Spanien:Ein deutscher Zeuge

Spanien: Tausende Menschen protestieren gegen das Madrider Gerichtsverfahren, das sich seit sechs Wochen hinschleppt. Angeklagt wurden die Mitglieder der abgesetzten katalanischen Regionalregierung. Geladen sind 524 Zeugen.

Tausende Menschen protestieren gegen das Madrider Gerichtsverfahren, das sich seit sechs Wochen hinschleppt. Angeklagt wurden die Mitglieder der abgesetzten katalanischen Regionalregierung. Geladen sind 524 Zeugen.

(Foto: Oscar Del Pozo/AFP)

Im Prozess gegen die Führer der katalanischen Separatisten wird auch ein früherer Abgeordneter aus NRW befragt.

Von Thomas Urban, Madrid

Seit sechs Wochen schleppt sich nun der Madrider Prozess gegen die Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung hin. Überraschungen blieben bislang weitgehend aus: Die angeklagten Mitglieder der im Oktober 2017 abgesetzten Regionalregierung beklagten, dass ihnen ein politischer Prozess gemacht werde; Vertreter der damaligen konservativen Zentralregierung betonten in ihren Aussagen, dass die Führung in Barcelona die Verfassung gebrochen und sich der Rebellion schuldig gemacht habe. Insgesamt sind 524 Zeugen geladen.

Die Prozessroutine unterbrach am Mittwoch die Befragung des früheren nordrheinwestfälischen Landtagsabgeordneten Bernhard von Grünberg, der sich nach eigenen Aussagen gemeinsam mit Parlamentariern aus anderen Ländern bemüht hat, einen Dialog zwischen Madrid und Barcelona über einen Ausweg aus der spanischen Staatskrise zu befördern. Den Sozialdemokraten hatte die Verteidigung als Zeugen nominiert, er ist der einzige Deutsche, der an dem Verfahren teilnimmt. Grünberg stellte klar, dass er kein Anhänger des katalanischen Separatismus sei. Er habe der Führung in Barcelona immer wieder geraten, die Differenzen mit Madrid im Dialog zu lösen. Leider habe es auf beiden Seiten keine Bereitschaft dazu gegeben.

Im Zentrum aller Anhörungen steht die Frage, wer für die Gewalt im Oktober 2017 verantwortlich ist

Konkret wurde Grünberg zum Tatbestand der Veruntreuung öffentlicher Gelder befragt, der den Angeklagten vorgeworfen wird. Er betonte, er habe seine Reisen nach Katalonien selbst finanziert. Auch habe er als Beobachter des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017, das das Verfassungsgericht in Madrid zuvor für illegal erklärt hatte, den Eindruck gewonnen, dass dieses nicht von Regierungsstellen, sondern von Bürgerinitiativen durchgeführt und auch finanziert worden sei. Nach seinen Beobachtungen sei an diesem Tag Gewalt nur von der spanischen Polizei ausgegangen, die Gummigeschosse gegen friedliche Bürger eingesetzt habe.

Die Frage, wer für die Gewalt vom 1. Oktober verantwortlich ist, zog sich bislang durch sämtliche Anhörungen. Die Staatsanwaltschaft argumentiert, die katalanische Regierung unter dem damaligen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont habe gewaltsame Auseinandersetzungen bewusst in Kauf genommen; deshalb sei der Vorwurf der Rebellion gerechtfertigt. So stellte es auch der damalige Premierminister Mariano Rajoy, der im vergangenen Mai durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden war, in seiner Zeugenaussage Anfang März dar. Nach Rajoys Worten ließ ihm Puigdemont keine andere Wahl, als die Führung in Barcelona abzusetzen. Seine Katalonien-Beauftragte Soraya Sáenz de Santamaría warf den Separatisten vor, sie hätten die Polizeieinsätze gezielt provoziert. Dabei seien Alte, Frauen und Kinder als "Schutzschilde" missbraucht worden, um dramatische Bilder für die internationalen Medien zu produzieren.

Der Prozess überschattet auch den Wahlkampf zur Parlamentsabstimmung im April

Für die einzige Überraschung in dem Prozess sorgte bislang Josep Lluís Trapero, der einen Monat nach dem Unabhängigkeitsreferendum als Kommandant der Mossos, der katalanischen Regionalpolizisten, abgelöst worden war. Trapero war international bekannt geworden, als er die Aufklärung des Terroranschlags von Barcelona im August 2017 leitete. Ihm steht ein eigenes Verfahren wegen Amtspflichtverletzung bevor, im Madrider Separatistenprozess war er als Zeuge geladen. Zur allgemeinen Überraschung erklärte er, er sei bereit gewesen, Puigdemont zu verhaften, falls der Befehl dazu aus Madrid gekommen wäre. In der spanischen Presse wurde Trapero bislang als enger Gefolgsmann Puigdemonts dargestellt. Trapero berichtete weiter, er habe in Barcelona wiederholt vor der Durchführung des Referendums gewarnt, da mehrere Gutachten vor einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung in Katalonien gewarnt hätten. Auch widersprach er dem Vorwurf, die Mossos hätten den Befehl aus Madrid sabotiert, die illegale Abstimmung zu unterbinden. Vielmehr habe er alle Befehle sowie richterlichen Anordnungen stets befolgt. Wohl habe er die Mossos angewiesen, auf Deeskalation zu setzen. Deshalb seien diese nicht gegen Demonstranten vorgegangen, wenn sich die Gefahr von gewaltsamen Zusammenstößen abzeichnete.

Besondere Akzente setzten in dem Prozess bislang die Vertreter der nationalistischen Partei Vox, die als Nebenkläger zugelassen sind. Das spanische Strafprozessrecht erlaubt eine solche Konstellation. Vox-Generalsekretär Javier Ortega Smith, ein früherer Berufsoffizier, der nun als Anwalt arbeitet, nutzt in dieser Rolle die Gelegenheit, sich als Verteidiger der Einheit Spaniens darzustellen. Der Prozess überschattet somit den Wahlkampf; für den 28. April sind vorgezogene Parlamentswahlen angesetzt, nachdem der sozialistische Premierminister Pedro Sánchez keine Mehrheit für den Haushalt seines Minderheitskabinetts gefunden hatte. Ortega Smith forderte im Namen von Vox, alle katalanischen Institutionen und Vereine, die das Referendum unterstützt haben, als "kriminelle Organisationen" einzustufen.

Nicht nur Vox, sondern auch die konservative Volkspartei (PP) sowie die rechtsliberale Bürgerpartei (Ciudadanos) haben den katalanischen Separatismus ins Zentrum ihrer Kampagnen gestellt. Nach einer Umfrage der in Barcelona erscheinenden Tageszeitung La Vanguardia fordern 43 Prozent der Befragten aus der Region Katalonien einen Freispruch, in den zentralspanischen Regionen aber nur fünf Prozent. Bei dem verbotenen Referendum hatten zwar 90 Prozent der Wähler für die Unabhängigkeit Kataloniens gestimmt, doch hatte die Wahlbeteiligung lediglich knapp 43 Prozent betragen.

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