Süddeutsche Zeitung

Spanien:Warum es in Spanien Neuwahlen geben wird

Vier Monate lang haben sie um eine neue Regierung gerungen - nun ist auch der letzte Anlauf gescheitert, der König leitet die Auflösung des Parlaments ein. Der Ehrgeiz der beiden Spitzenleute ist das größte Hindernis

Kommentar von Thomas Urban

Vier Monate haben sich die zwölf Parteien im Unterhaus des spanischen Parlaments bemüht, eine Regierung zu bilden. Zweimal scheiterte der Versuch des Chefs der Sozialisten (PSOE), Pedro Sánchez, ein Mitte-links-Minderheitskabinett auf die Beine zu stellen. Dass es nicht klappen wollte, liegt auch daran, dass Spaniens Politik und Gesellschaft von zwei Fragen gespalten werden. Die erste heißt: Soll das harte Sanierungsprogramm, mit dem der konservative Noch-Premier Mariano Rajoy das Land aus der tiefen Rezession geführt hat, fortgesetzt werden? Rein rechnerisch haben die konservativen und liberalen Gruppierungen, die Rajoys Sparkurs für richtig halten, eine Mehrheit: Sie stellen 179 der 350 Abgeordneten.

Doch die zweite Frage zerreißt dieses Lager, zu dem 14 Vertreter der katalanischen und baskischen Regionalparteien gehören. Sie lautet: Sollen die Katalanen über ihre Unabhängigkeit von Spanien abstimmen dürfen? Die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten will das nicht.

Selbst wenn die Gruppierungen im linken Parteienspektrum ihre traditionellen Streitigkeiten überwunden hätten, hätten ihnen sechs Stimmen zur absoluten Mehrheit gefehlt. Dennoch hatte Sozialistenchef Sánchez am Dienstag einen letzten Versuch gestartet. Er warb bei den liberal und links orientierten Parteien um die Duldung einer Minderheitsregierung unter seiner Führung. Seine Gegenleistung: Er versprach, sich nach zwei Jahren einem Misstrauensvotum zu stellen.

Allerdings wirkte dieser Vorschlag eher verzweifelt. Sanchez wollte mit aller Kraft eine Neuwahl abzuwenden, bei der die PSOE den derzeitigen Umfragen zufolge noch weiter absacken würde. Nachdem alle Gespräche gescheitert sind, hat König Felipe VI. am Dienstagabend die Schritte zur Auflösung des Parlaments eingeleitet. Die Neuwahl wird wohl am 26. Juni stattfinden. Den Ausweg einer großen Koalition aus der konservativen Volkspartei (PP) und den Sozialisten, die die politische Blockade in Madrid überwunden hätte, wollte keiner gehen. Die weltanschaulichen Unterschiede zwischen den beiden Parteien sind zwar nicht mehr so groß, Rajoy hat die PP in die politische Mitte gerückt. Die Franco-Nostalgiker und Nationalkatholiken in den eigenen Reihen hat er neutralisiert.

Doch der Ehrgeiz der beiden Spitzenleute war das größte Hindernis für eine Zusammenarbeit. Sánchez wollte nicht Juniorpartner in einer Regierung sein, und Rajoy wollte nicht begreifen, dass seine Zeit abgelaufen ist. Vor drei Jahren wurde bekannt, dass die PP schwarze Kassen geführt hat, überdies sind führende Politiker seiner Partei in Korruptionsskandale verstrickt. Deshalb lehnen alle anderen Parteien Rajoys Verbleib im Amt des Regierungschefs ab.

Rajoy hat es versäumt, angesichts dieser absehbaren Konstellation einen Nachfolger aufzubauen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass seine Rechnung aufgeht: Umfragen zufolge könnte bei der Neuwahl eine Mitte-rechts-Koalition eine knappe Mehrheit erhalten. Wenn nicht, stehen Spanien unruhige Zeiten bevor.

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SZ vom 27.04.2016/dayk
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