Spanien:Auf die Flut folgt der Streit

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Kommt die staatliche Hilfe zu spät? In Paiporta bei Valencia beginnen die Aufräumarbeiten gerade erst. (Foto: Emilio Morenatti/dpa)

Eine Woche nach der Überschwemmungskatastrophe sind nun 7800 Soldaten im Hilfseinsatz. Doch Politiker und Institutionen ziehen noch lange nicht an einem Strang.

Von Patrick Illinger, Madrid

„Der Staat hat uns im Stich gelassen“, mit diesen deutlichen Worten überschrieb der Chefredakteur der spanischen Zeitung La Vanguardia, Jordi Juan, am Montag einen Leitartikel. Nicht nur seien die Menschen in den Flutgebieten bei Valencia von einer Naturkatastrophe beispiellosen Ausmaßes gepeinigt worden, sondern auch von der verspäteten Hilfe des Staates, argumentierte er.

Mittlerweile ist die staatliche Hilfsmaschinerie zwar in Gang gekommen, 7800 Soldaten sind in den Katastrophengebieten im Einsatz. Doch hatte es mehrere Tage gedauert, bis nicht mehr nur Freiwillige und örtliche Feuerwehren die Menschen unterstützen, die in der Flut alles verloren hatten und in zerstörten Häusern ohne Telefon, Nahrung, Trinkwasser und Medikamente ausharrten.

Tagelang wurde improvisiert statt professionelle Hilfe geleistet. Die Mitmenschlichkeit war herzerwärmend, das Lavieren des Staates jedoch nach Ansicht vieler bedrückend. Und eine Woche nach der Flut gehen die Vorwürfe und Rechtfertigungen noch immer hin und her zwischen Zentral- und Regionalregierung, Sozialisten und Konservativen, ja sogar zwischen Militär und Exekutive.

Die Regierung werde „umgehend“ liefern, verspricht Premier Sánchez

Als drei Tage nach der Flut noch keine Soldaten in den verwüsteten Vororten von Valencia aktiv waren, schob Spaniens Verteidigungsministerin Margarita Robles die Schuld der Regionalregierung von Valencia zu. Diese müsse den Einsatz anfordern. Valencias Ministerpräsident Carlos Mazón machte stattdessen die Militärkommandeure, insbesondere die der Notfalleinheit UME, für die Verzögerung verantwortlich. Dies wiederum rückte UME-Chef Generalleutnant Javier Marcos am Montag bei einem ungewöhnlichen Auftritt in Madrid zurecht: „Ich kann tausend Soldaten vor der Tür haben, aber legalerweise erst eintreten, wenn ich vom obersten Einsatzleiter dazu autorisiert werde.“ Ein klarer Hieb gegen den Ministerpräsidenten der Valencianischen Gemeinschaft.

Es seien Fehler gemacht worden, bekannte Spaniens Premier Pedro Sánchez am Samstag, doch sei es Zeit, nach vorn zu blicken. 5000 Soldaten kündigte er an. Einen nationalen Notstand wie in Coronazeiten hat er bis heute nicht verhängt. Somit blieb Ministerpräsident Mazón der oberste Krisenmanager, nicht die Staatsregierung. Wenn Mazón mehr Räumgerät, Geld oder technische Ausrüstung brauche, müsse er dies anfordern, sagte Sánchez. Die Regierung werde „umgehend“ liefern.

Mazón, Mitglied der konservativen Partei Partido Popular, forderte prompt die Mitwirkung von sieben Ministerinnen und Ministern aus Sánchez’ Kabinett im Krisenstab und legte eine dicke Rechnung vor: 31,402 Milliarden Euro brauche er für insgesamt 136 Hilfsmaßnahmen. Die Summe entspricht ungefähr dem Jahreshaushalt der Region Valencia (deren Status einem deutschen Bundesland entspricht). Man werde das Maßnahmenpaket genau ansehen, ließ das Kabinett in Madrid wissen. Es sei eine Aufstellung der Regionalregierung, die man „logischerweise im Detail prüfen“ müsse.

Mazón hatte zuvor auch versucht, die Verantwortung für die verspätete Mobilfunk-Warnung am Abend der Flut von sich zu weisen, wofür er jedoch viel kritisiert wurde. Spaniens Oppositionsführer und Chef des Partido Popular Alberto Nuñez Feijóo forderte unterdessen Premier Sánchez dazu auf, den nationalen Notstand auszurufen. Das ist insofern interessant, als dieser Schritt die Regierung in Madrid zum obersten Krisenmanager machen würde, Feijóos politischen Gegner. Sein Parteikollege Mazón wäre aus dem Rennen. Zweifelt sogar Feijóo am Krisenmanagement des Valencianers?

Eine besondere Geste der Universität Valencia

Am Dienstagmittag erklärte Premier Sánchez, es reduziere die Effizienz, wenn man jetzt die Regierung in Valencia aus der Verantwortung nehme. „Die Bevölkerung möchte ihre Institutionen nicht kämpfend erleben, sondern Seite an Seite arbeitend“, sagte er. Seine Regierung werde 100 Prozent der Flut-Ausgaben der Gemeinden übernehmen: Schlamm und Schutt beseitigen, die Wasserversorgung wiederherstellen, obdachlos gewordene Bewohnern unterbringen. Den Wiederaufbau der Infrastruktur werde der Staat zu 50 Prozent übernehmen. Diese Maßnahmen bezifferte Sánchez auf 10,6 Milliarden Euro, man werde einen neuen Staatshaushalt verabschieden.

In den Flutgebieten wird unterdessen weiter nach möglichen Todesopfern gesucht. In der Parkgarage eines Einkaufszentrums nahe Valencias Flughafen waren am Montag, anders als befürchtet, keine Leichen gefunden worden. Die staatliche Finanzbehörde stundete die Steuerzahlungen für 200 000 Betroffene der Flutgebiete. Ein Signal der Zwischenmenschlichkeit sandte auch die Universität von Valencia: Man werde kostenfrei in der Flut beschädigte Fotoalben restaurieren, ließ die Hochschule wissen.

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