heißt, würde Puigdemont tatsächlich an Spanien ausgeliefert, dürfte er dort nicht wegen Rebellion belangt werden, dem Hauptvorwurf der spanischen Justiz. Die verzichtet daraufhin auf eine Auslieferung - und zieht wenige Tage später den Europäischen Haftbefehl zurück. Puigdemont kann sich nun in ganz Europa frei bewegen - außer in Spanien. Er verlässt Deutschland und kehrt nach Brüssel zurück.

11. September 2018: Hunderttausende an "Diada" auf Barcelonas Straßen

Am katalanischen Nationalfeiertag erneut fast eine Million Menschen auf die Straßen. Sie fordern Unabhängigkeit - aber vor allem die Freilassung der "politischen Gefangenen", der inhaftierten Separatistenführer. Mit welcher Macht man die Abspaltung der Region im Moment noch vorantreiben sollte, darüber herrscht mittlerweile Uneinigkeit im Lager der Pro-Unabhängigkeits-Parteien.

Prozess gegen die Separatisten

25. Oktober 2018: Separatisten werden angeklagt

Die Ermittlungen haben fast ein Jahr angedauert, nun entscheidet das Oberste Gericht Spaniens: Der frühere katalanische Vizepräsident Oriol Junqueras und 17 weitere separatistische Politiker und Aktivisten Kataloniens müssen sich vor Gericht verantworten. Der Hauptvorwurf - der allerdings nur für neun Angeklagte erhoben wird - lautet auf Rebellion. Hinzu kommen der Verdacht auf Ungehorsam und die Unterschlagung öffentlicher Gelder. Letzterer bezieht sich auf öffentliche Mittel, die für die Finanzierung des illegalen Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017 genutzt wurden. Neun der nun angeklagten Politiker und Aktivisten sitzen bereits seit Ende 2017 in Untersuchungshaft.

November 2018: Anklage fordert hohe Haftstrafen für führende Separatisten

Die spanische Staatsanwaltschaft veröffentlicht am 2. November ihre Forderung für das Strafmaß für die 18 Angeklagten: Der frühere Vize-Regionalpräsident Oriol Junqueras soll demnach 25 Jahre ins Gefängnis, acht weitere Angeklagte zwischen 16 und 17 Jahre, andere sieben. Außerdem fordert die Behörde oft jahrelange Verbote zur Ausübung öffentlichter Ämter sowie Geldstrafen für einige der separatistischen Politiker und Aktivisten. Im Dezember treten vier der Inhaftierten für etwa drei Wochen in Hungerstreik. Sie werfen dem spanischen Verfassungsgericht vor, durch verfahrensmäßige Winkelzüge Eingaben beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu blockieren.

Februar 2019: Sánchez unter Druck - Separatistenparteien drohen mit Ablehnung des Budgetentwurfs

Eine Woche vor Prozessbeginn gerät die spanische Minderheitsregierung von Pedro Sánchez massiv unter Druck. Sie ist von den Stimmen der katalanischen Separatisten im nationalen Parlament abhängig. Diese drohen Sánchez Anfang Februar mit der Ablehnung des Haushaltsentwurfs im Parlament, sollte die Regierung in Madrid nicht vor Prozessbeginn ein deutliches Zeichen zugunsten der Angeklagten senden. Dabei ist der Budgetentwurf für Barcelona vorteilhaft - er sieht unter anderem eine Erhöhung der Investionen in der Region von 13 auf 18 Prozent vor.

Auf der anderen Seite werfen die konservative Volkspartei und die liberalen Ciudadanos dem Regierungschef vor, einen Kuschelkurs mit den Separatisten zu fahren. Sie sprechen von Verrat.

12. Februar 2019: Prozessbeginn in Madrid

Mehr als ein Jahr nach dem illegalen Unabhängigkeitsreferendum beginnt vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid der Prozess gegen zwölf führende Separatisten. Der exilierte frühere Regionalpräsident Puigdemont spricht in Berlin von einem "Prozess, den es nie hätte geben dürfen". In den folgenden Tagen kommen erst einmal die Angeklagten und ihre Verteidiger zu Wort - sie bezeichnen das Verfahren als unrechtmäßig. Der Hauptangeklagte Oriol Junqueras sieht sich als "politischer Gefangener". Er sagt, dass er für Ideen vor Gericht stehe, nicht für etwas, das er tatsächlich getan habe. Die Verteidigung argumentiert zudem, dass der frühere Ministerpräsident Rajoy im Oktober 2017 nicht den Ausnahmezustand in Katalonien ausgerufen habe - was er wohl getan hätte, wenn es sich tatsächlich um eine Rebellion gehandelt hätte.

Rajoy sagt Ende Februar als einer von etwa 600 Zeugen im Prozess aus. Dabei verteidigt er sein Vorgehen gegenüber den Separatisten: "Es gab nichts zu verhandeln." Der frühere Regierungschef verweist darauf, dass die katalanische Regierung mit ihrem Referendum die Verfassung gebrochen habe. Um diese zu ändern, hätte Regionalpräsident Puigdemont sich ans Parlament wenden müssen, nicht an die Regierung. "Spanien ist, was die Spanier wollen, und nicht nur, was manche Spanier wollen", sagt Rajoy.

