Süddeutsche Zeitung

Energiepolitik:Die Möglichkeiten einer Insel

Spanien hat sich früh von russischem Gas emanzipiert und lässt sich von Algerien und den USA beliefern. Es ist also eine ideale Verteilstation, um auch Deutschland zu versorgen - wäre da nicht ein Nadelöhr in den Pyrenäen.

Von Karin Janker, Madrid, und Thore Schröder, Beirut

Spanien habe "Potenzial", so hat es Bundesfinanzminister Christian Lindner am Donnerstag in Madrid ausgedrückt. Lindner war zum Treffen mit der spanischen Wirtschaftsministerin Nadia Calviño angereist, um dieses Potenzial auszuloten. Es ging auch um die Frage: Inwieweit kann Spanien Deutschland dabei helfen, sich aus der Abhängigkeit von russischem Gas zu befreien? Oder wie es Calviño sagte: aus Putins "Erpressung".

Spanische Zeitungen orakeln seit Beginn des Kriegs in der Ukraine, ob ihr Land den Schlüssel besitze, um russisches Gas in Europa zu ersetzen. Einiges spricht dafür, dass Spanien künftig ein wichtiger Transportknotenpunkt für Gas nach Mitteleuropa werden könnte - vorausgesetzt, die EU finanziert den nötigen Umbau. Doch Geld ist nicht das Einzige, was bisher fehlt. In den vergangenen Jahren mangelte es ganz offensichtlich auch am politischen Willen, die iberische Halbinsel überhaupt ans europäische Gas- und Stromnetz anzuschließen. Spanien sei energiepolitisch quasi eine Insel, sagt Teresa Ribera, Ministerin für ökologischen Wandel im Kabinett des Sozialisten Pedro Sánchez. Das Nadelöhr für eine Gasleitung aus Spanien nach Mitteleuropa liegt in den Pyrenäen.

Spanien hat in den vergangenen Jahren aus seiner Lage eine Tugend gemacht und seine Küsten genutzt. Gas macht heute gut 15 Prozent der spanischen Stromproduktion aus, in Deutschland ist der Anteil etwa vergleichbar. Doch Spanien bezieht, anders als Deutschland, nur acht Prozent davon aus Russland. Hauptlieferant war lange Algerien, neuerdings treten nun die USA immer selbstbewusster in den spanischen Gasmarkt ein. Ginge es nach deren Willen, käme künftig Gas aus den USA in Spanien an und würde von dort aus in andere europäische Länder weiterverteilt. Spanien als Gas-Hafen Europas? Schon rufen Kommentatoren in spanischen Zeitungen, dass man sich diese Chance auf eine geostrategische Aufwertung nicht entgehen lassen dürfe.

Das Land bezieht heute nur noch einen Teil seines Erdgases aus Pipelines, den Rest bringen Tanker in Form von Liquefied Natural Gas (LNG), auf minus 160 Grad gekühlt und dadurch verflüssigt. LNG ist aufwendig, teuer und hat wegen des hohen Energieaufwands für Kühlung und Transport eine noch schlechtere Umweltbilanz als herkömmliches Erdgas aus der Pipeline.

Algerien versteht es ebenfalls, Gas als Druckmittel zu verwenden

Früher kam das Gas vor allem durch zwei Pipelines aus Algerien nach Spanien: Die Medgaz-Pipeline kommt in Almería aus dem Boden und hat eine Kapazität von 10,7 Milliarden Kubikmetern pro Jahr, von der momentan aber nur acht Milliarden Kubikmeter genutzt werden. Die zweite Verbindung, die Maghreb-Europe Gas Pipeline (MEG), die durch Marokko verläuft, könnte zwölf Milliarden Kubikmeter pro Jahr transportieren. Doch sie liegt brach, seitdem Algerien im vergangenen Sommer seine diplomatischen Beziehungen zu Marokko abgebrochen hat und den Liefervertrag auslaufen ließ, der Marokko als Durchgangsrecht zehn Prozent des Gases gewährt hatte.

