Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zählt zu den umstrittensten Vorhaben der großen Koalition. Viele Juristen, Verbände und Nutzer sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr und warnen vor staatlicher Zensur. Nach einer dreimonatigen Übergangsfrist gilt das NetzDG nun endgültig von Jahresbeginn an. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was will die Regierung mit dem NetzDG erreichen?
Das Gesetz soll soziale Medien wie Facebook dazu bringen, rechtswidrige Inhalte zuverlässiger zu entfernen. Seit Jahren drängt Justizminister Heiko Maas (SPD) die Unternehmen, konsequenter durchzugreifen. Doch Arbeitsgruppen und Task-Forces haben nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Wenn die Plattformen sich nicht an die Vorschriften halten, drohen Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro - allerdings nur bei "systemischen Mängeln", nicht bei einzelnen Verzögerungen oder Fehlentscheidungen.
Für wen gilt das NetzDG?
Auf Anfrage nennt das Bundesjustizministerium keine Namen einzelner Unternehmen. Das Gesetz betrifft soziale Netzwerke, die in Deutschland mindestens zwei Millionen registrierte Nutzer haben. Im Einzelfall müsse das Bundesamt für Justiz ermitteln, welche Anbieter das seien. Facebook, Youtube, Instagram, Twitter und Snapchat gehören auf jeden Fall dazu, vermutlich auch Pinterest. Berufliche Netzwerke wie Linkedin und Xing sind ausgeschlossen, ebenso journalistische Plattformen und Messenger wie Whatsapp.
Welche Pflichten legt das neue Gesetz den Anbietern auf?
Wenn Nutzer Beiträge melden, weil sie diese für strafbar halten, müssen Plattformen "offensichtlich rechtswidrige Inhalte" in 24 Stunden entfernen. Für "rechtswidrige Inhalte" gilt eine Frist von sieben Tagen.
Und was heißt das nun genau?
"Ein Inhalt ist offensichtlich strafbar, wenn zur Feststellung der Strafbarkeit keine vertiefte Prüfung erforderlich ist", sagt eine Sprecherin des Justizministeriums. Wer entscheidet, ob eine vertiefte Prüfung erforderlich war oder nicht, bleibt unklar. Das Gesetz umfasst 20 Strafrechtsparagrafen, von Beleidigung und Blasphemie über Bildung terroristischer Vereinigungen bis zu Volksverhetzung und Verbreitung von Kinderpornografie. Außerdem zwingt das NetzDG die betroffenen Unternehmen zu mehr Transparenz. Sie müssen offenlegen, wie viele Meldungen sie aufgrund welches Straftatbestandes erhalten, wie schnell sie reagieren und wie viele der beanstandeten Beiträge sie löschen.
Wie können Beiträge gemeldet werden?
Das NetzDG verlangt ein "leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares und ständig verfügbares Verfahren". Wie das im Einzelfall aussieht, bleibt den Anbietern überlassen. Wichtig ist nur, dass es von allen Menschen genutzt werden kann und keine Mitgliedschaft beim jeweiligen Netzwerk erforderlich sein darf. Wer etwa bei Facebook strafbare Inhalte melden will, muss dafür eine eigene Unterseite in Facebooks Hilfebereich aufrufen, dort die Adresse des Beitrags einfügen und einen Screenshot des Beitrags anhängen. Anschließend wählt der Meldende aus 20 Straftatbeständen aus. Unklar bleibt, wie normale Nutzer eine Straftat genau zuordnen können. Facebook empfiehlt, einen Anwalt zu konsultieren.
Was passiert, wenn Nutzer fälschlicherweise Inhalte melden?
Niemand müsse Sanktionen befürchten, wenn er legale Inhalte als strafbar meldet, sagt eine Sprecherin des Justizministeriums. Im Umkehrschluss bedeutet das: Es gibt keine Maßnahmen, um Missbrauch vorzubeugen. Wer weiß, wie sich Linke und Rechte bereits jetzt "Meldeschlachten" liefern und sich gegenseitig anzeigen, ahnt, dass sie das NetzDG nutzen werden, um der Gegenseite zu schaden. Im Zweifel gilt: Viel hilft viel, irgendein Facebook-Mitarbeiter wird früher oder später schon auf "Löschen" klicken. Angesichts der Masse der Beschwerden sind Fehler unausweichlich. Facebook sagt nur, dass es sich auf "Herausforderungen" einstelle, die mit dem Netzgesetz verbunden seien.
Wie prüfen die Netzwerke die Inhalte?
Das schreibt das neue Gesetz nicht vor. Es zählt das Ergebnis, nicht das Vorgehen. Facebook wird auf bestehende Strukturen zurückgreifen. In Berlin und Essen arbeiten bei Drittfirmen mehr als tausend Content-Moderatoren, die im Auftrag von Facebook Inhalte prüfen und löschen. Sie sollen von festangestellten Facebook-Mitarbeitern unterstützt werden, die meist besser geschult sind als die oft nur notdürftig qualifizierten Content-Moderatoren. Immer wieder begehen die Lösch-Teams Fehler, zensieren legale Inhalte oder sperren unschuldige Nutzer.
Was sind die Kritikpunkte am NetzDG?
Nach Ansicht zahlreicher Experten könnte das Gesetz gegen die Verfassung verstoßen. Diese Ansicht äußerten Sachverständige bei Anhörungen im Bundestag, darunter Juristen, die Branchenverbände Eco und Bitkom, Reporter ohne Grenzen und der Deutsche Journalistenverband. "Mit dem Netzgesetz verletzt der Staat seine Pflicht zur Neutralität im Meinungswettbewerb. Das berührt eine ganz wesentliche Grundlage unserer Demokratie", sagt Rechtsanwalt Simon Assion vom Deutschen Anwaltverein. "Es ist durchaus möglich, dass die Staatsspitze direkten Einfluss nimmt. Das Bundesjustizministerium hat Zugriff darauf, wie soziale Netzwerke ihre Löschmechanismen umsetzen." Ein weiterer Kritikpunkt sind die kurzen Löschfristen, die keine angemessene Prüfung ermöglichten. Soziale Netzwerke könnten aus Angst vor Bußgeldern zu viele Inhalte löschen. Das Gesetz sieht Bußgelder nur für Netzwerke vor, die rechtswidrige Inhalte stehen lassen. Im Zweifel dürften sich Anbieter also fürs Löschen entscheiden.