Lauterbach und Spahn:"Wir arbeiten gut zusammen"

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Jens Spahn und Karl Lauterbach kennen sich seit Jahren. Der eine ist Gesundheitsminister. Am Freitag zeigt sich: Der andere gefühlt irgendwie auch.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Drei Minuten bevor es losgehen soll, betritt Jens Spahn das Foyer der Bundespressekonferenz. Er geht direkt auf Karl Lauterbach zu, bremst aber rechtzeitig ab. Zwei Meter Abstand, man ist ja unter Profis. Ein Ellenbogencheck zur Begrüßung, dann nimmt Spahn erst mal seine Brille ab. Der späte Märzschnee draußen, die Maske im Gesicht - der Minister steht kurzzeitig im Nebel. Lauterbach ist zwar auch Brillenträger, aber er war früher da als Spahn. Er sieht also schon wieder klar, und auch später, oben im Saal, wird es noch einmal darum gehen, wer von beiden den größeren Durchblick hat.

Spahn hat Lauterbach eingeladen zu seiner wöchentlichen Pressekonferenz. Die beiden kennen sich seit Jahren. 2005 kam Lauterbach, der schräge Professor, in den Bundestag; Spahn war da schon eine Legislaturperiode lang dabei. 2009 wurden beide gesundheitspolitischer Sprecher ihrer Fraktion, Spahn für die Union, Lauterbach für die SPD. 2013 waren sie es, die in den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD die Gesundheitsthemen glattzogen.

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In den Kliniken kommt die dritte Welle an. Mit mehr als 3000 belegten Betten liegt die Belastung auf den Intensivstationen im Moment erneut so hoch wie zu den Spitzenzeiten vor einem Jahr.

Lauterbach scheint seinen Zweitwohnsitz in den Talkshow-Studios das Landes zu haben

Spahn ist ein erfahrener Gesundheitspolitiker. Niemand würde bestreiten, dass er trittsicher ist zwischen Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz und Zuzahlungsfreistellung. Er kann Pharmakovigilanz stolperfrei aussprechen und vermutlich auch nachts um vier die Berechnung der Inzidenzschwellen herleiten. Aber Lauterbach hat Medizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie studiert, zwei Doktor- und einen Professorentitel, und er hat in Harvard geforscht und gelehrt. Seit die Pandemie das Land im Griff hat, liest er nachts Studien und referiert tagsüber zu Virenlast, Verdopplungszeiten und neuerdings zu Sinusvenenthrombosen und Thrombozytenzahl. Spahn gibt viele Interviews, Lauterbach aber scheint seinen Zweitwohnsitz in den Talkshow-Studios das Landes zu haben. Im Bundestag spricht er, wenn sich die Gelegenheit ergibt, gerne demonstrativ mit der Kanzlerin, so, dass alle es mitkriegen. Weshalb am Freitag in der Bundespressekonferenz schon der Eindruck aufkommt, dass da der Gesundheitsminister neben dem heimlichen Gesundheitsminister sitzt, und Spahn die Frage beantworten muss, ob es nicht vielleicht andersherum besser wäre.

Spahn lacht kurz auf. "Wie lang kennen wir uns jetzt?", fragt er in Lauterbachs Richtung. "Ewig", antwortet der, "ewig. Ich glaube 16 Jahre." Spahn sagt etwas kryptisch: "Ich glaube, wir haben gegenseitig voneinander verschiedene, aber immer gute Eindrücke." Über all die Jahre hätten sie gut zusammengearbeitet. Wie genau diese Zusammenarbeit derzeit aber aussieht, will Spahn nicht verraten. "Wenn immer wir uns was zu sagen haben, finden wir uns."

Spahn erinnert an die Koalitionsverhandlungen 2013. "Damals wussten wir beide nicht, was wird oder nicht wird anschließend bei der Regierungsbildung", und dann sei es doch ganz anders gekommen. Was er damit meint: Eigentlich wäre er schon damals gerne Minister geworden, wurde aber von der Kanzlerin übergangen. Es war ein Rückschlag für seine bis dahin steile Karriere; erst vier Jahre später kam Angela Merkel nicht mehr an ihm vorbei. "Wer weiß", sagt Spahn also über Lauterbach, "vielleicht wird er ja noch mal Gesundheitsminister."

Während Spahn kämpft, gewinnt der Professor an Profil

Gemeinsam gescheitert sind Spahn und Lauterbach beim jeweiligen Versuch, Vorsitzender ihrer Partei zu werden. Lauterbach landete mit seiner Partnerin Nina Scheer auf Platz vier von sechs, Spahn wurde Dritter von dreien. Doch während Lauterbachs Kandidatur von den meisten Beobachtern eher mittelernst genommen wurde, galt Spahns dritter Platz als Achtungserfolg. Spahn hat erreicht, was Lauterbach sich wohl auch zugetraut hätte, erst Parlamentarischer Staatssekretär, dann Minister. Doch jetzt, in der Pandemie, ist alles, was Lauterbach früher kauzig wirken ließ, plötzlich der Rohstoff, aus dem Expertentum gemacht ist. Während Spahn seit Wochen mit Corona-Pannen und seinem Sinkflug kämpft, gewinnt Lauterbach mit jedem Tweet an Profil.

Lauterbach hat in der Pandemie öffentlich noch kein böses Wort über Spahn gesagt. Auch am Freitag, als er nach dem Minister an der Reihe ist, sagt er als Allererstes: "Zunächst einmal möchte ich bestätigen, was Herr Spahn sagt: Wir arbeiten gut zusammen." Die Pandemiebewältigung sei keine Gelegenheit für Parteipolitik. "Daran habe ich mich all die Zeit gehalten und gedenke, das auch weiter zu tun." Das müsse der "Geist" sein, "in dem wir hier zusammenarbeiten".

Dennoch ist unübersehbar, dass Lauterbach schon mal anderer Meinung sein kann als Spahn. Das jüngste Beispiel: Der Stopp der Astra-Zeneca-Impfungen. "Es ist ja bekannt, dass ich die Entscheidung anders getroffen hätte", sagt er am Freitag, um dann aber schnell hinterherzuschieben, dass man das "so oder so" hätte entscheiden können. Eine Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts sei schon gewichtig, und ein Minister gehe ja auch ins Risiko, wenn er dagegen entscheide.

Seit Freitag darf das Vakzin nun wieder in die Oberarme gespritzt werden. Der Vertrauensschaden jedoch, der entstanden ist, muss erst noch vermessen werden. Spahn findet, dass es Vertrauen schaffe, auf das Paul-Ehrlich-Institut zu hören. Lauterbach sagt: "Das ist ein Impfstoff, den ich jederzeit nehmen würde." Aus seinem Mund dürfte das bei vielen durchaus Eindruck hinterlassen, denn der Mann ist sehr gesundheitsbewusst. Schließlich isst Lauterbach nicht mal Salz.

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