Sozialkassen:Komplexe 75 Minuten

Die "Soka Bau" finanzieren Urlaub, Ausbildung, Zusatzrenten. Nach einer Gerichtsentscheidung ist all das nun in Gefahr. Die Große Koalition will das Konstrukt retten, und Experten unterstützen sie dabei.

711 Seiten hat der Gesetzentwurf. Zwölf Sachverständige hat der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales eingeladen, dazu Stellung zu nehmen. Und für das alles war eine einzige Stunde angesetzt. Immerhin wurden es am Ende doch 75 Minuten, bis die Vorsitzende Kerstin Griese (SPD) die Sitzung schloss und eine schöne Woche wünschte. Die Materie ist komplex.

Die Sozialkassen Bau (Soka Bau) finanzieren Urlaub, Ausbildung und Zusatzrenten am Bau. Grundlage dafür ist ein spezieller Tarifvertrag. Jenen erklärte das Arbeitsministerium seit jeher für allgemein verbindlich, sodass er auch für Betriebe ohne Tarifbindung galt. Bis das Bundesarbeitsgericht (BAG) im September die Vorgehensweise des Ministeriums für ungültig erklärte - eine Entscheidung, "die möglicherweise die Soka Bau in ihrer Existenz bedroht", wie der Passauer Arbeitsrecht-Professor Frank Bayreuther im Ausschuss sagte. Das sah auch der Vertreter der Finanzaufsicht (Bafin) so. Weshalb die beiden wie fast alle geladenen Experten das ungewöhnliche Vorhaben unterstützten, mit dem die große Koalition nun die Soka Bau retten will: in dem sie die bisherigen Tarifverträge kurzerhand zum Gesetz erklärt - und so das Urteil des BAG aushebelt. Dieses Vorgehen sei "gut und richtig", sagte ein anderer Professor, Ulrich Preis aus Köln. Die Soka Bau sei "ein Geschenk des Sozialstaats".

Lediglich der Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH) hält davon nichts. Er hatte vor dem BAG zu den Klägern gehört. Seine Sorge: Wenn ein Elektrobetrieb beispielsweise einen Bagger anschaffe und ein Loch aushebe, um anschließend Leitungen im Boden zu verlegen, komme gleich die Soka Bau und verlange Beiträge. Denn über den Baggerfahrer werde der Elektro- zum Baubetrieb. Die Politik der Tarifparteien im Baugewerbe sei so: "Alles im Leben ist Bau, und was nicht Bau ist, bestimmen immer noch wir", sagte Herbert Brichta vom ZVEH. Der Verband sah im Urteil des Bundesarbeitsgerichts die Chance, Geld von der Soka Bau zurückzuverlangen - und genau dies bringt die Kasse nach Meinung der Koalition und ihrer Unterstützer in Existenznot.

Für die Zukunft zeichnet sich jedoch möglicherweise Entspannung ab. Nach Angaben der IG Bau einigten sich diese Gewerkschaft und die Bau-Arbeitgeber mit vier anderen Handwerksverbänden, darunter dem ZVEH, auf eine Vereinbarung. Sie alle wollen künftig klar definieren, wer ein Baubetrieb ist und wer nicht. Diese Definition soll Grundlage des nächsten Tarifvertrags zur Soka Bau werden - den dann das Arbeitsministerium wieder für allgemein verbindlich erklären soll.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: