Spahns erster Tag als Gesundheitsminister:"Ein Knaller!"

An seinem ersten Tag im Amt verabschiedet Jens Spahn seinen Vorgänger, reißt einen Witz vor Klinikmanagern über Kassenbeiträge - und bringt selbst das skeptische Publikum beim Pflegetag zum Johlen.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Seine außerordentlich gute Laune präsentiert Hermann Gröhe schon auf der Treppe. Im Foyer seines Gesundheitsministeriums warten alle Mitarbeiter, Personalversammlung, und außerdem Fotografen und Kameraleute. Gröhe steigt hinab und strahlt, als hätte er Anlass dazu. Neben ihm geht Jens Spahn, der Mann, der ihm nach dem Platz im CDU-Präsidium nun auch den Sitz am Kabinettstisch nimmt.

Doch Frust will Gröhe nicht zeigen, im Gegenteil. Als ihm Spahn etwas ins Ohr flüstert, kichert er laut auf und seine Abschiedsrede beginnt er mit einem Hopser auf das Podest. Erst als alles gesagt ist, das Amt an Spahn übergeben, der Betriebschor singt eine schwermütige Melodie, da füllen sich Gröhes Augen mit Tränen. Eilig wischt er sie mit einem Taschentuch fort, versenkt es in der Hosentasche und setzt sein Lächeln wieder auf.

"Ich glaube, jeder kann nachempfinden, es ist ja heute auch kein leichter Tag für dich", sagt Spahn zu Gröhe in seiner ersten Rede. Gröhes Gesicht wirkt da wie eingefroren. Spahn war nervös, bevor er sich am Donnerstagmorgen den Mitarbeitern stellte. Er nestelte an Hemdärmel und Hosenbein, kramte immer wieder ein Stück Papier hervor, auf dem er Gedanken notierte. Doch je länger er spricht, desto mehr ist Jens Spahn in seinem Element. Er werde den Bereich des Digitalen im Haus ausbauen. Jedes Vierteljahr sollen Start-ups zum "kleinen Pitch" eingeladen werden, erklärt er den Beamten. Bislang habe das Haus an der Digitalisierung der Gesundheit zwar "gut gearbeitet", aber noch nicht gut genug. Spahn hat erst vor zwei Jahren gemeinsam mit einem Finanzier von Gesundheits-Apps ein Buch geschrieben.

Überhaupt gleicht Jens Spahns erster Tag als Gesundheitsminister einem großen Wiedersehen. Spahn war bis 2015 der Gesundheitsexperte der CDU. Nachdem er der Personalversammlung mit lässig gekreuzten Beinen im Fahrstuhl entschwebt ist, fährt er in ein Hotel, in dem Klinikmanager tagen. Es geht um die sogenannten Fallpauschalen, die in Krankenhäusern dazu führen, dass Operationen wie Produkte abgerechnet werden.

Im Koalitionsvertrag hatte Gröhe mit der SPD ausgehandelt, dass Pfleger künftig aus solchen Kalkulationen herausgenommen werden, damit sie keinen Sparmaßnahmen zum Opfer fallen. Bei den Klinikmanagern sorgt das für Unsicherheit, Spahn weiß das. "Das Geld muss der Leistung folgen", sagt er deshalb. Er plane zwar ein Gesetz für Krankenpfleger, aber die Krankenhäuser würden ihrer "betriebswirtschaftlichen Verantwortung" sicher nicht beraubt. Bevor er geht, erfreut Spahn den Saal noch mit einem Spezialisten-Witz über Kassenbeiträge und Steuergeld. Hier, im Kreis der Gesundheitsfunktionäre, ist seine Aufregung vom Morgen verflogen.

Die Moderatorin jubelt

Sein schwarzer Dienstwagen bringt Spahn zum nächsten Auftritt. Beim Deutschen Pflegetag in Berlin-Kreuzberg erwarten ihn nicht nur Pflegerinnen und Pfleger, sondern auch eine Traube Journalisten. Der neue, konservative Minister soll nun mal erklären, wie er sich das vorstellt mit dem Pflegenotstand in Deutschland.

Bevor er die Bühne betreten darf, spricht Dilek Kolat, die Berliner "Pflegesenatorin", wie sie sich selbst nennt, Parteibuch: SPD. "Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens", schimpft sie, gerade die Fallpauschalen im Krankenhaus, seien schuld an der ganzen Misere. Der Saal applaudiert. Hier herrscht eine völlig andere Stimmung als bei den Klinikmanagern im Hotel.

"Ich wüsste genau, wie ich hier eine Rede halten muss, damit der ganze Saal tobt", sagt Spahn

Spahn hat sich darauf vorbereitet. Punkt für Punkt spricht er an, was die Regierung laut Koalitionsvertrag für die Pflege tun will. Eine neue Ausbildung, mehr Lohn, mehr Personal. Bloß wie eigentlich eine Idealbesetzung im Krankenhaus oder Altenheim aussähe, darüber lasse sich streiten, sagt Spahn. Mehrere Frauen im Publikum murren hörbar. "Das ist ein Spagat", sagt Spahn. Er wolle keine falschen Hoffnungen wecken: "Ich wüsste genau, wie ich hier eine Rede halten muss, damit der ganze Saal auf dem Stuhl steht und tobt", sagt er. Das Murren wird lauter. "Ja, ja, ja, es ist doch so", ruft Spahn.

Es ist tatsächlich so. Denn für das Ende seiner ersten ministeriellen Pflege-Rede hat sich Spahn einen Kunstgriff überlegt. Während er am Morgen, vor der Belegschaft seines Hauses, noch offen ließ, wer künftig der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung werden soll, zaubert Spahn auf dem Pflegetag die neue Personalie aus dem Hut. Er werde für dieses Amt Andreas Westerfellhaus vorschlagen, sagt Spahn nun, den langjährigen Präsidenten des Deutschen Pflegerats und Gründer eben dieser Veranstaltung. Das Publikum johlt. Stehend beklatschen die Pfleger jetzt den neuen Minister. CDU-Mann Westerfellhaus erhebt sich von seinem Stuhl in der ersten Reihe, verneigt sich, und betritt die Bühne, um Spahn die Hand zu schütteln. "Ein Knaller!", jubelt die Moderatorin.

Alle Vorbehalte gegen den 37-jährigen Minister scheinen in diesem Augenblick vergessen. Jens Spahn verlässt den Saal, immer wieder gestoppt von Pflegern, die Selfies mit ihm schießen wollen. "Kommen Sie zum Kongress der jungen Pflege?", fragt ihn eine Frau. "Hab ich schon auf Twitter gesehen", antwortet Spahn: "Spätestens Montag melde ich mich!" Dann läuft er davon, weiter zu neuen, alten Bekannten.

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