Süddeutsche Zeitung

Sozialstaat Deutschland:Würde statt Abstellgleis

In der Hartz-IV-Debatte geht es um "faule Arbeitslose". Dabei gibt es Konzepte, mit denen man Menschen Arbeit und Würde zurückgeben kann, die auf dem Arbeitsmarkt chancenlos sind.

Thorsten Denkler

Was ist das für eine scheinheilige Debatte. Seit Jahrzehnten ist es das Gleiche: Der Arbeitsmarkt bietet zu wenig Platz für alle. Viele Menschen haben da keine Chance. Sei es, weil sie sich in langen Arbeitsjahren kaputtmalocht haben und nun zu alt für ihren Job genannt werden. Sei es, dass sie es in der Schule nicht schafften, sich für einen Beruf zu qualifizieren. Und doch müssen sie sich vorhalten lassen, sie seien nur faul.

Das soziale Netz fängt alle auf. In Deutschland ist es bei allen Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten zum Glück immer noch engmaschiger gestrickt als anderswo.

Dennoch: Niemand wünscht sich, von Hartz IV abhängig zu sein. Und jeder, der drin ist, will so schnell wie möglich wieder heraus. Die, die das anders sehen, sind die absoluten Ausnahmen.

Die meisten schaffen es ganz allein, sich aus dem Netz zu befreien. Sie brauchen kein Jobcenter, keinen Sachbearbeiter, kein Drohen mit Sanktionen. Aber es gibt eben auch die, die das nicht können.

Einige sehr wenige mögen es sich mit Hartz IV eingerichtet haben. Aber viele brauchen und wollen Hilfe, einen Anstoß, vielleicht auch noch einen und noch einen, weil sie es alleine nicht schaffen.

Die SPD-Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, sagt, etwa ein Viertel aller heutigen Hartz-IV-Empfänger hätten keine Chance mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Zahl mag zu hoch gegriffen sein. Doch das ist nicht die Frage. Entscheidend ist, es gibt diese Menschen.

Kraft sagt auch nicht, dass sie diese Menschen fallenlassen will, wie ihre politischen Gegner kolportieren. Sie stellt nur die Frage: Was kann diesen Menschen helfen?

Es sind Menschen, die das Gefühl verinnerlicht haben, nicht mehr gebraucht zu werden. Sie sind nicht faul, sie sind resigniert. Sie bekommen staatliche Stütze und Politiker wie FDP-Chef Guido Westerwelle halten das für anstrengungslosen Wohlstand. Eine Verhöhnung. Als ob sich diese Menschen ihr Schicksal ausgesucht haben.

Westerwelle rät dazu, diese Menschen zum Schneeschippen einzusetzen. Mehr hat er inhaltlich zu der Debatte nicht zu sagen. Auch Hannelore Kraft will die Menschen dazu bringen, wieder zu arbeiten. Sie könnten etwa Straßen säubern oder sich in Vereinen engagieren. Ihr geht es dabei um mehr.

Im Prinzip ist es schon tägliche Realität, dass Hartz-IV-Empfänger etwas Gutes tun. Pro Jahr beginnen 700.000 Hartz-IV-Empfänger einen Ein-Euro-Job. Sie pflegen Parks, säubern Spielplätze, kümmern sich um alte Menschen. 700.000 von 5,2 Millionen Erwachsenen, die auf die staatliche Hilfe angewiesen sind. Das Instrument war ursprünglich dazu gedacht, Menschen wieder an Arbeit zu gewöhnen. Darum sind die Grenzen eng gesteckt. Die Kommunen können keine zusätzlichen Ein-Euro-Jobs mehr bereitstellen, ohne Gefahr zu laufen, dem ersten Arbeitsmarkt Aufträge zu entziehen.

Dass es nur ein Euro pro Stunde ist, den Jobber sich zu ihren Hartz-IV-Bezügen hinzuverdienen dürfen, ist das kleinere Problem. Hauptproblem ist, dass Ein-Euro-Jobs zeitlich auf maximal ein Jahr befristet sind. Im Schnitt bleibt ein Erwerbsloser nur sechs Monate dabei. Nicht, weil er danach einen regulären Job gefunden hätte. Es stehen einfach zu viele hinten an.

Das Einkommen müsste nicht höher sein als bei Hartz IV

Kraft hat recht, wenn sie fordert, es müsse fristlose Beschäftigungsverhältnisse für solche Menschen geben. Eine Art dritten Arbeitsmarkt, der jenen das Gefühl gibt, wertvoll zu sein für die Gesellschaft; denen der erste Arbeitsmarkt offenkundig nichts mehr zu bieten hat.

Die Gesellschaft darf zu Recht erwarten, dass ein Hartz-Empfänger eine Gegenleistung erbringt für das Geld, das er bekommt. Nur ist der Schluss falsch, dass Hartz-Empfänger das generell anders sähen. Sie arbeiten in der Regel gerne und freiwillig. Nur gibt es nicht genug solcher Jobs für alle.

Möglich aber wäre das. Krafts Vorschlag geht in diese Richtung: Es geht um das Konzept der "öffentlich geförderten Beschäftigung", das seit einigen Jahren in der Diskussion ist. Verkürzt gesagt: Langzeitarbeitslose bekommen statt Hartz IV ein garantiertes staatliches Einkommen, wenn sie sich im besten Sinne gemeinnützig machen.

Das Einkommen müsste nicht mal zwingend höher sein als Hartz IV, auch wenn das wünschenswert wäre. Es müsste nur ein vollkommen freiwilliges Angebot sein. Ohne Druck. Ohne Gängelung. Ohne Sanktionen. Westerwelle würde sich wundern, wie viele Menschen ohne zu zögern auf ihren "anstrengungslosen Wohlstand" verzichten würden.

Dann wären endlich auch die leidigen Debatten über "faule" Arbeitslose hinfällig, weil diese als die Randerscheinung wahrgenommen werden würden, die sie sind. Öffentlich geförderte Beschäftigung wäre eine Chance, den Betroffenen zurückzugeben, was sie oft lange vermisst haben: ihre Würde.

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