Spähprogramm Prism:Das neue Gold des US-Geheimdienstes

Die NSA will Menschenleben gerettet haben. Doch die Beispiele ihrer Datenüberwachung sind wenig überzeugend. Ein vager Anschlagsplan auf die New Yorker Börse, eine Spende nach Somalia. Mehr ist da nicht. Hat der Informationsvorrat irgendeinen Nutzen?

Von Nicolas Richter, Washington

In den Dreißigerjahren ließ Präsident Franklin D. Roosevelt sämtliche Goldmünzen seiner Bürger aufkaufen, das Edelmetall wurde in Barren gegossen und später im berühmten Speicher von Fort Knox eingelagert. Vieles davon liegt dort noch heute und ist in all den Jahrzehnten kaum je berührt worden.

Inzwischen sind nicht mehr Goldbarren die härteste Währung, sondern Daten, und wenn der Staat heute sammelt und lagert, dann vor allem die Spuren der Telekommunikation. Die National Security Agency (NSA), so hat sich herausgestellt, greift sämtliche Telefondaten als auch den internationalen Internetverkehr ab und speichert vieles davon über Jahre. Die US-Regierung verteidigt die Überwachung vehement, Präsident Barack Obama erklärte jüngst, der NSA-Speicher habe Terroranschläge verhindert, also Leben gerettet.

Je länger die Verantwortlichen das eigentlich geheime Programm erklären, desto mehr erinnert das Bild an den Goldspeicher von Fort Knox: Der Staat bekennt sich zwar dazu, dass er so gut wie alles einsammelt. Aber das Beruhigende soll darin liegen, dass alles in einem Tresor landet, zu dem kaum jemand Zugang hat, und dass der Großteil der gelagerten Schätze nie angetastet wird. Wobei leider der Nachteil bleibt, dass die Öffentlichkeit all diese Beteuerungen nicht überprüfen kann, weil sie im Datenspeicher so wenig zugelassen ist wie in der Goldkammer.

Nur 22 NSA-Beamte haben Zugang zum Datenschatz

Die Überwachung von Telefonen zum Beispiel: Die NSA speichert sämtliche inländische Verbindungsdaten; also die Nummer des Anrufers wie des Angerufenen, die Uhrzeit, die Dauer. Damit ist der Speicher zwar prall gefüllt. Angeblich aber wird nur ganz wenig entnommen. Die Verantwortlichen haben im Parlament erklärt, nur 22 NSA-Beamte hätten Zugang zum Datenschatz; im vergangenen Jahr hätten sie weniger als 300 Vorgänge gesucht. Gelte die Suche dem Anschluss eines US-Bürgers, müsse ein Sondergericht die Nachforschung erst erlauben.

Zweitens speichert die NSA weite Teile des internationalen Internet-Verkehrs, also den Inhalt von E-Mails, Anhängen oder Chats, indem sie direkt auf die Server der großen Internet-Anbieter oder auf Glasfaserkabel zugreift. Die NSA betont, dass dies nur auf Ausländer ziele - anders als das Telefonprogramm also nicht auf Amerikaner. Allerdings werden US-Bürger freilich dann erfasst, wenn sie sich mit Ausländern austauschen. Außerdem hat die Washington Post neue Dokumente veröffentlicht, laut denen die NSA Internetdaten von Amerikanern speichern kann, wenn diese geheimdienstlich relevant sind oder Beweise für Verbrechen enthalten.

Der Datenwust habe Dutzende Anschläge verhindert, behaupten die Verantwortlichen, doch die genannten Beispiele können nicht ganz überzeugen. Im Parlament erzählte Sean Joyce, der Vize-Chef der Bundespolizei FBI, von einem Fall, in dem Terroristen einen Anschlag auf die New Yorker Börse vorbereitet hätten. Allerdings war dieser Plan so wenig konkret, dass keiner der Verdächtigen deswegen verurteilt wurde. Als weiteren Erfolg nannte Joyce einen Fall aus Kalifornien: Mehrere Männer hätten 8500 Dollar an die Terrorgruppe al-Shabaab in Somalia überwiesen; sie seien durch die Telefondatenbank überführt worden. Joyce stellte allerdings auf Nachfrage klar, dass die Gruppe selbst keine Gewalt geplant hatte.