Auch Algerien versteht es, den Gasexport als diplomatisches Druckmittel zu verwenden. Dieses Gebaren erinnert nicht von ungefähr an Russland: Algier pflegt enge Beziehungen zu Moskau, kauft dort seit Jahrzehnten drei Viertel seiner Waffen und hat sich jüngst in der UN-Vollversammlung bei der Verurteilung von Russlands Überfall auf die Ukraine der Stimme enthalten. Trotz seiner Gasvorkommen ist auch Algerien auf Russland angewiesen: Der Staatskonzern Gazprom ist an der Erschließung algerischer Gasfelder in der Wüste beteiligt.

Nichtsdestotrotz hat Sánchez vor wenigen Tagen in Algerien angefragt, ob es die Lieferungen aufstocken könne. Die Bereitschaft dazu ist da, doch Experten sind skeptisch, ob es kurzfristig für Russland einspringen kann. "Algerien hat seit 20 Jahren kaum mehr in seine Gasinfrastruktur investiert, vieles ist veraltet und bedarf zunächst der Erneuerung, bevor die Lieferungen gesteigert werden können", sagt Isabelle Werenfels, Nordafrikaexpertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Gegen eine mögliche Förderung von Schiefergas im strukturell benachteiligten Süden des Landes regt sich zudem großer Protest. Die ohnehin von der Klimaerwärmung gebeutelte Bevölkerung fürchtet den exzessiven Wasserverbrauch sowie die Verschmutzung, die das Fracking mit sich bringen dürfte. Einstweilen ist Algerien also auf die bestehenden Kapazitäten angewiesen - und muss damit vor allem die eigene Bevölkerung versorgen. Die Inlandsnachfrage ist in den vergangenen zehn Jahren stark gestiegen.

Spanien hat bald sieben Flüssiggas-Terminals, Deutschland keines

Wo Algerien schwächelt, springen die USA ein: Im Januar dieses Jahres deckten die USA bereits 35 Prozent des spanischen Gasbedarfs. Tendenz steigend. Die spanische und die portugiesische Küste sind aus Sicht der USA der ideale Anlandeplatz, hier befindet sich fast die Hälfte aller europäischen Flüssiggasterminals, an denen die Fracht wieder in ihren gasförmigen Zustand versetzt und weitertransportiert wird. Sechs Terminals stehen in Spanien, ein siebtes ist im Bau. Portugal besitzt ein Terminal - das mittlerweile die gesamte Gasversorgung des Zehn-Millionen-Einwohner-Staats übernimmt. Deutschland hat kein einziges LNG-Terminal. In Spanien hingegen können pro Monat 30 Tanker anlanden, mit mehr Gas, als das Land braucht. Es wäre also nur naheliegend, Teile des Rohstoffs nach Norden weiterzuschicken.

Doch spätestens an den Pyrenäen wäre nach derzeitigem Stand Schluss. Bis heute führt keine nennenswerte Verbindung über die französisch-spanische Grenze. Von einem "historischen strategischen Versäumnis" spricht die Wirtschaftswissenschaftlerin Natalia Fabra von der Universidad Carlos III in Madrid. Lediglich zwei kleinere Leitungen verbinden Nordspanien mit dem Süden Frankreichs, ihre Kapazität liegt bei gerade einmal sieben Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Zum Vergleich: Nordstream 1 transportiert jährlich 55 Milliarden Kubikmeter, Nordstream 2 hätte diese Kapazität noch einmal verdoppelt.

Spanien wirbt gerade in der EU mächtig dafür, das seit drei Jahren stillgelegte Bauprojekt einer dritten Pyrenäen-Pipeline wieder aufzunehmen: Midcat, so der Name, war bisher vor allem am Widerstand Frankreichs gescheitert, die Pipeline endet im nordspanischen Girona im Nirgendwo. Doch auch Midcat hätte lediglich eine Kapazität von neun Milliarden Kubikmetern pro Jahr.

Muss also eine leistungsstärkere Pipeline über die Pyrenäen her, um die europäische Abhängigkeit vom russischen Gas zu lindern? Die Energie-Expertin Natalia Fabra meint, dass ein solches Umdenken in der europäischen Energiepolitik langfristig Vorteile hätte: Wenn die EU wie geplant 2050 vom Erdgas wegkomme, lasse sich die neue Pyrenäen-Pipeline für den Transport von grünem Wasserstoff nutzen. Sánchez hat unlängst verkündet, bei der Herstellung von Wasserstoff mittels Sonne und Wind europäische Spitze werden zu wollen. Beides gibt es auf der iberischen Halbinsel im Überfluss - der Insellage sei Dank.

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