Migration:Sie träumen von Europa

Ceuta, Spanien, Migranten

Im Frühjahr flüchteten Tausende Marokkaner nach Spanien - darunter auch viele Kinder und Jugendliche, die nun nicht wissen, was aus ihnen wird.

(Foto: JON NAZCA/REUTERS)

Seit Monaten sitzen Hunderte minderjährige Migranten in der spanischen Exklave Ceuta fest. Nun sollen sie abgeschoben werden - trotz heftiger Proteste.

Von Karin Janker, Madrid

Die Jüngsten von denen, die nun zurück nach Marokko gebracht werden sollen, seien gerade einmal fünf Jahre alt, berichtet die Journalistin Mayka Navarro. Die Reporterin der Zeitung La Vanguardia hat in der spanischen Exklave Ceuta mit Menschen gesprochen, die sich um Hunderte minderjährige Marokkaner kümmern, die dort seit drei Monaten in behelfsmäßigen Unterkünften leben, ohne zu wissen, was aus ihnen wird. Sie schlafen auf Pritschen in großen Hallen, vertreiben sich die Zeit am Hafen und träumen davon, dass eine Fähre sie nach Europa bringt. Sie sind die vergessenen Opfer jener Migrationskrise, die sich vor drei Monaten in Ceuta ereignete.

Angekommen sind die Kinder und Jugendlichen in der 85 000-Einwohner-Stadt an der afrikanischen Mittelmeerküste Mitte Mai: Als am 17. und 18. Mai marokkanische Grenzbeamte vorübergehend ihre Kontrollen aussetzten, strömten binnen 48 Stunden rund 10 000 Menschen nach Ceuta. Die Mehrzahl der Ankommenden wurde von den spanischen Behörden sofort wieder nach Marokko zurückgeschickt.

Doch im Fall von unbegleiteten Minderjährigen verbieten mehrere Gesetze ein solches Vorgehen: Vor der Abschiebung von unbegleiteten Minderjährigen haben sich die Behörden zu vergewissern, "dass die Minderjährigen einem Mitglied ihrer Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung im Rückkehrstaat übergeben werden", heißt es etwa in der Europäischen Rückführungsrichtlinie. Eine solche Überprüfung hatte die diplomatische Krise zwischen Spanien und Marokko bislang verhindert. So befinden sich bis heute 700 bis 800 minderjährige Migranten in Ceuta, die genaue Zahl kennt niemand.

In den vergangenen drei Monaten wurde von spanischer Seite heftig daran gearbeitet, die Krise mit dem Nachbarn zu entschärfen. Spaniens Außenministerin Arancha González Laya wurde von ihrem Posten entfernt - für viele Beobachter ein Bauernopfer - und durch einen Nachfolger ersetzt, der eine Verbesserung der Beziehungen zu Marokko erreichen soll: Der neue Außenminister José Manuel Albares, vorher spanischer Botschafter in Paris, machte schon zu seinem Amtsantritt klar, wie wichtig ihm die Beziehung "zu unserem großen Freund, unserem Nachbarn Marokko" ist.

Maximal 15 Jugendliche werden täglich über die Grenze gebracht

Diese neue Beziehung hat nun für die in Ceuta festsitzenden jungen Menschen ganz konkrete Folgen: An diesem Freitag begann Spanien mit ihrer Abschiebung. Der erste Minibus brachte 15 Jugendliche über die Grenze und in ein 40 Kilometer entferntes Auffanglager in Martil, das vom staatlichen Sozialdienst Marokkos betrieben wird. Am Samstag und Sonntag wurden laut lokalen Medien ebenfalls jeweils 15 Jugendliche über die Grenze gebracht. Auf 15 Rückführungen pro Tag hatten sich Spanien und Marokko geeinigt, damit den marokkanischen Behörden Zeit bleibt, die Eltern der Kinder ausfindig zu machen. Falls diese sich nicht melden, sollen die Minderjährigen in der Obhut der marokkanischen Behörden bleiben. So weit der Plan, dessen Durchführung sich nun über Wochen hinziehen dürfte.

Doch an dem Vorhaben, von der Lokalzeitung Faro de Ceuta "Operation Marlaska" getauft, nach dem spanischen Innenminister Fernando Grande-Marlaska, regt sich in Spanien heftige Kritik. Angekündigt worden waren die Rückführungen nicht, weder der Öffentlichkeit noch dem linken Koalitionspartner in Madrid, Unidas Podemos. Ione Belarra, Podemos-Ministerin für Soziale Rechte, schrieb dem Innenminister am Freitag einen Brief, in dem sie die Abschiebungen, die sich ihrer Ansicht nach über geltendes spanisches wie internationales Recht hinwegsetzen, rigoros ablehnt. Ihr Ministerium sei darüber nicht informiert worden, schreibt Belarra, und das, obwohl sie wiederholt angeboten habe, gemeinsam an einer Lösung für die Kinder und Jugendlichen zu arbeiten.

Die spanische Generalstaatsanwaltschaft ist offenbar ebenfalls skeptisch, ob die Abschiebungen legal sind, und hat eine Untersuchung eingeleitet. Vom Innenministerium verlangt sie eine lückenlose Dokumentation. Auch das Kinderhilfswerk Unicef sowie die Nichtregierungsorganisation Save the Children, die seit Mai mit den lokalen Behörden in Ceuta zusammenarbeitet, geben zu bedenken, dass für jedes Kind eine Einzelfallprüfung stattfinden müsse.

Helfer von Save the Children berichten zudem von Eindrücken vor Ort, die ihnen Sorgen bereiten: Sie hätten in den vergangenen Monaten rund 350 Minderjährige in Ceuta interviewt, um deren persönliche Situation und die Möglichkeit einer Rückkehr zu erfragen. Dabei falle auf, dass viele deutlich jünger seien, als unbegleitete Minderjährige sonst sind. Mindestens ein Viertel der bislang befragten Kinder sei vor Gewalt, Ausbeutung oder sexuellem Missbrauch nach Spanien geflohen, berichtete Darío Martín, Übersetzer für Save the Children. Die Mehrheit der jungen Migranten wolle nicht zurück. Besonders brisant aus Sicht der Organisation: In jener Notunterkunft, aus der das Innenministerium nun die ersten 45 Jugendlichen abschieben ließ, hatten die Helfer mit ihren Interviews noch gar nicht begonnen.

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