In Spanien gibt es zwei fortschrittliche Gesetze zu Geschlechterfragen. Das eine stammt aus dem Jahr 2004 und soll Frauen vor männlicher Gewalt (violencia machista) schützen, unter anderem mit erhöhten Strafen für die Aggressoren.
Das andere (ley trans) ist seit dem vergangenen Jahr in Kraft und dient der geschlechtlichen Selbstbestimmung. Demnach dürfen Bürgerinnen und Bürger von 16 Jahren an ihr Geschlecht frei wählen und amtlich eintragen lassen. Dafür müssen sie weder körperliche Veränderungen vornehmen, noch den Namen wechseln.
Die Drohungen eines Mannes gegen die Ex-Partnerin sind nun ein Streit unter Frauen
Nun sind bizarre Fälle bekannt geworden, bei denen gewalttätige Männer der Strafverfolgung durch das erste Gesetz zu entgehen versuchen, indem sie sich gemäß ley trans als Frauen registrierten. Dieses juristische Schlupfloch sorgt in Spanien derzeit für Diskussionen.
Vor einigen Tagen hat ein für Männergewalt zuständiges Gericht in Sevilla die Verfolgung eines vorbestraften, seit Jahren aktenkundigen Mannes an ein normales Ermittlungsgericht übergeben. Formaljuristisch gesehen sind die offenbar seit Jahren andauernden Drohungen des Mannes gegen seine Ex-Partnerin nun ein Streit unter Frauen – weit harmloser als es violencia machista wäre.
Zwar kündigte die Staatsanwaltschaft laut Medienberichten an zu prüfen, ob man die behördliche Geschlechtsumwandlung anfechten kann, doch ein solcher Vorgang benötigt Zeit. Schließlich soll die Entscheidung von Menschen, ihr Geschlecht zu ändern, nicht einfach von dritter Seite rückgängig gemacht werden können.
Leidtragende sind die von Gewalt bedrohten Frauen
In einem ähnlichen Fall im Baskenland hat die örtliche Staatsanwaltschaft am vergangenen Dienstag beantragt, die Umwidmung eines Gewalttäters zur Frau zurückzunehmen. Als Mann hatte der Aggressor, laut El País ein Polizeibeamter, seine Frau mit einem Messer bedroht und angekündigt, den gemeinsamen Kindern etwas anzutun. Als er sich auf dem Amt zur Frau erklärte, behielt er seinen Körper und seinen Namen bei.
Hauptleidtragende dieser bisher sporadischen Fälle sind die von der Gewalt betroffenen Frauen, denn das Gesetz gegen Männergewalt sieht nicht nur höhere Strafen für die Täter vor, sondern auch Hilfs- und Schutzmaßnahmen für die Opfer. Maßnahmen, die den in Sevilla und im Baskenland betroffenen Frauen nun nicht mehr zustehen – aus formaljuristischen Gründen.
Die Fälle haben indes nicht nur eine rechtliche, sondern auch politische Dimension. Rechte und Konservative waren und sind erbitterte Gegner des 2023 in Kraft getretenen ley trans. Das Gesetz stammt aus dem Gleichstellungsministerium unter der damaligen linken Ministerin Irene Montero von der Podemos-Partei, die seit den Wahlen vom Sommer 2023 nicht mehr im Amt ist.
Montero war auch zuständig für das in Spanien heftig umstrittene „solo sí es sí“-Gesetz (nur ja heißt ja), das sexuelle Handlungen ohne die ausdrückliche Zustimmung beider Partner strafbar macht. Durch einen handwerklichen Fehler hatte dieses Gesetz dazu geführt, dass mehr als 1000 verurteilte Vergewaltiger vorzeitig aus der Haft entlassen wurden – ein politischer Elfmeter für die Gegner der links-sozialistischen Koalition von Pedro Sánchez.
Das Problem ist die Kombination der zwei Gesetze
Beim ley trans liegt die Sache anders. Die unerfreuliche Nebenwirkung entsteht nicht durch einen lückenhaften Gesetzestext, sondern aufgrund der Kombination mit dem Gesetz gegen violencia machista, gegen männliche Gewalt. Um physische und psychische Gewalt gegen Frauen einzudämmen, sieht das Gesetz spezielle Gerichte sowie Staatsanwaltschaften vor, die auf das Thema spezialisiert sind. Drei Dinge sollen erreicht werden: mehr Schutz für Frauen, die Unterstützung betroffener Frauen und die Ahndung entsprechender Straftaten.
In Europa war es das erste und einzige Gesetz dieser Art, als es 2004 beschlossen wurde. Statt von „familiärer Gewalt“, wie es in anderen Ländern bis heute heißt, stellte es Frauen in besonderer Weise unter Schutz. Neben erhöhten Strafen für männliche Gewalttäter sieht es eine Reihe präventiver Maßnahmen vor.
So ist in Spanien an vielen Rathäusern öffentlich angeschlagen, wie viele männliche Gewalttaten es zuletzt in der Gemeinde gab. Die Telefonnummer 016 für betroffene Frauen wird 24 Stunden pro Tag überall im Land angeboten. Ein eigenes Lagezentrum in Madrid verfolgt und sammelt Fälle männlicher Gewalt im gesamten Land und veröffentlicht dreimal jährlich einen Bericht.
In Deutschland wurde im April dieses Jahres ein dem ley trans ähnliches Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung verabschiedet (demzufolge allerdings Minderjährige noch eine Beratung sowie die Zustimmung der Eltern benötigen). Doch können gewalttätige Männer dies nicht als Instrument nutzen, um sich als „Frauen“ der besonderen Strafverfolgung durch ein Gesetz gegen männliche Gewalt zu schützen. In Deutschland heißt es, wie in vielen anderen Ländern auch, genderneutral „familiäre Gewalt“.