Corona:Spahns große Masken-Malaise

Fußball EM - Frankreich - Deutschland

In der Defensive: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schaute sich die Niederlage der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Frankreich im Münchner Stadion an.

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Unkoordiniert, unprofessionell und mit lückenhafter Aktenführung: Der Bundesrechnungshof hat geprüft, wie das Gesundheitsministerium Schutzausrüstung beschaffte, und erhebt nun schwere Vorwürfe.

Von Markus Grill, Klaus Ott und Angelika Slavik, Berlin

Man kann nicht sagen, dass Jens Spahn es nicht versucht hätte. Wer den Bundesgesundheitsminister in den vergangenen Wochen beobachtete, sah einen Mann, der sich redlich mühte, seine Botschaft in die Welt zu senden. Man solle doch auch mal die Erfolge betrachten, sagte Spahn bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Anerkennen, was schon alles erreicht worden sei im Kampf gegen die Pandemie. Nicht immer alles so negativ sehen.

Genützt hat es nichts, die Liste der Vorwürfe gegen Spahn wurde zuletzt beinahe täglich länger. Nicht nur die Opposition, auch der Regierungspartner SPD hat sich auf ihn eingeschossen. Nun aber kommt Kritik auch noch von ganz anderer Stelle: Der Bundesrechnungshof (BRH) wirft Spahn und seinem Haus massive Verfehlungen vor.

Die Akte IX 1 - 2020 - 0946 ging am Mittwoch an den Bundestag. Auf 51 Seiten beschreibt die Kontrollbehörde darin Spahns Ressort als schlampig und unprofessionell, die Beschaffung von Schutzmasken in der Pandemie als das reinste Chaos. Es ist bittere Kost für den angeschlagenen Minister.

Der zentrale Vorwurf: Das Gesundheitsministerium habe für insgesamt fast sieben Milliarden Euro Schutzkleidung besorgt, weit über den Bedarf hinaus. Das gilt vor allem für Masken der Kategorie FFP2 oder ähnlicher Standards sowie für medizinische Mund‐Nasen‐Schutzmasken (MNS), auch OP-Masken genannt. Der Rechnungshof spricht von einer "massiven Überbeschaffung". Die von Spahns Ministerium vorgelegten Berechnungen beruhten auf "sachfremden und unrealistischen Annahmen".

Das Ministerium bot 4,50 Euro pro Maske an

Aus Sicht der Prüfer bestand ein grundsätzliches Problem im Ministerium darin, dass es kein Verfahren zur "systematischen Mengensteuerung" gegeben habe. Masken seien plötzlich auf unterschiedlichsten Wegen gekauft worden. Das Ministerium habe die Beschaffungsämter des Bundes aufgefordert, Corona-Schutzkleidung zu besorgen. Dann habe Spahns Ressort selbst bei Lieferanten eingekauft. Des Weiteren habe es deutsche Unternehmen beauftragt, Masken in China aufzutreiben.

Schließlich habe es noch ein sogenanntes Open-House-Verfahren gegeben, heißt es im BRH-Bericht. Möglichen Lieferanten sei angeboten worden, zum Festpreis von 4,50 Euro pro Stück beliebig viele FFP2-Masken an den Bund zu liefern. Das nutzten viele Firmen. Für das Open-House-Verfahren war zunächst ein Budget von 500 Millionen Euro vorgesehen. Doch schon zehn Tage nach dem Start erteilte der Bund Lieferanten 733 Zuschläge mit einem Volumen von mehr als 6,4 Milliarden Euro. Am Ende lieferten viele Firmen aber nicht, sodass nur Kosten in Höhe von knapp einer Milliarde Euro anfielen.

Insgesamt habe das Ministerium damals einen Drei-Monats-Bedarf von 75 Millionen FFP2-Masken und 200 Millionen OP-Masken für Kliniken und Arztpraxen festgestellt. Dann aber habe Spahns Ressort so viele Beschaffungsaufträge vergeben, dass am Ende 5,8 Milliarden Masken an den Bund geliefert worden seien.

Diese hohe Zahl bräuchte man nur, wenn der Bund allen Beschäftigten in Krankenhäusern, Arztpraxen und sonstigen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens ein ganzes Jahr lang Schutzmasken zur Verfügung stellen würde. Laut BRH baten aber bereits im Mai 2020 mehr als ein Drittel der 16 Bundesländer und Kassenärztlichen Vereinigungen das Ministerium, die Lieferungen einzustellen. Erst dann sei dem Bund offenbar klar geworden, dass die Länder auch selbst persönliche Schutzausrüstung beschafft hätten "und daher nur geringe Mengen abnehmen wollten".

Millionen Masken fielen durch die Qualitätskontrollen

Im Bundesgesundheitsministerium will man diese Vorwürfe nicht unkommentiert stehen lassen. Die Pandemie sei eine beispiellose Herausforderung für das Gesundheitswesen, heißt in einer schriftlichen Stellungnahme. "Schnelles, entschlossenes und unbürokratisches Handeln" sei notwendig gewesen, als völlig unklar gewesen sei, ob und wie der Bedarf an Masken und Schutzausrüstung gedeckt werden könnte. Man habe zudem alles versucht, um schnell zu einer validen Bedarfseinschätzung zu kommen.

Die BRH-Kritik geht noch weiter. Ein erheblicher Teil der teuer gekauften Schutzkleidung ist offenbar mangelhaft. Anfang April 2021 hatte das Ministerium laut BRH insgesamt 2,4 Milliarden Masken unterschiedlicher Kategorien eingelagert. Davon seien 941 Millionen Masken "streitbefangen" gewesen, schreiben die Prüfer. Das bedeutet: Diese Masken haben angeblich Qualitätskontrollen in Deutschland oder China nicht bestanden.

Die Prüfer rügen: Es "fehlen jegliche Unterlagen"

Noch schwerwiegender als die Masken-Malaise aber sind die Vorwürfe der Prüfer in Bezug auf Organisation des Bundesgesundheitsministeriums. Sie zeichnen das Bild eines chaotisch geführten Hauses. Viele Entscheidungen und Maßnahmen seien "unzureichend dokumentiert und lassen sich nicht nachvollziehen" schreibt der BRH. Außerdem habe Spahns Ressort den Prüfern "trotz mehrfacher Anforderung über Monate hinweg" keine Unterlagen dazu vorgelegt, dass bis zu fünf Milliarden Schutzmasken besorgt werden müssten. Die Prüfer rügen "mangelhafte Aktenführung" und bilanzieren: "Zu wichtigen Grundsatzfragen fehlen jegliche Unterlagen."

Die lückenhafte Dokumentation, kritisieren die Prüfer, habe nicht nur ihre Arbeit schwer gemacht, sondern auch keine hinreichende Grundlage für die Steuerung der Beschaffungsvorgänge geboten. Anders ausgedrückt: Das Ministerium ist so schlampig organisiert, dass die Maskenkäufe gar nicht gelingen konnten. Im Ministerium heißt es, man habe alle erforderlichen "zahlungsbegründenden" Unterlagen zusammengestellt. Die "weitere Veraktung" dauere an.

Immerhin, das gesteht der Rechnungshof Spahn und seinem Haus zu: Man habe sich "unter hohem Einsatz" im Frühjahr 2020 in kürzester Zeit um die Maskenbeschaffung gekümmert und somit einen "wesentlichen Beitrag zur akuten Krisenbewältigung" geleistet. Gleichwohl gebe es viel zu kritisieren. Man soll nicht immer das Negative sehen, findet Jens Spahn. Dem Bundesrechnungshof ist das wohl nicht gelungen.

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