Süddeutsche Zeitung

Spanien:Adiós, Graubärte

In Spaniens Politik werden Frauen immer wichtiger, eine Folge der Protestbewegung von 2011. Heute werden alle großen Parlamentsfraktionen von Frauen geführt.

Von Thomas Urban, Madrid

Irene Montero zuckt nur mit den Schultern. Viel bekam die Fraktionssprecherin des linksalternativen Bündnisses Unidas-Podemos während der letzten Wochen in den sozialen Medien zu lesen, als die Presse sie als künftige Vertreterin des sozialistischen Regierungschefs Pedro Sánchez handelte: Sie solle sich mal ordentlich kämmen; mit ihren Schlabberpullis sei sie eine Schande für das Parlament; sie solle erst mal arbeiten und die Probleme des Volks kennenlernen, anstatt große Töne von sich zu geben. Kein Zweifel, Irene Montero ruft bei vielen ihrer Landsleute heftige Emotionen hervor.

Allerdings ist aus dem Kabinettsposten nichts geworden, denn Sánchez und Pablo Iglesias, der nie um eine witzige bis giftige Replik verlegene Podemos-Chef, konnten sich nicht auf eine Linkskoalition einigen. Mit Irene Montero hat dieser ins Persönliche gehende Zwist eine ganze Menge zu tun: Sie ist die Lebensgefährtin von Iglesias. Im vergangenen Juli kamen ihre Zwillinge zur Welt, Frühgeburten, die in den Brutkasten mussten, die halbe Nation hat mit ihnen gebangt. Doch alles ging gut, nach ihrer Babypause mischte Irene Montero wieder in vorderster Linie der Politik mit - bis zur nächsten Pause: Im März hat sie mitgeteilt, dass sie wieder schwanger ist.

Die 31-Jährige steht für die Generation junger selbstbewusster Frauen, die auf allen Ebenen, vom Gemeinderat bis zur Regierung, in Spanien der Politik immer mehr den Stempel aufdrücken. Politologen sind der Meinung, dies sei eine Folge der großen Protestbewegung von 2011, als Hunderttausende angesichts der Wirtschaftskrise einen grundsätzlichen Wandel in der Politik forderten. Die Bewegung 15-M, benannt nach einer Großkundgebung in Madrid am 15. Mai 2011, zerfaserte zwar schnell, doch viele ihrer Akteure schlossen sich Podemos an, darunter die Diplompsychologin Irene Montero, die sich gegen Zwangsräumungen engagiert hatte. Mit den Wahlen 2015 traten sie ihren "Marsch durch die Institutionen" an.

Ein Blick zurück zeigt, wie sich das Bild gewandelt hat: Noch vor sechs Jahren war Spanien das Land der Graubärte, der konservative Premierminister Mariano Rajoy, der sozialistische Oppositionsführer Alfredo Rubalcaba und König Juan Carlos gaben den Ton an. Zwar werden heute die großen Parteien nach wie vor von Männern geführt, aber im Parlament haben nun Frauen das Wort: die Katalanin Meritxell Batet (PSOE), Professorin für Verwaltungsrecht und Gegnerin der Separatisten in ihrer Heimatregion, ist seine Präsidentin. Die vier größten Fraktionen werden von Sprecherinnen geführt. In Spanien ist dies eine herausgehobene Position, sie gelten als "Nummer 2" in der jeweiligen Partei. "So viele Frauen an den Schaltstellen gibt es in keinem anderen Parlament der Welt", meinte die linksliberale Tageszeitung El País stolz.

Doch Frauenpower bedeutet nicht, wie ein Kommentator feststellte, dass man nun netter miteinander umgehe. Stattdessen bestätigten auch die Frauen am Rednerpult, dass Spanien keine Konsens-, sondern eine Konfrontationsgesellschaft sei. Manche Medien wollen beobachtet haben, dass viele Frauen sich einheitlich kleiden, nämlich Hosenanzüge tragen. Mit einer Ausnahme: Die Linksalternative Irene Montero zeigt sich auch gern in Jeans, aber keinesfalls im Kleid oder Rock.

Die Regierungsfraktion vertritt die ehemalige Jungsozialistin Adriana Lastra, die als treue Gefolgsfrau des Regierungschefs Pedro Sánchez gilt. Die konservative Fraktionssprecherin Cayetana Álvarez de Toledo y Peralta-Ramos, Spross einer alten Grafenfamilie, hat sich durch spektakuläre Auftritte im "Feindesland" einen Namen gemacht: sie kandidierte in Barcelona und provozierte im Wahlkampf die Separatisten auf das Heftigste, als sie im gelben Pullover über deren Träume von der Unabhängigkeit spottete. Gelb ist die Symbolfarbe des Separatismus.

47 Prozent

der Sitze in den Cortes, dem gesetzgebenden Unterhaus des spanischen Parlaments, nehmen Frauen ein, das sind mehr als in jedem anderen europäischen Land. Und die vier großen Fraktionen haben allesamt weibliche Sprecherinnen.

Doch ist der Gräfin eine nicht minder mediengewandte Rivalin im rechten Spektrum erwachsen, die sich ebenfalls mit gnadenlosen Sprüchen über die katalanischen Separatisten profiliert hat: Inés Arrimadas von der rechtsliberalen Bürgerpartei (Ciudadanos). Kometenhaft ist die 38-jährige Andalusierin in den letzten beiden Jahren aufgestiegen, zunächst als Oppositionsführerin im Regionalparlament zu Barcelona. Ein Kommentator stellte fest: "Sie ist nicht nur sehr attraktiv, sondern auch eine rhetorische Kampfmaschine." So war man in Madrid gespannt, als der populäre Fernsehmoderator Jordi Évole im Februar die "beiden neuen Sterne der spanischen Politik" an einen Tisch brachte, Irene Montero und Inés Arrimadas. Die Zuschauer wurden nicht enttäuscht, denn beide schenkten einander nichts. In fast allen Fragen liegen sie auseinander: Arrimadas möchte die katalanischen Separatisten hinter Schloss und Riegel sehen, Montero will mit ihnen verhandeln. Die eine setzt auf Förderung von Eigeninitiative, die anderen auf den fürsorglichen Staat. Doch bezeichnen sich beide als Feministinnen und kämpfen für Gleichbehandlung der Geschlechter bei Löhnen und Gehältern. Auch haben beide keine Einwände, wenn Politikerinnen als "guapa" (hübsch) bezeichnet werden. Daran stört sich in Spanien kaum jemand, denn es herrscht Einigkeit darüber, dass es positiv gemeint ist.

Außerdem gibt es da ja einen Ausgleich. Auch der Regierungschef bekommt dieses Etikett: "Pedro el guapo", was allerdings in diesem Fall eher spöttisch gemeint ist. Viel wichtiger ist ihm, als Frauenförderer gesehen zu werden: Auf 60 Prozent der Kabinettsposten hat er Frauen berufen, er spricht von der "weiblichsten Regierung der Welt".

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SZ vom 03.08.2019
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