Frankreich:Sozialist gewinnt gegen Rechtsextreme

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Ein Küsschen für den knappen Sieger: Ein Anhänger der Sozialistischen Partei umhalst seinen Kandidaten Frédéric Barbier.

(Foto: Sebastien Bozon/AFP)
  • Im ostfranzösischen Département Doubs hat bei einer Nachwahl zur Nationalversammlung der Kandidat der Sozialisten (PS) nur knapp gegen die Kandidatin des rechtsextremen Front National (FN) gewonnen.
  • Die Wahl gilt als Gradmesser für ganz Frankreich. Doubs ist ein idealer Nährboden für die Rechtsextremen, die Gegend ist besonders von Arbeitslosigkeit betroffen.
  • Vorangegangen waren Appelle der Sozialisten an UMP-Wähler, für den Kandidaten der Sozialisten zu stimmen und damit die FN-Kandidatin zu verhindern.
  • In Sarkozys konservativer UMP ist man uneins. Sarkozy stimmt mit der Anti-FN-Strategie der Sozialisten überein. Seine Partei überstimmte ihn jedoch und gab stattdessen die Losung an ihre Mitglieder aus, sich bei solchen Wahlen zu enthalten.

Von Christian Wernicke, Paris

In einem Kopf-an-Kopf-Rennen haben Frankreichs Sozialisten (PS) bei einer Nachwahl zur Nationalversammlung am Sonntagabend einen knappen Sieg über den Front National (FN) errungen. Der Kandidat der Regierungspartei Frédéric Barbier kam auf 51,4 Prozent der Stimmen. Die Stichwahl im ostfranzösischen Département Doubs darf als gleich doppelter nationaler Trendsetter gedeutet werden: Die rechtsextreme Le-Pen-Partei scheint trotz der Niederlage weiterhin auf dem Vormarsch - und die regierenden Sozialisten dürfen auf etwas Aufwind hoffen. Nur der Verlierer stand bereits vor Sonntag fest: Nicolas Sarkozy, der Ex-Präsident und wiedergekehrte Chef der Oppositionspartei UMP, hatte Frankreichs bürgerliche Rechte ins Abseits geführt.

In einer ersten Reaktion bedankte sich Wahlsieger Barbier auch bei Anhängern der Rechten und des politischen Zentrums für ihre Stimmen. Barbier hatte sich in den vergangenen Tagen ausdrücklich als "republikanischer Kandidat" und nicht mehr als PS-Bewerber präsentiert. Seine Gegnerin, die FN-Kandidatin Sylvie Montel, räumte ihre Niederlage ein, sprach aber dennoch von einem Erfolg. Ihre Partei habe "gegen das System von Sozialisten und UMP" nur knapp verloren. Die Nachwahl sei ein erneuter Beweis, dass in Frankreich nun drei große Parteien um die Macht kämpften.

Ein Grund für das Ergebnis war offenbar, dass diesmal mehr Bürger ihre Stimme abgaben als vor einer Woche: Fast 33 000 der etwa 67 000 Wahlberechtigten - 6400 mehr als beim ersten Wahlgang - bemühten sich an die Urnen, darunter offenbar viele Linkswähler. Vorigen Sonntag war die FN-Kandidatin Montel, eine Vertraute von Parteichefin Marine Le Pen, mit fast 33 Prozent der Stimmen vier Prozentpunkte vor dem Sozialisten Barbier gelegen.

Idealer Nährboden für die rechtsextreme Partei

Der UMP-Kandidat war nur auf den dritten Platz gekommen, er schied aus. Das Départment Doubs gilt als idealer Nährboden für die rechtspopulistische Partei. Die Gegend lebt - und stirbt - mit dem Peugeot-Werk im nahen Sochaux. Früher bot die Autofabrik mehr als 40 000 Menschen Lohn und Brot, heute arbeiten dort noch 10 000. Le Doubs droht zur Industriebrache zu verkommen, viele machen Europa für den Niedergang verantwortlich. Zudem ging es am Sonntag um das Erbe von Pierre Moscovici, Frankreichs EU-Kommissar: Der Weggang des Sozialisten nach Brüssel hatte die Nachwahl nötig gemacht. Ein Grund mehr für Sophie Montel, das Votum zu einem "Referendum gegen Europa" zu verklären. Zudem warb sie für sich, indem sie nach den Anschlägen von Paris auf Flugblättern "die islamistische Gefahr" ausmalte.

