Soziologie:Abhängig von der eigenen Stiftung

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch stellt der Verlag auf seiner Internetseite zur Verfügung.

Eine herausragende Studie von Jeanette Erazo Heufelder bietet neue Fakten über den Mäzen Felix Weil und die Gründung der "Frankfurter Schule". Ein Mythos über Max Horkheimer wird in dem Zusammenhang zurechtgerückt.

Von Rudolf Walther

Wer glaubt, Bescheid zu wissen über die Gründung und Finanzierung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, sollte das Buch der Ethnologin und Dokumentarfilmerin Jeanette Erazo Heufelder lesen, um sich eines Besseren belehren zu lassen. Die Autorin sortiert bekannte, weniger bekannte und neue Fakten zur "Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule" übersichtlich und bestens belegt. Sie liefert obendrein zahlreiche Mosaiksteine für Biografien der von Legenden umrankten Stifterpersonen Hermann Weil (1868 - 1927) und seines Sohnes Felix (1898 -1975).

Der jüdische Kaufmann Hermann Weil emigrierte 1890 nach Argentinien und betätigte sich im lukrativen Getreideexportgeschäft. Die Firma, die er mit zwei Brüdern gründete, verfügte bald über 3000 Angestellte und 60 Schiffe. Seinen Sohn ließ Weil katholisch taufen, aber als der neunjährige Felix zur Großmutter nach Frankfurt zurückkehrte und das dortige Goethe-Gymnasium absolvierte, wurde er "automatisch" als "jüdisch" registriert.

Der erfolgreiche Vater zog sich 1908 aus dem Geschäft zurück und ließ sich in Frankfurt eine stattliche Villa bauen. Der Sohn studierte nach dem Abitur von 1919 an Volkswirtschaftslehre in Tübingen. Nach einer Denunziation durch den Rektor wurde Felix im Herbst 1919 aus Württemberg ausgewiesen und in den Polizeiakten zum Mitglied der KPD gemacht. Er promovierte bei Alfred Weber in Frankfurt.

Max Horkheimer jedenfalls rettete das Stiftungsvermögen nicht vor den Nazis

Im Herbst 1920 heiratete er und kehrte als Generaldirektor der väterlichen Firma nach Argentinien zurück. Nach seinen autobiografischen Aufzeichnungen neigte Felix Weil seit der Novemberrevolution "gefühlsmäßig", wie er im Rückblick selbst notierte, dem Sozialismus zu. Dies verstärkte sich unter dem Eindruck der Rechtlosigkeit der Landarbeiter in Argentinien und der Polizeiwillkür. Unter dem Decknamen "Beatus Lucio" wurde Generaldirektor Felix Weil Vertrauensmann der "Kommunistischen Internationale" Grigori Sinowjews. Damit begann für Weil eine lebenslang dauernde Doppelrolle als vermögender Kapitalist und Linker - eine Kombination, die Spießer bis heute irritiert.

Aus seinen Erfahrungen in Argentinien zog Felix Weil den Schluss, "dass die Weiterbildung der marxistischen Theorie eine wissenschaftliche, keine parteipolitische Aufgabe sein müsse" (Heufelder) und konnte seinen Vater von der Idee überzeugen, ein marxistisch orientiertes Forschungsinstitut zu stiften. Dabei half mit, dass sich der Firmengründer als Dank ein Ehrendoktorat erwartete. In den Verhandlungen mit der Universität und dem Regierungspräsidenten wurde die marxistische Orientierung des Instituts verschleiert, auch um die Verbindung von Direktion und einer Stiftungsprofessur in der Fakultät durchzusetzen. Am 22. Juni 1924 wurde das Institut für Sozialforschung eingeweiht.

Außer dem Bau des Instituts, den Felix Weil finanzierte, bestritt sein Vater die jährlichen Betriebskosten von 120 000 Mark. Nach dem Tod seines Vaters 1927 und einem Schlaganfall des Direktors Carl Grünberg 1928 setzte Felix Weil den Sozialphilosophen Max Horkheimer (1895 - 1973) als Chef durch. Weil finanzierte nicht nur das Institut, sondern unterstützte als Mäzen auch den Malik-Verlag, Filme wie die deutsche Fassung von Eisensteins Meisterwerk "Panzerkreuzer Potemkin" oder die Zeitschrift der kommunistischen Opposition und Theaterproduktionen wie Walter Mehrings "Der Kaufmann von Berlin".

Felix Weil ließ sich 1930 wieder in Argentinien nieder. Schon 1928 hatte er den Getreidehandel aufgegeben und gründete mit dem Erlös zusammen mit seiner Schwester gleichberechtigt eine Finanz- und Handelsgesellschaft (Safico), die sich auch im Immobiliengewerbe engagierte. Noch bevor das Frankfurter Institut am 26. Mai 1933 von den Nazis enteignet wurde, ließ sich Horkheimer "vertraglich zusichern, dass er monatlich (. . .) einen dynamisch wachsenden Betrag" erhielt - zur "Gestaltung unserer Existenz". Zwischen Felix Weil und seiner Schwester kam es 1934 zu einem Rechtsstreit. Das Institut drohte in Schwierigkeiten zu geraten, da Weils Vermögen in Holland gebunden war. Die das Institut absichernde Stiftung (SIRES) wurde durch die Familienstiftung mit 883 000 Dollar (nach heutigem Wert 16 Millionen Dollar) rekapitalisiert, und Felix Weil brachte sein Restvermögen von 770 000 Dollar ein, davon 110 000 Dollar sofort als Schenkung. Damit war der familiäre Streit, der Felix Weils physische und psychische Gesundheit arg strapazierte, nicht beendet. Weil selbst lebte als Offizier der US-Armee in bescheideneren Verhältnissen als Horkheimer im Tessin. "Das Wohl des Instituts stand für seinen Stifter an oberster Stelle." Er opferte dafür seine Position als reicher Mann und wurde abhängig von der eigenen Stiftung, in der er nichts zu sagen hatte.

Insofern ist die in der Literatur übliche Floskel, Horkheimer sei es gelungen, das Stiftungsvermögen vor 1933 in Sicherheit zu bringen, ein Euphemismus, der an Zynismus grenzt. Jeanette Erazo Heufelder ist eine beeindruckende Studie zu verdanken.

Jeanette Erazo Heufelder: Der argentinische Krösus. Kleine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule, Berenberg-Verlag Berlin 2017, 208 Seiten. 24 Euro.

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