Süddeutsche Zeitung

Spanien:Der Traum von der Republik

Am 1. Oktober stimmen die Katalanen ab, ob sie die Unabhängigkeit wollen.

Von Thomas Urban, Madrid

Die Einwohner Kataloniens sollen am 1. Oktober in einem Referendum über die staatliche Unabhängigkeit dieser spanischen Region entscheiden. Regionalpräsident Carles Puigdemont begründete seinen Vorstoß am Freitag in Barcelona mit dem Recht auf demokratische Selbstbestimmung. Allerdings hat das spanische Verfassungsgericht bereits 2014 ein derartiges Referendum für illegal erklärt. Der konservative Premierminister der Zentralregierung in Madrid, Mariano Rajoy, hat immer wieder bekräftigt, dass er die Loslösung Kataloniens von Spanien auf keinen Fall zulassen werde. Die spanische Justiz führt derzeit fast 400 Verfahren gegen katalanische Regional- und Lokalpolitiker, die 2014 die Durchführung einer rechtlich unverbindlichen Befragung zur staatlichen Zukunft Kataloniens unterstützt haben.

Nach dem Willen der regierenden Mitte-links-Koalition soll ein unabhängiges Katalonien eine Republik sein und nach wie vor der EU, der Euro-Zone und der Nato angehören. Puigdemont zufolge wäre Barcelona bereit, politische Kompetenzen an Brüssel abzutreten. Auch wird mit dem Argument geworben, dass das wirtschaftsstarke Katalonien Nettozahler wäre, somit der EU-Haushalt nicht belastet würde. Madrid hatte bislang argumentiert, dass Katalonien nach einer Sezession automatisch aus den westlichen Bündnissen ausscheiden müsse, Spanien würde einen Beitritt der abtrünnigen Region in die EU blockieren. Doch ist dieser Fall nach Auffassung Barcelonas überhaupt nicht geregelt. Die Generalitat, die katalanische Regionalregierung, hat die EU-Kommission formal über ihre Absicht informiert, ein Unabhängigkeitsreferendum durchzuführen.

Katalonien trägt fast ein Viertel zur Wirtschaftsleistung des gesamten Landes bei

Das Parlament soll am Sonntag der Vorlage der Regierung über den Weg zur Unabhängigkeit zustimmen. Vizepremier Oriol Junqueras, der auch die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) führt, nannte als Begründung die "systematische Benachteiligung" seiner Heimatregion durch sämtliche Zentralregierungen. Die Infrastruktur sei einzig und allein auf Madrid ausgerichtet, das Gesundheitssystem der Region an den Rand des Kollapses gebracht worden. In der Vergangenheit hat die Generalitat immer wieder eine Reform des Finanzausgleichs zwischen den Regionen gefordert, doch hat sich Rajoy dagegen gesperrt.

Die Industrie- und Touristikregion am Mittelmeer stellt mit knapp 7,5 Millionen Einwohnern zwar weniger als ein Sechstel der Bevölkerung Spaniens, doch trägt sie fast ein Viertel zur Wirtschaftsleistung des gesamten Landes bei. Offiziell ist die Region zweisprachig, doch ist in den meisten Lokalverwaltungen und auch im Schulsystem Katalanisch, das als eigenständige romanische Sprache gilt, eindeutig vorherrschend. Etwa ein Drittel der Einwohner bezeichnet sich nur als katalanisch, das zweite Drittel als spanisch, das dritte Drittel als beides. In der Hauptstadt Barcelona waren bei den Regionalwahlen 2015 die Befürworter der staatlichen Unabhängigkeit unterlegen. In der gesamten Region bekamen die Parteien, die eindeutig für die Loslösung von Madrid eintreten, nur 48 Prozent der Stimmen, doch verfügen sie über eine knappe Mehrheit im Parlament. Die eindeutigen Verfechter der spanischen Einheit kommen aber nur auf 52 der 135 Sitze. Somit hängt viel von den kleineren Gruppierungen ab, die sich bislang nicht klar positioniert haben.

Nach einer kürzlich von mehreren Tageszeitungen veröffentlichten Umfrage werfen fast drei Viertel der Spanier Rajoy vor, dass seine Strategie den Konflikt stets weiter verschärft hat. In der Tat hat der Premier keine erkennbaren Anstrengungen unternommen, die katalanische Führung mit politischen Argumenten für den Fortbestand Spaniens in seinen heutigen Grenzen zu gewinnen. Vielmehr hat er die Lösung des Konflikts der Justiz überlassen.

Rajoy hatte noch als Oppositionsführer 2009 im Namen der von ihm geführten konservativen Volkspartei (PP) gegen ein neues Autonomiestatut für Katalonien geklagt, das Barcelona mehr Verfügungsgewalt über das Steueraufkommen gegeben hätte, obwohl dieses Statut bereits vom Parlament in Madrid angenommen und auch vom damaligen König Juan Carlos unterzeichnet worden war. Das Verfassungsgericht kippte daraufhin das Statut - und gab somit ungewollt der bis dahin eher schwachen Unabhängigkeitsbewegung enormen Auftrieb.

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SZ vom 10.06.2017
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