Die Sozialisten, 2014 in jeder Wahl gebeutelt, hatten es schon als Erfolg bejubelt, dass ihr Kandidat überhaupt in den zweiten Wahlgang gelangt war. Parteichef Jean-Christophe Cambadélis räumte am Sonntagabend ein, die Nachwahl bestätige "die Gefahr, dass der reaktionäre Block 2017 die Präsidentschaftswahl gewinnen kann". Wahlanalysten deuteten den PS-Sieg als Anerkennung dafür, wie Präsident François Hollande und sein Premier Manuel Valls nach den Attentaten vom Januar die Nation durch Krise und Trauer geführt hatten. Wahlhelfer in Doubs berichteten am Sonntag, erst seit wenigen Wochen sei die traditionelle PS-Klientel "überhaupt wieder ansprechbar".

Vor dem zweiten Wahlgang hatten Valls wie Hollande versucht, die Genossen in Doubs zu mobilisieren. Insofern können sie sich den knappen Sieg vom Sonntag auch selbst gutschreiben. Der Premier war zweimal in die Region gereist, am Fließband des Peugeot-Werks mahnte er die Arbeiter: "Diese Wahl ist zu einer nationalen Herausforderung geworden, das ganze Land und Europa schauen auf Euch!" Präsident Hollande nutzte seine Pressekonferenz, um daran zu erinnern, dass die lokale FN-Kandidatin Montel sich vor 19 Jahren einmal ausdrücklich zur "Ungleichheit der Rassen" bekannt hatte.

Den "Geist des 11. Januar" beschwören

Die Appelle zielten nicht nur auf das linke Lager. Mehr noch versuchten Hollande und Valls, Anhänger der oppositionellen UMP auf ihre Seite zu ziehen. Beide beschworen den "Geist des 11. Januar", also den Moment nationaler Einheit bei den Massendemonstrationen gegen den Terror. Und Hollande erinnerte daran, dass er vor 13 Jahren vor einer viel heikleren Stichwahl "nicht eine Sekunde gezögert" habe, seine Genossen zur Stimmabgabe gegen den Front National aufzurufen: Das war 2002, als die Linke geschlossen für den Konservativen Jacques Chirac votierte, um FN-Gründer Jean-Marie Le Pen den Weg in den Élysée-Palast zu versperren.

Die UMP, so verlangten Valls und Hollande, solle nun Gleiches tun und zur PS-Wahl aufrufen. Doch die Frage nach dem rechten Umgang mit dem rechtsextremen FN spaltete vorige Woche die UMP-Parteiführung - und blamierte öffentlich Sarkozy, den erst im November gekürten Parteichef. Zwar sprach sich Sarkozy, zur Überraschung vieler Parteifreunde, deutlicher als bisher für eine Abgrenzung gegenüber dem Front aus. Der Ex-Präsident wollte per Vorstandsbeschluss ein Votum für den FN missbilligen, derweil eine Stimmabgabe für den PS toleriert würde. Doch eine knappe Mehrheit im UMP-Vorstand stellte sich gegen Sarkozy.

Zudem sickerte durch, warum er nicht schon gleich am Montag nach dem ersten Wahlgang in Doubs ein Machtwort gesprochen hatte: Da weilte Sarkozy nicht in der UMP-Zentrale - sondern in Abu Dhabi, um vor Investoren einen mit mutmaßlich 100 000 Euro dotierten Gastvortrag zu halten.

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