Süddeutsche Zeitung

Soziale Medien:Gezielte Desinformation

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Twitter und Facebook sperren gefälschte chinesische Konten. Über sie versuchte Peking offenbar, die Protestbewegung in Hongkong zu diffamieren - vor allem bei Auslandschinesen.

Von Jannis Brühl, München

Gummigeschosse und Tränengaskanister fliegen auf Hongkongs Straßen seit Wochen immer wieder. Auf Facebook und Twitter wirkt die Lage noch ein bisschen brutaler. In Beiträgen auf den sozialen Netzwerken wurden Demonstranten mit Terroristen des "Islamischen Staates" gleichgesetzt, als Kakerlaken dargestellt und Bilder von augenscheinlichen Randalierern mit Masken verbreitet. Die Beiträge wirken, als sollten sie den Eindruck eines Bürgerkriegs in Hongkong schüren, und Unterstützung für die Regierungsgegner in Chinas Sonderverwaltungszone untergraben. Dass in sozialen Medien dieser Eindruck entsteht, ist laut Twitter und Facebook Ziel einer Desinformationskampagne, die von Festlandchina aus gesteuert wurde. Es ist das erste Mal, dass die Experten der US-amerikanischen Unternehmen dem chinesischen Staat eine groß angelegte, sogenannte Informationsoperation zuordnen. Das Wort aus der Militärsprache verwenden die digitalen Forensiker von Facebook und Twitter für verdeckte Versuche, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Bislang wurden derartige Kampagnen eher Russland oder Iran zugeschrieben.

Neben den 936 besonders aktiven Propaganda-Konten seien weitere 200 000 Spam-Konten vorsorglich gesperrt worden, bevor sie "substantiell aktiv" werden konnten, erklärte Twitter. Das Unternehmen führt eher technische Vergehen der nun gesperrten Konten an, darunter "Koordinierte Aktivität", "Fake-Konten" und "Spam". So kommt Twitter darum herum, zum Inhalt der Beiträge Stellung zu beziehen. Politische Meinungsäußerungen sind insbesondere auf Twitter für viele Beiträge verantwortlich, die massenhaft Daten generieren und sich vermarkten lassen.

In ellenlangen Tabellen veröffentlichte Twitter auch eine Liste der gesperrten Konten und ihrer Beiträge. Viele Konten haben Tausende Follower, welche die Botschaften erhalten, und bestehen seit 2009. Das könnte auf ein über einen langen Zeitraum aufgebautes, gepflegtes Propaganda-Netzwerk hindeuten. Allerdings können Konten auch jederzeit einfach gekauft werden.

Die Kampagne richtet sich an Chinesen, die im Ausland leben. Im Inland ist Twitter gesperrt

Der Datensatz macht den Eindruck eines zusammengestückelten Spam-Netzwerkes: Einige der entfernten Konten geben sich als Porno-Accounts aus, andere als persönliche Konten Hongkonger Bürger oder IT-Experten aus den USA. In mindestens einem Beitrag wird insinuiert, die Regierungsgegner seien vom Ausland gesteuert. Auf Facebook war die Kampagne wohl deutlich kleiner. Das Netzwerk hat nach eigenen Angaben lediglich fünf Konten, sieben Seiten und drei Gruppen entfernt. Insgesamt hätten diese mehr als 15 000 Follower gehabt.

Die Propaganda richtete sich in erster Linie an Auslandschinesen. Bewohner des Festlands bekommen sie nicht zu Gesicht, Twitter ist in China blockiert. Die staatlichen Propagandisten mussten demnach die Blockade ihres eigenen Staates technisch austricksen, um ihre Botschaften in die Welt zu senden. Twitter versperrt dem chinesischen Staat bald einen weiteren, weniger verborgenen Propagandakanal. Das Netzwerk gab bekannt, dass es künftig keine Werbeanzeigen mehr von staatlichen Medien annehme. Das würde zum Beispiel für Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua gelten. Mit Twitters Anzeigensystem lassen sich Beiträge auch an prominenter Stelle in den Nachrichtenstrom der Nutzer einspeisen.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2019
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