Süddeutsche Zeitung

Soziologie:Legolize it!

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Harald Welzer erklärt seinen Lesern, wie die Welt besser wird und warum Spielzeugsteine dabei helfen können. Es ist eine Art optimistisches Trostbuch - und eine Provokation für die "lieben Ökos".

Von Cord Aschenbrenner

Zu den Ökos zählt Harald Welzer sich selbst jedenfalls nicht. Der habilitierte Sozialpsychologe, Gründer der gemeinnützigen Stiftung Futurzwei, bescheinigt der Ökologiebewegung in seinem neuen Buch eine "erstaunlich genügsame Selbstzufriedenheit". Die zeige sich darin, die Welt, so wie sie ist, plus ein wenig grüner Kosmetik und "Postwachstumsökonomie" ganz gut zu finden. Die Grünen hätten nicht einmal eine eigene Ästhetik, stattdessen bevorzugten sie Bilder wie aus der Margarinereklame: "gut gelaunter kinderreicher Mittelstand auf grünen Wiesen unter Windrädern". Das, "liebe Ökos, reicht nicht", schreibt Welzer. Eine andere Zukunft müsse her.

Mit solchen Provokationen macht man sich nicht überall Freunde, aber das will Harald Welzer vermutlich auch nicht. Er will anecken wie einer der alten Grünen aus deren Frühzeit; sein Buch stellt die so gültigen wie offenbar unumstößlichen gesellschaftlichen Überzeugungen infrage: immerwährendes Wirtschaftswachstum, eine entsprechend weiter wachsende Mobilität für jeden zu jeder Zeit, die ständige Verfügbarkeit von Waren und Dienstleistungen.

Manches klingt dabei radikal, manches ist sarkastisch-polemisch, so wenn Welzer seiner inständigen Verachtung für Kreuzfahrten Ausdruck verleiht. Meistens kommt Welzer schön widerständig rüber, wie er selbst es vielleicht ausdrücken würde. Wohl um nicht wie der Professor für "Transformationsdesign" (wo es um die Gestaltung von ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen geht) zu klingen, der er auch ist, greift Harald Welzer hin und wieder in den Topf für Alltagssprache: "Scheißarbeit", "die sicherste Gesellschaft ever" oder auch "cooles Prinzip".

Die gegenwärtige Realität, also die mittlerweile weltumspannende Lebens- und Wirtschaftsweise, betrachtet Welzer nur als einen "Vorschlag", entstanden aus der kapitalistischen Weltordnung. Es könnte also auch anders sein. Diesen Vorschlag einfach in die Zukunft zu verlängern bedeute, etwas anzunehmen, was nicht mehr annehmbar ist. Oder auch, sich auf ein Experiment einzulassen, das ganz sicher scheitern wird. Es besteht darin, herauszufinden, ob man in einer endlichen Welt unendlich expandieren kann, wie es das kapitalistische Wachstumsmodell vorsieht. Oder, einfacher ausgedrückt, zu schauen, wie lange die Erde dem allgegenwärtigen Raubbau an allem noch standhält. Unsere Lebensweise sei "eine Illusion, und zwar eine gefährliche".

Nicht die große Utopie propagiert der Autor, sondern einen "Pfadwechsel"

Die Menschheit, schreibt Welzer, lebt in einem Wahnsystem, dem die allermeisten zustimmen, einfach, weil sie dabei sein wollen: beim Fliegen, Smartphonen und Immer-von-allem-das-Neueste-Haben, als gute Verbraucher von der Wiege bis zur Bahre. Materiell fehlt es den Bewohnern dieses Wahnsystems an nichts, mental-emotional aber sehr wohl - Welzer erkennt üble Laune, Missstimmung, Genörgel überall, womit er, betrachtet man den deutschen Teil der Menschheit, zweifellos recht hat.

Dabei gäbe es Gründe, die Gegenwart zu schätzen: der liberale Rechtsstaat, die lange Zeit ohne Krieg in Mitteleuropa, die hohe Lebenserwartung, Bildung, Gesundheit, Wohlstand - es schlägt sehr viel positiv zu Buche, was Welzer auch nicht verschweigt. Der Kapitalismus habe "ein erfolgreiches zivilisatorisches Projekt" ermöglicht. Gleichzeitig aber basiert das ganze System eben auf dem hemmungslosen Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen, was jeder wissen könnte, aber zu wenige wissen wollen.

Um den Wahn hinter sich zu lassen und das Projekt Zivilisation weiterzuentwickeln, schlägt Welzer gut sozialwissenschaftlich einen "Pfadwechsel" vor. Keine Abschaffung des Kapitalismus, keine Ökodiktatur, stattdessen eine "modulare Revolution", die machbar für jeden ist, der "vor dem Desaster abbiegen" will, wie Welzer schreibt: die "kleinstmögliche Zustandsveränderung" statt der großen Utopie, erreichbar für jeden, der guten Willens ist und bereit, nicht nur in Legislaturperioden, Konjunkturzyklen und vorgeblichen Abhängigkeiten zu denken. Im Grunde ist das eine Variation des alten Slogans "Think globally, act locally", den sich einst die Umweltbewegung auf die Fahne geschrieben hatte.

Welzer setzt stattdessen auf das Bild unbegrenzt kombinierbarer Legosteine, mit denen sich bauen und umbauen lässt, ohne Aufwand und fantasieanregend, wie sich Ältere erinnern werden. Mit Legosteinen, wohlgemerkt nur den alten Originalsteinen, könnte "alles in jedem Augenblick auch anders sein". Das ist die schnell erreichbare, ja simple Utopie, die Welzer vorschwebt und die sich auch ohne die etwas gewollt wirkende Lego-Metapher skizzieren ließe.

17 Legosteine braucht Welzer, um eine bessere Welt zu bauen, mit einer "gerechten Wirtschaft, die eine Kindheit ohne Entbehrungen" (Lego 1) ermöglicht, wie Welzer Papst Franziskus zitiert, ohne die "ganz und gar depperte fossile Mobilität" (9), mit mehr "solidarischen Vergemeinschaftungen" (8) wie der Freiwilligen Feuerwehr oder Frauenhäusern, um Empathie, Hilfeleistung und Unterstützung einzuüben, eine menschenfreundlichere Welt, in der "Gutmensch" kein Schimpfwort ist (12).

Dem resignativen Einwand, Veränderung im notwendigen Maß sei Einzelnen unmöglich, begegnet Welzer am Ende seines Buches gleich selbst: Man könne die Verbesserung der Welt nicht delegieren, sondern sei eben selbst gefragt. Mit Beispielen eines "neuen Realismus" etwa aus den Bereichen Migration, Digitalisierung, Arbeit und Wirtschaft (wo Welzer vehement die Internalisierung der Herstellungskosten fordert, also die Einrechnung der sozialen und Umweltkosten etwa eines T-Shirts aus Asien).

Welzers Buch ist manchmal hochgestimmt, schließlich geht es um eine Utopie, manchmal angenehm praktisch. Es ist eine Art optimistisches Trost- und Hausbuch für jene, die wissen oder zumindest ahnen, dass die digitalisierte, hypermobile, umfassend ökonomisierte Gegenwart keine erfreuliche Zukunft bietet.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2019
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