13. Februar 2019: Spanische Regierung scheitert mit Haushaltsplan

Die katalanischen Separatisten im Parlament, ERC und PDeCAt, und stimmen mit der rechten und liberalen Opposition gegen den Budgetentwurf der Sánchez-Regierung. Der Grund: Sie sehen sich von der spanischen Zentralregierung nicht genügend unterstützt. Zwei Tage später setzt der dadurch nahezu handlungsunfähig gewordene Ministerpräsident Sánchez Neuwahlen für Ende April an.

28. April 2019 Sozialisten gewinnen Parlamentswahl

Die PSOE von Ministerpräsident Sánchez wird erneut stärkste Partei. Diesem gelingt es allerdings über Monate hinweg nicht, eine Mehrheit zustande zu bringen. Der Knackpunkt sind diesmal allerdings nicht die katalanischen Separatisten, sondern eine fehlende Einigung mit dem Linksbündnis Unidas Podemos. Im September erklärt das spanische Königshaus die Regierungsbildung für gescheitert. Neuwahlen werden angesetzt.

26. Mai 2019 Angeklagter Junqueras ins Europaparlament gewählt

Der Chef der katalanischen Linksrepublikaner (ERC), Oriol Junqueras, wird bei der Europawahl zum Abgeordneten gewählt. Junqueras, der wegen der Rebellions-Anklage in Haft sitzt, beruft sich auf seine Immunität. Doch das Oberste Gericht in Madrid entscheidet im Juni, dass er das Amt nicht antreten kann, solange in Spanien gegen ihn der Prozess läuft. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) will sich am 14. Oktober mit der Frage befassen.

12. Juni 2019: Schlusswort der Angeklagten

Die Anhörungen im Katalonien-Prozess vor dem Obersten Gericht in Madrid gehen nach vier Monaten zu Ende. Erwartungsgemäß bekennt sich keiner der zwölf Angeklagten zu den Vorwürfen der Rebellion und der Veruntreuung öffentlicher Gelder. Die Verteidiger räumen allenfalls "Ungehorsam im Amt" ein. Während der frühere katalanische Innenminister Joaquim Forn in seinem Schlusswort betont, es habe nicht in seiner Absicht gelegen, gegen Gesetze zu verstoßen, zeigt sich vor allem Jordi Cuixart, Chef von Òmnium, einer der zwei größten katalanischen Separatistenvereinigungen, kompromisslos: Er bedauere nichts und würde alles wieder genauso machen, betont er.

14. Oktober 2019: Separatistenführer zu langen Haftstrafen verurteilt

Das Oberste Gericht in Madrid verurteilt neun der insgesamt zwölf Angeklagten wegen Aufruhrs und Veruntreuung öffentlicher verurteilt, nicht aber wegen des gravierenderen Vorwurfs der Rebellion. Der frühere katalanische Premier und Hauptangeklagte Oriol Junqueras erhält mit 13 Jahren Haft die höchste Strafe. Doch auch die anderen früheren Angehörigen der Regionalregierung, die ehemalige katalanische Regionalpräsidentin Carme Forcadell sowie die Vorsitzenden der größten separatistischen Vereinigungen, Jordi Sánchez (ANC) und Jordi Cuixart (Òmnium)​​​​, werden zu Haftstrafen zwischen neun und zwölf Jahren verurteilt. Drei frühere Regierungsmitglieder werden hingegen nur wegen Ungehorsams verurteilt und kommen mit einer Geldstrafe davon.

Der frühere katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont kommentiert das Urteil aus dem Exil: "Eine Ungeheuerlichkeit."

19. Dezember 2019: EuGH spricht Junqueras Immunität zu

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg urteilt, der Chef der katalanischen Linksrepublikaner (ERC), Oriol Junqueras, sei von den spanischen Behörden zu Unrecht an der Aufnahme seines Mandats als Europaabgeordneter gehindert worden. Die parlamentarische Immunität der Parlamentarier greife, sobald das Wahlergebnis verkündet sei. Dem Urteil zufolge hätten die spanischen Behörden nach der Wahl von Junqueras die Aufhebung seiner Immunität beantragen müssen, um Junqueras während der Parlamentssitzungen in Haft halten zu können. Der Inhaftierte Politiker und Anhänger der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung feiern die Entscheidung. Doch ist unklar, was genau daraus für ihn folgt.

Nach Einschätzung spanischer Beobachter könnte das Urteil des EuGH für die ebenfalls ins Europaparlament gewählten separatistischen Politiker Carles Puigdemont und Toni Comín wichtig werden, die sich nach Brüssel abgesetzt hatten. Theoretisch können sie nun nach Spanien reisen, um dort den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Eid auf die spanische Verfassung zu leisten - und dann doch noch ihre Parlamentssitze einnehmen. Die Immunität würde beide vor einem Zugriff der spanischen Justiz schützen.

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People holding an Estelada and pictures of Catalan politicians as they walk through Via Laetana Avenue during a protest after a verdict in a trial over a banned independence referendum, in Barcelona

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