Sozialpolitiker:Kohls Minister für Linke

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16 Jahre im Amt: Norbert Blüm war von 1982 bis 1998 als einziger Minister in allen fünf Kabinetten von Bundeskanzler Helmut Kohl vertreten - hier eine Aufnahme von 1997. (Foto: Regina Schmeken/SZ Photo)

Über Jahrzehnte gab Norbert Blüm der CDU soziales Profil. Das machte ihn so wichtig.

Von Stefan Braun

Diese Leidenschaft, gerade auch die politische, sie endete nie, auch nicht zu später Stunde. Es ist keine zwei Jahre her, vor Corona und vor seiner letzten schweren Krankheit, da saß Norbert Blüm weit nach Mitternacht noch lachend und scherzend mit Peer Steinbrück zusammen. Den Rahmen gab der Abschied eines Berliner Journalisten. Es ging viel um Siege und Niederlagen, und am Ende führte das Gespräch die beiden zu Helmut Kohl. Zur guten Laune am Tisch mochte das nicht gleich passen; zur politischen Bedeutung Blüms passte es ausgezeichnet.

Ohne den streitlustigen Werkzeugmacher wäre Helmut Kohl wohl nicht 16 Jahre Kanzler geblieben. Natürlich, in den Geschichtsbüchern überragt der Altkanzler. Die Einheit. Der Euro. Aber an seiner Seite hatte der Kanzler vom ersten bis zum letzten Tag den Mann, der wie kein anderer die soziale Seite der CDU verkörperte. Anders als etwa Kurt Biedenkopf oder Heiner Geißler kam Blüm nicht 1976 als Teil der Kohl'schen Truppe aus Rheinland-Pfalz nach Bonn. Der streitbare IG-Metaller, der sich später auch mit der IG-Metall anlegte, war längst da. Von Anfang an sind die CDU-Sozialausschüsse seine politische Heimat gewesen, sie haben früh seine Bedeutung vorgegeben. Lange vor seinem berühmten "Die Rente ist sischer!" profilierte er sich als Arbeitsrechtsexperte. An die Macht kam er mit Kohl 1982. Aber die Liste der von ihm initiierten Gesetzentwürfe umfasste schon davor weit mehr als 20 Titel.

Kohl saß fünf Regierungen vor, und in jeder war Blüm der Bundesarbeitsminister. Nicht alles, was er in die Hand nahm, wurde zu Gold. Neben Rentenreformen und der Einführung der Pflegeversicherung gab es Initiativen, die wenig bis nichts brachten. Eines aber schaffte Blüm zum Ärger aller Sozialdemokraten: Er band viele sozial und humanistisch geprägte Wähler an die Kohl-CDU. Blüm lockte die an, die Kohl nie erreicht hätte. Und das nicht nur mit sozialen Positionen. Immer wieder zeigte er auch anderswo Herz, engagierte sich für notleidende Palästinenser oder demonstrierte an der Seite des Polen Lech Wałęsa.

So sehr er sich engagierte, so bitter wurden seine Abschiede, von Kohl wie von der CDU, wie er sie geprägt hatte. Als im Herbst 1999 der Spendenskandal ans Licht kam, brach Blüm unter Tränen mit seinem Weggefährten. Ähnlich schmerzhaft verlief 2003 der Leipziger CDU-Parteitag. Einsam und allein argumentierte er dort gegen die Einführung einer Kopfpauschale im Gesundheitswesen - und erntete von den gut Tausend Delegierten nicht Beifall, sondern Buhrufe.

Immerhin, die Kopfpauschale kam nie. Und mit Angela Merkel versöhnte er sich spätestens 2015. Bis zuletzt verteidigte Blüm ihren Kurs in der Flüchtlingskrise. Am Freitag meldete sich Merkel zu Wort. Mit "großer Betroffenheit" habe sie von Blüms Tod erfahren. Er bleibe als eine Persönlichkeit in Erinnerung, die den Menschen stets nahe war. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte, sein Tod hinterlasse eine große Lücke. Blüm sei "einer der Gründe gewesen, warum ich in die CDU eingetreten bin". Sie wird nicht die Einzige sein, für die das bis heute gilt.

© SZ vom 25.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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