"Der größte Ertrag ist, dass man eine Spende nach Somalia aufdeckt"

Die NSA sieht den Wert ihrer Datenbank aber vor allem darin, dass sie jederzeit alles parat hat; dass sie verdächtige Anschlüsse laufend beobachten und vergangene Vorgänge sofort rekonstruieren kann. "Geschwindigkeit in Krisenlagen", nennt das NSA-Chef Keith Alexander. Der frühere FBI-Experte Philip Mudd erklärt: "Wenn ich das Profil eines Verdächtigen im 21. Jahrhundert erstellen möchte, brauche ich digitale Spuren, das Bewegungsmuster. Dann möchte ich plötzlich Telefonate kennen, die mich vorhin noch gar nicht interessiert haben." Aus Sicht der Regierung gebietet es die Menge an verdächtigen Vorgängen weltweit, einen Informationsvorrat anzulegen. "Nicht alle Daten sind relevant, aber die Datenbank ist relevant. Sie muss alles beinhalten, sonst ist sie wertlos", sagt Steven Bradbury, der lange für das US-Justizministerium gearbeitet hat.

Nicht alle Juristen sind so großzügig. "Die NSA speichert über Jahre alle Anrufe, auch die unserer Kinder mit ihren Freunden; und am Ende soll der größte Ertrag daraus sein, dass man eine Spende nach Somalia aufdeckt", sagt der Verfassungsjurist David Cole. Der größte Missstand ist es aus seiner Sicht, dass die Öffentlichkeit sich kaum eine Meinung bilden könne, weil das NSA-Programm vertraulich sei. "Wir haben viel zu viel Geheimhaltung", sagt Cole.

Juristen sehen Gefahr des Datenmissbrauchs

Die jüngsten Erkenntnisse haben sein Misstrauen nur gesteigert. Der oberste US-Geheimdienstchef James Clapper musste zugeben, dass er im März das Parlament belogen hatte; damals hatte er noch bestritten, dass die NSA Daten von Amerikanern sammelt. Kontrollen des Systems sind scheinbar flüchtig; bei den jüngsten Sitzungen hörten die NSA-Oberen von den Abgeordneten mehr Komplimente als kritische Fragen. NSA-Chef Alexander wiederum nannte die Richter beim Sondergericht, das seine Fälle überprüft, "grandios".

Cole erinnert deswegen daran, dass Regierungen einen Datenwust dieser Größe leicht missbrauchen könnten und in der Vergangenheit auch schon missbraucht hätten. Viele rechte Amerikaner, die eigentlich für robuste Landesverteidigung eintreten, befürchten zum Beispiel, dass die Regierung Obamas den Datenspeicher plündern könnte, um Steuerhinterzieher zu verfolgen. Allgemein beklagt Cole diesen "mission creep" in der Terrorabwehr: Im Ausnahmezustand würden neue Regeln geschaffen, die dann schleichend auf alle Lebensbereiche ausgeweitet würden und dort blieben, selbst wenn der eigentliche Ausnahmezustand vorüber sei.

Snowden sei so gefährlich wie die äußeren Feinde Amerikas

Aus Sicht der Regierung und der Wortführer beider Parteien im Kongress freilich geht eine dringende Gefahr allenfalls von dem Whistleblower Edward Snowden aus, der das NSA-Programm offengelegt und damit beschädigt hat. Snowden, ein Amerikaner, sei fast so gefährlich wie die äußeren Feinde Amerikas, hieß es im Parlament. Als wäre Snowden der Film-Schurke "Goldfinger", der die Goldreserven in Fort Knox entwerten wollte, indem er sie radioaktiv verseuchte.

Der Verfassungsrechtler Cole hält dem entgegen, dass die jüngsten Enthüllungen zur NSA das Verhalten von Terroristen wohl kaum verändern würden. Tatsächlich gehen Extremisten seit vielen Jahren schon davon aus, dass sie elektronisch beobachtet werden, weswegen sie am Telefon und in E-Mails Code-Wörter benutzen. Snowden wiederum soll auf der Suche nach einem langfristigen Exil jetzt Beistand erhalten haben: Ein Unternehmer hat erklärt, er habe ein Privatflugzeug gechartert, um Snowden von Hongkong nach Island zu fliegen.

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