Spanien:Der Sprung über den Zaun

Street sellers fprepare their goods during the start of the San Fermin festival in Pamplona

Straßenverkäufer aus Senegal am Rande des traditionellen Stierlaufes in Pamplona.

(Foto: Vincent West/Reuters)

Während Deutschland seine Rolle als Einwanderungsland noch sucht, ist in Spanien die Aufnahme afrikanischer Migranten Routine. Über Hoffnungen und harte Regeln.

Von Thomas Urban, Madrid

Ein junger Afrikaner geht mit seinem Bauchladen langsam an den Touristen auf der Plaza Mayor im Zentrum Madrids vorbei. Er preist Designersonnenbrillen und Schmuck an. In den Seitenstraßen haben mehrere ebenfalls aus Afrika stammende junge Männer Decken mit ihrem Angebot ausgebreitet: Handtaschen bekannter Luxusmarken, die neuesten Kinohits auf DVD. Plötzlich ertönt ein Pfiff, die Händler raffen blitzschnell ihre Waren zusammen und laufen weg. Es handelt sich um Piratenprodukte, gefälschte Markenartikel und illegal kopierte Filme. Eine Polizeistreife taucht auf, beeilt sich aber nicht, die Verfolgung der Flüchtigen aufzunehmen. Ein paar Minuten später stehen sie wieder mit ihrer Ware am alten Platz.

Mehrmals am Tag spielt sich dieses Katz-und-Maus-Spiel ab. Ähnliche Szenen sind tagtäglich auf den Ramblas, der Flaniermeile von Barcelona, zu beobachten, ebenso auf den Promenaden von Benidorm oder Marbella. An allen populären Stränden des Landes bieten fliegende Händler aus Afrika Sonnenbrillen, Strohhüte, Tücher, bunte Blusen und Kleider asiatischer Provenienz an.

Die jungen Männer kommen von der Elfenbeinküste, aus Senegal, Gambia, Kamerun und anderen Ländern südlich der Sahara - und sie kommen schon seit vielen Jahren. Spanien ist im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Staaten schon lange konfrontiert mit Flüchtlingen, die von Afrika aus übers Meer nach Europa wollen. Jahrelang interessierte das im restlichen Europa kaum jemanden. Erst seit der gesamte Kontinent von der Flüchtlingskrise betroffen ist, geraten auch die Subsaharianos, wie die afrikanischen Flüchtlinge in Spanien genannt werden, in den Fokus. Sie gehören inzwischen fest zum spanischen Straßenbild - auch wenn es der Regierung in Madrid gelungen ist, ihre Zahl von Zehntausenden im Jahr 2006 auf mittlerweile wenige Tausend zu senken, mit Hilfe massiver Grenzsicherung und schnellen Abschiebungen.

Die meisten Subsaharianos halten sich illegal in Spanien auf, sie werden aber von den Behörden geduldet. Ein Großteil von ihnen hat in Ceuta und Melilla, den beiden Exklaven in Nordafrika, erstmals spanischen Boden betreten. Sie haben es geschafft, den dreifachen Grenzzaun zwischen den beiden Städten und Marokko zu überwinden. Andere sind über das Meer gekommen, mit kleinen Schiffen auf einer der Kanarischen Inseln oder an einem der Strände von Ceuta und Melilla gelandet.

Chancen auf Anerkennung eines Asylantrags haben nur die allerwenigsten. Sogar Mitarbeiter der spanischen Caritas, die sich um in Not geratene Afrikaner kümmern, verhehlen nicht, dass weit mehr als neunzig Prozent in keiner Weise die Kriterien erfüllen, um als politische Flüchtlinge anerkannt zu werden. 2014 bekamen nur 500 von insgesamt rund 5900 Antragstellern das begehrte Papier.

Abschiebungen finden nur selten statt. Die Menschen werden sich selbst überlassen

Die meisten Afrikaner haben allerdings auch gar keinen Antrag gestellt. Viele wollen weiter über die Pyrenäen nach Frankreich und Deutschland ziehen. Doch genaue Zahlen dazu liegen nicht vor, da es keine Kontrollen an der spanischen Nordgrenze gibt. Auch wenn sie nicht legal eingereist sind, müssen sie keineswegs in ständiger Angst vor den Behörden leben, Abschiebungen finden nur selten statt. Stattdessen werden sie sich selbst überlassen. Die meisten leben außerhalb des spanischen Sozial- und Steuersystems, kleine Parallelgesellschaften sind entstanden. Immerhin nehmen die öffentlichen Schulen die schulpflichtigen Kinder auf, selbst wenn der rechtliche Status der Eltern unklar ist.

