Spaltung der Arbeitspartei:Israels innerer Zerfall

Politisch mag der Schachzug von Israels Verteidigungsminister Barak als clever gelten. Durch den Rückzug aus der Arbeitspartei sichert er sein Ministeramt - in die Geschichte wird er aber als Totengräber der Linken eingehen.

Peter Münch

In der Politik geht es um Macht - und Macht ist immer auf Erhalt, also auf die Zukunft gerichtet. Die Vergangenheit ist in diesem Geschäft eine Kategorie von minderem Wert und manchmal sogar eine Last. Wenn ein Mächtiger gestürzt wird, folgt ihm der nächste, und wenn eine Partei untergeht, gründet sich eben eine andere. Vorwärts, immer vorwärts lautet die Parole, und in wenigen Staaten der Welt wird die Dynamik des politischen Betriebs derart ungebremst zelebriert wie in Israel.

Israel's Defence Minister Barak attends a news conference at the Knesset, the Israeli parliament, in Jerusalem

Ehud Barak ist auf das Amt des Verteidigungsministers fixiert. Deshalb verkam die einst große Arbeitspartei zu einem Feigenblatt der rechten Regierung unter Netanjahu - ihr Niedergang begann jedoch viel früher.

(Foto: REUTERS)

So flexibel wie die Einwanderer-Gesellschaft zeigt sich auch ihre Politik: Alles fließt, die Regierungen wechseln schnell, und die Parteienlandschaft ist in ständiger Bewegung. In diesem Licht ist auch der Untergang der israelischen Arbeitspartei, der durch den Austritt von Parteichef Ehud Barak nun besiegelt wurde, nur logisch und konsequent.

Für die Zukunft ist dabei vorgesorgt: Barak bleibt in der Regierung, die Macht ist gesichert. Dennoch lohnt es sich in diesem Fall, auch einmal zurückzuschauen. Nur so nämlich lässt sich verstehen, wo Israel heute steht und wie weit es mit diesem Land gekommen ist. Denn mit der Arbeitspartei versinkt endgültig eine Vision des Staates Israel. Eine neue Vision aber ist nirgends in Sicht.

Was für eine Partei, was für eine Geschichte: Inklusive ihres Vorläufers "Mapai" hat die Arbeitspartei Israel aufgebaut, geprägt und über Jahrzehnte hinweg allein regiert. Verbunden ist das mit Namen von Legenden wie David Ben-Gurion, Jitzchak Rabin und Schimon Peres. Die Arbeitspartei setzte den Zionismus in die politische Praxis um. Ihr Israel ist das Land der Kibbuzim, der zumindest propagierten sozialen Gerechtigkeit und des zumindest angekündigten Friedens. Es ist das Land israelischer und auch manch westlicher Sehnsuchtsträume.

Die Hoffnungen sind zerstört

Zwar haben und hatten diese Träume mit der Realität bisweilen wenig zu tun, oder Teile der Realität wurden ignoriert. Denn auch die Arbeitspartei hat Kriege geführt und arabisches Land besetzt, hat Siedlungen gebaut und nicht zuletzt in den sechziger Jahren Israel zur heimlichen Atommacht aufgerüstet. Dennoch hat es die Partei über lange Zeit hinweg geschafft, die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft für Israel und den gesamten Nahen Osten zu verkörpern.

Diese Hoffnungen sind heute weitgehend zerstört - und dies ist einer der Gründe für den Niedergang der Arbeitspartei, wenn auch beileibe nicht der einzige. Denn der Abstieg hat streng genommen bereits 1977 begonnen, als die Quasi-Staatspartei zum ersten Mal die Macht an den Likud verlor. Danach verschliss sich ihre Ideologie und auch ihr Personal zunehmend in Juniorpartnerschaften mit den Rechten.

Gescheitert an Gegensätzen

Ein Hoch erlebte die Partei zwar noch einmal in den neunziger Jahren, als Rabin und Peres in Oslo zum Frieden mit den Palästinensern aufbrachen. Doch als Partei des Friedens wurde der Arbeitspartei 1995 mit der Ermordung Rabins durch einen jüdischen Extremisten ein Schlag versetzt, von dem sie sich nie mehr richtig erholt hat. Der Aufbruch von Oslo schließlich hat nach fast zwei Jahrzehnten immer noch kein Ziel erreicht.

Schwerer noch als das Scheitern im Friedensprozess wiegt innenpolitisch, dass die Arbeitspartei jenseits der zionistischen Glaubenssätze keine Antworten mehr liefern konnte auf viele Entwicklungen in der israelischen Gesellschaft. Geprägt wird diese Gesellschaft heute vor allem vom Gegensatz: zwischen westlich verwurzelten Aschkenasen und orientalischen Sepharden, zwischen Religiösen und Säkularen, zwischen Armen und Reichen. Die Einwanderungswelle aus der früheren Sowjetunion, die in den neunziger Jahren mehr als eine Million Neubürger in den Sieben-Millionen-Staat brachte, hat zudem einen ganz neuen Machtblock entstehen lassen, der die Gesellschaft nach rechts rückte.

Wenn zusammenwächst, was nicht zusammenpasst

Die zunehmende Fragmentierung spiegelt sich deutlich auch in der Parteienlandschaft wider. Wie überall auf der Welt sind die Volksparteien im Niedergang. Doch Israel zeichnet sich durch eine besondere Zersplitterung aus. Ins Parlament drängen immer neue Parteien, die reine Interessengruppen sind - für die Religiösen oder für die Russen, für die Alten oder für die Jungen. Da muss in Koalitionsregierungen vieles zusammenwachsen, was eigentlich nicht zusammenpasst.

Premierminister Benjamin Netanjahu vom konservativen Likud dirigiert deshalb nach dem neu-israelischen Prinzip des divide et impera ein Bündnis mit Ultra-Rechten und Ultra-Orthodoxen. Die einstmals linke Arbeitspartei, geschrumpft zur viertstärksten Kraft im Parlament, war darin ohnehin zum bloßen Feigenblatt verkommen - und zum Vehikel der Machtansprüche ihres Chefs Ehud Barak.

Er hatte die widerwillige Partei in die Koalition gezwungen und mit seiner Fixierung auf das Amt des Verteidigungsministers einer ständigen Zerreißprobe ausgesetzt. Mit seinem Auszug aus der Partei hat er die Konsequenzen aus endlosen Streitereien gezogen. Er kann nun nach vorne schauen, schließlich hat er für sich sein Ministeramt gesichert. Politisch darf das als clever gelten. Doch in den Geschichtsbüchern wird Ehud Barak dereinst stehen als Totengräber der legendären Arbeitspartei.

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