Süddeutsche Zeitung

Sozialstudie:Deutschlands Verlierer

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Die deutsche Mittelschicht hat Angst vor dem Abstieg - dabei sind vor allem Ausländer und Alleinerziehende von Armut bedroht. Eine neue Studie zeigt, wie sehr die Chance auf Wohlstand mit der Nationalität zusammenhängt.

Kathrin Haimerl

Von den Parteien umworben, gelobt als Rückgrat des Staats: Das ist die deutsche Mittelschicht. Jetzt wirft eine Studie des Bonner Instituts für Wirtschaft- und Gesellschaft (IWG) einen neuen Blick auf die anonyme Masse. Der vielzitierte Schwund der Mittelschicht ist der Studie zufolge vor allem auf den Abstieg von zwei Bevölkerungsgruppen zurückzuführen: Migranten und Alleinerziehende.

Besonders alamierend ist die Entwicklung bei Migranten: Der Anteil der einkommensschwachen Zuwanderer stieg zwischen 1986 und 2006 von 28 auf 44 Prozent - bei den Deutschen blieb er unterdessen annähernd konstant bei 20 Prozent. Als einkommensschwach gilt dabei, wer weniger als 70 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung hat.

Besonders drastisch zeigt sich diese Entwicklung bei jenen Migranten, die zwischen 1996 und 2006 nach Deutschland gekommen sind: In dieser Zeit hat sich die Zahl der Einwanderer um 3,5 Millionen erhöht. Davon gehörten 2,9 Millionen zur Gruppe der Einkommensschwachen - ein Anteil von 83 Prozent.

Als Gründe dieser Entwicklung nennen die Autoren der Studie die schlechte Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt. Die Folgen sind höhere Arbeitslosigkeit und niedrigere Löhne. So stieg die Arbeitslosenquote der Ausländer zwischen 1986 und 2006 um 70 Prozent auf ein Niveau von 23,6 Prozent. Zum Vergleich: Unter den Deutschen stieg die Quote im selben Zeitraum um 28 Prozent auf 11,1 Prozent.

Die Verfasser der Studie kritisieren insbesondere, dass diese Entwicklung in der bisherigen politischen Diskussion kaum Berücksichtigung fand. "Integrationspolitik muss eine höhere Priorität haben", sagte eine der drei Autoren, Stefanie Wahl, sueddeutsche.de. "Wenn die Politik nicht handelt, wird die Einkommensungleichheit zunehmen und die Mittelschicht weiter erodieren". Von dieser Entwicklung wären Zuwanderer besonders stark betroffen. "Das hat immensen Sprengstoff", sagte Wahl.

"Die Gesellschaft züchtet sich arme Kinder"

Die Forscher fordern daher ein "umfassendes bevölkerungspolitisches Konzept" insbesondere in der Integrationspolitik. Unter anderem müsse sich Deutschland seine Einwanderer stärker auswählen, qualifizierten Zuwanderern "den roten Teppich ausrollen", so die Wissenschaftlerin. "Es fehlt noch immer das Bewusstsein, dass wir ein Einwanderungsland sind."

Besorgniserregend finden die Forscher auch einen weiteren Befund: Unter den 1,1 Millionen einkommensschwachen Deutschen sind Alleinerziehende mit 73 Prozent überproportional stark vertreten. Als Ursache der Einkommensschwäche nennen die Autoren vor allem die Kosten einer doppelten Haushaltsführung. So fallen etwa Miet-, Heiz- und Stromkosten bei einer getrennt lebenden vierköpfigen Familie doppelt an.

Durch den wirtschaftlichen Abstieg sind Alleinerziehende häufig auf staatliche Transferleistungen angewiesen. Der Staat leiste der Entwicklung auf diese Weise Vorschub, kritisiert Wahl. "Damit züchtet sich die Gesellschaft arme Kinder."

Insgesamt kommt der Bericht zu dem Befund, dass die Ungleichheit der Einkommensverteilung in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hat:. Während die Bevölkerung seit 1996 um 0,7 Millionen Personen anstieg, nahm die Zahl der Bezieher mittlerern Einkommens um 5,5 Millionen ab. Die Zahl Einkommensschwacher wuchs hingegen um 4,1 Millionen.

Der Bericht basiert auf den Daten des Sozioökonomischen Panels, die auch in den Entwurf des dritten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung eingegangen sind. Anhand dieser Daten hat das IWG ausgewertet, welche Bevölkerungsgruppen auf- und abgestiegen sind. Das Ergebnis: Auf der Gewinnerseite stehen deutschstämmige Familien mit Kindern. Einkommensverlierer dagegen sind, neben den Migranten, Alleinerziehende.

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