Nach Berichten der spanischen Medien herrscht in diesen Parallelgesellschaften ein gnadenloses Wirtschaftssystem, das auf Erpressung und Ausbeutung beruht, wobei die Opfer ebenso wie die Täter aus Afrika stammen. So müssen die fliegenden Händler auf den Touristenmeilen und Stränden meist hohe Vorauszahlungen für die von ihnen angebotenen Waren leisten, ihre Verdienstspannen sind äußerst gering. Sich aus diesem System herauszuarbeiten, ist fast unmöglich, ein Ausweg: Nachkömmlinge aus Afrika anzuwerben, die dann ganz unten einsteigen müssen.

Spanische Soziologen sprechen vom "Pepe-Syndrom". Der Begriff spielt auf den in den Siebzigerjahren populären Spielfilm "Komm nach Deutschland, Pepe!" (Vente a Alemania, Pepe) an. Dieser handelt von spanischen Gastarbeitern in München, die hart arbeiten, wenig verdienen, sich oft gedemütigt fühlen, bei Besuchen in der Heimat aber ihren Zuhörern weismachen, sie lebten in Deutschland fast wie im Paradies.

Die meisten Spanier sind gegen Flüchtlingskontingente für alle EU-Länder

So schildern auch junge Afrikaner über Facebook, welch ein tolles Leben sie in Spanien führten. Einerseits wollen sie ihren Familien keine Sorgen bereiten, andererseits sind sie auch zu stolz einzugestehen, dass sie mit dem "Sprung über den Zaun" in Ceuta oder Melilla oder der Fahrt über das Meer in eine Sackgasse geraten sind. Dies sind die Erkenntnisse von Mitarbeitern der Caritas. Manche der jungen Männer geben freimütig zu, dass sie die Reise als großes Abenteuer, als Mutprobe betrachten.

Zwar verlangen auch in Spanien Hilfsorganisationen eine großzügige Aufnahme der Afrikaner. Doch eine breite öffentliche Debatte darüber findet nicht statt. Jedenfalls sind sich die noch regierende konservative Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy und die oppositionellen Sozialisten (PSOE) einig darin, dass Ceuta und Melilla nicht wieder Eingangstore für Subsaharianos nach Europa werden dürfen, so wie es vor einem Jahrzehnt der Fall war.

In den vergangenen Monaten wurden die Grenzanlagen weiter aufgerüstet. Die Regierung in Madrid möchte keine Bilder mehr von blutenden Jugendlichen aus Afrika, die sich an dem scharfen Nato-Draht die Unterarme aufgeschnitten haben, um die Welt gehen sehen. So wurden auch weitere Abkommen mit Marokko und Mauretanien geschlossen. Marokkanische Polizisten und Grenzsoldaten gehen nun noch rigoroser als in früheren Jahren gegen die Afrikaner vor, die es immer noch wagen, in den Wäldern um Ceuta und Melilla zu campieren, um auf den günstigen Moment für den "Sprung über den Zaun" zu warten.

Kommentatoren in den konservativen Medien stellen gern die Frage, ob es nicht besser für die Länder südlich der Sahara wäre, wenn die jungen aufstiegsorientierten Männer nicht in so großer Zahl ihre Heimat verließen. Überdies blieben den Betroffenen, die naiv vom schnellen Reichtum in Europa träumen, viele Frustrationen erspart. Die Regierung Rajoys kann sich des Beifalls der meisten Landsleute sicher sein, wenn sie sich gegen Kontingente an Flüchtlingen für alle EU-Länder stellt. Lebhaft wird diskutiert, ob die Deutschen nicht die internationalen Übereinkommen zu großzügig interpretieren, wenn sie alle Kriegsflüchtlinge automatisch mit politischen Flüchtlingen gleichsetzen.

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