Wahl in Frankreich:Was von Frankreichs Sozialisten übrig bleibt

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Manuel Valls, Arnaud Montebourg und Benoît Hamon (von links nach rechts) von der Parti socialiste. (Foto: Gerard Julien/AFP)
  • Nach dem Misserfolg ihres Kandidaten Hamon bei der Wahl steht die französische Parti socialiste vor der Zerreißprobe.
  • Etliche Minister und Abgeordnete sind bereits zur Partei des Siegers Macron abgewandert. Ein Krisenmanager fehlt.
  • Für einen Neuanfang brauchen die Sozialisten eine einigende Figur an der Spitze - und müssen die Reste des "Hollandisme" beseitigen.

Von Joseph Hanimann

Für Frankreichs Bürgerliche ist es jetzt, zwei Wochen vor der Stichwahl, eigentlich einfach. Sie können Emmanuel Macrons doppelte Negativformel "weder links noch rechts" auf das einfache Negativum "nicht rechts" kürzen; also nicht für Marine Le Pen stimmen, sondern für Macron. Die Situation für die Linken sieht komplizierter aus. Für sie bedeutet der junge Eindringling aus den eigenen Reihen eine Zerreißprobe, mag die Parteiführung am Montag auch geschlossen zur Stimmabgabe für ihn aufgerufen haben.

Den Sozialisten droht eher die Auszehrung als die Implosion

Die Bruchlinie zwischen Reform- und Prinzipiensozialismus durchzog praktisch die ganze Amtszeit François Hollandes und trat unter dem reformistischen Premierminister Manuel Valls offen zu Tage, als Minister wie Benoît Hamon und Arnaud Montebourg zurücktraten und "Frondeurs" im Parlament gegen den Regierungskurs rumorten. Valls hatte die Ernennung von Hollandes Wirtschaftsberater Macron betrieben mit dem Ziel, die Reformer zu stärken und das brillante Nachwuchstalent für seine eigenen Pläne einzuspannen. Das Zugpferd ist ihm aus den Zügeln gelaufen und davongaloppiert. Für den ehemaligen Premier bliebe unter einem Präsidenten Macron außer Gefolgschaft nicht viel Handlungsspielraum. Und innerhalb der Partei findet er, der statt für den Genossen Hamon für Macron warb, nicht mehr viel Gehör.

Aber das ist vielleicht das geringste Problem: Die Frage ist, wie viel von Frankreichs Parti socialiste überhaupt übrig bleiben wird. Der Sog von Ministern und Abgeordneten hin zu Macrons Bewegung En Marche! hat schon begonnen. Er wird sich vor den Parlamentswahlen im Juni beschleunigen. Einige Leuchtgestalten aus der nicht sonderlich glanzvollen Ära Hollande haben sich bereits auf die Seite Macrons geschlagen wie etwa Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian. Zur Mitte hin wird also das Terrain für eine eigenständige Linke unter dem Banner der Sozialdemokratie eng sein. Nicht weniger schwierig sieht es aber auf dem linken Flügel aus.

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Der abgeschlagene sozialistische Kandidat Hamon wird nicht als Krisenmanager antreten können. Den Sozialisten droht eher die Auszehrung als eine Implosion - denn für die haben sie nicht einmal mehr die nötige Energie. Von links außen drückt die Bewegung der "France insoumise" von Jean-Luc Mélenchon. Der hat zwar sein Ziel, in die Endwahl zu kommen, verfehlt und will wohl nach 2012 und 2017 in fünf Jahren nicht zum dritten Mal antreten. Doch er hat nun dreimal mehr Stimmen bekommen als der offizielle Kandidat der Sozialisten.

Nun dürfte er alles daran setzen, aus den Rest-Kommunisten, den abtrünnigen Sozialisten und sonstigen Sympathisanten eine parlamentarische Kraft der linken Opposition auf die Beine zu stellen und auch außerparlamentarisch Druck zu machen. "Résistance!" lautete der Schlachtruf am Wahlabend in seinem Hauptquartier. Und wie zur Vorwarnung rief Mélenchon, im Unterschied zu der ihn unterstützenden kommunistischen Partei, für die Stichwahl nicht ausdrücklich zur Stimmabgabe für Macron auf.

Und so befindet sich Frankreichs Linke heute in einer Situation, die sie partout vermeiden wollte. Sie ist versprengt und führungslos. Der Aufruf von Politikern und Intellektuellen vor mehr als einem Jahr, unter ihnen Daniel Cohn-Bendit, durch eine gemeinsame Vorwahl von ganz links bis tief ins Zentrum, einschließlich der Grünen, einen einzigen Kandidaten zu küren, blieb folgenlos. Der Frust über das Erbe Hollandes war zu groß, jeder wollte den anderen überbieten an Distanzierung.

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Dies alles liegt indes nicht am Nachlass Hollandes allein. Hinter vorgehaltener Hand geben manche sogar zu, der unglückliche Präsident sei unter ähnlichen Umständen aus dem Élysée getrieben worden wie Ludwig XVI. einst aus dem Schloss von Versailles: durch einen nicht unklugen, aber vom Volk unverstandenen Versuch eines Reformprozesses - nur dass der Präsident schlau genug war, sich nicht auf die Guillotine binden zu lassen. Wenn Macron die Stichwahl gewinnt, wird die französische Linke ihren Schwerpunkt weiter nach links verschieben, mehr oder weniger weit - je nach Kurs und Geschick der künftigen Regierung.

Der sozialistische Parteisekretär Jean-Christophe Cambadélis, der weder den machtstrategischen Leerlauf noch das intellektuelle Ausdörren verhindern konnte, wird beim nächsten Kongress irgendwann im Herbst seinem Nachfolger die Konkursmasse der Partei übergeben. Und es sieht gegenwärtig noch nicht einmal so aus, als würden dann die Fetzen fliegen. Die Masse ist schon ziemlich klein. Viele trösten sich mit der Hoffnung, aus der Asche möge der Phönix einer neuen Partei erstehen, unter dem alten Namen oder einem neuen, suggestiveren, vielleicht unverbindlichen.

Eine neue, mögliche Führungsfigur wäre Anne Hidalgo

So wenig bonapartistische Disziplin die gemäßigte Linke traditionell in ihrem Blut haben mag, es wird für einen Neuanfang dennoch eine einigende Figur nötig sein. Die radikalere, jakobinische Tradition der französischen Linken sah immer wieder charismatische Persönlichkeiten mit Rednertalent auftauchen wie in den vergangenen Jahren Mélenchon.

Seit François Mitterrand und seinem widerspenstigen Erben Lionel Jospin hat aber niemand mehr die beiden Traditionen verbinden können. Das taktische Talent Hollandes hat diese Situation lange übertüncht. Doch es gibt neue, mögliche Führungspersönlichkeiten. Die Pariser Oberbürgermeisterin Anne Hidalgo etwa, seit drei Jahren an der Spitze einer sozialistisch-grünen Koalition, hat wiederholt Prinzipientreue, Durchsetzungskraft und machtpolitisches Gespür bewiesen. Vor dem Neuanfang indes müssten noch ein paar Restposten des "Hollandisme" beiseitegeräumt werden.

© SZ vom 25.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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