Sozialdemokratische Amtsübergabe:Schmidt folgte Brandt - Brown folgt Blair

Der Wechsel von Premierminister Blair zu Brown in Großbritannien erinnert an die Amtsübergabe von Bundeskanzler Brandt an Schmidt 1974 in Deutschland.

Denis MacShane

Ist Gordon Brown für Tony Blair, was Helmut Schmidt für Willy Brandt war? Der Vergleich ist verlockend. Brandt hatte einst die SPD neu erfunden, zusammen mit einem Modernisierer wie Helmut Schmidt. Blair und Brown haben das Gleiche getan, als sie New Labour schufen.

Gordon Brown

Pfarrerssohn mit moralisch geprägtem Engagement: Labour-Chef Gordon Brown

(Foto: Foto: dpa)

Blair hatte wie Brandt seine Partei aus der Wildnis der Opposition geführt und zur erfolgreichen Regierungspartei gemacht. Und wie Brandt wurde auch Blair gehasst von jenen, die in Frankreich "la gauche de la gauche" genannt werden, den Linken der Linken, jenen also, die seinen Transatlantismus unerträglich fanden.

Brown kommt aus dem Norden, genau wie Schmidt. Er ist wirtschaftsfreundlich. Sozialdemokratisch sein bedeutet für ihn: Schaffe Wohlstand, der auf freiem Handel basiert. Reiße protektionistische Hürden ein.

Nutze die höheren Steuereinnahmen, die einem Staat zufließen, wenn es Vollbeschäftigung gibt und die Unternehmen profitabel sind, um die sozialen Investitionen zu erhöhen. Aber glaube bloß nicht (wie es die französischen Sozialisten tun), dass es soziale Politik ohne gesunde Wirtschaft geben kann, oder ohne einen rigoros geführten Etat.

Browns Modell

In seiner ersten Wahlperiode als Abgeordneter in den 1980er Jahren stand Brown der deutschen SPD sehr nahe. Er war ein großer Bewunderer des damals sehr erfolgreichen Modells der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Er war der junge Anführer des europafreundlichen Flügels der Labour Party, zu einer Zeit, als große Teile der Partei von Europa-Skepsis gepackt waren.

Als Labour im Jahr 1997 an die Macht kam, überließ Blair das Management der britischen Wirtschaft dem Schatzkanzler Brown. In dessen zehn Jahren sind in Großbritannien drei Millionen neue Jobs und 700.000 neue Unternehmen entstanden. Die Reichen sind reicher geworden, und die Armen weniger arm.

Brown hat eine negative Einkommensteuer eingeführt. Falls ein britischer Arbeiter ein Gehalt bekommt, das nicht seinen sozialen Bedürfnissen entspricht, erhält er eine direkte Zahlung über das Steuersystem. Zusammen mit dem Mindestlohn ergibt das eine bedeutende Umverteilung von Volkseinkommen an ärmere Menschen.

Browns Politik hat es möglich gemacht, 85.000 neue Krankenschwestern und 30.000 neue Ärzte einzustellen. Jede Schule in Großbritannien wurde bereits modernisiert oder wird es demnächst. Diese sozialen Investitionen gehen Hand in Hand mit einer klar wirtschaftsfreundlichen Politik, die auf der Kürzung von Körperschaft- und Einkommensteuer fußt.

Dies hat Labour drei Wahlsiege beschert, trotz des unpopulären Irakkriegs. Die neuesten Umfragen zeigen, dass Brown und Labour die Konservativen wieder einmal überholt haben.

Schritt-für-Schritt-Methode

Wie alle Labour-Abgeordneten, die 1997 an die Macht gekommen sind, hoffte auch Brown, dass die großen EU-Staaten, allen voran Frankreich und Deutschland, eine Politik einschlagen würden, die Wachstum und Arbeitsplätze zurückbringen würde. Doch das geschah nicht.

Mit Bestürzung schaute Labour auf das Versagen von Frankreich und Deutschland, Ideologie und Politik zu modernisieren. Nach Meinung Browns war die deutsch-französische Bilanz in Sachen Jobs, Innovation und Wohlstand ausgesprochen schwach, verglichen mit Großbritannien oder Amerika.

Inzwischen sehen die Dinge deutlich besser aus. Das Wachstum in Europa ist höher als in den USA, und es entstehen hier auch mehr als Arbeitsplätze als dort. Falls dieser Schwung beibehalten wird und Europa sich darauf einigt, weniger Geld für Agrar-Protektionismus und mehr für Hochschulen und Forschung auszugeben, dann wird auch Browns frühere Zuneigung zu Europa wieder erblühen.

Wie Frau Merkel ist er der Sohn eines Pfarrers. Sein Engagement ist moralisch geprägt. Der sozialdemokratische österreichische Kanzler Alfred Gusenbauer glaubt, dass Blair Großbritannien nach links gerückt habe.

Brown, mit seiner systematischen Schritt-für-Schritt-Methode, wird Großbritannien in die Richtung einer Sozialdemokratie des 21. Jahrhunderts bringen. Seine Außenpolitik wird vom Willen getragen sein, Gutes zu tun und Probleme wie Armut, Analphabetismus und Aids in Afrika anzupacken.

Gastgeber von Frühstücks-Seminaren

Brown ist ein Intellektueller. Mit 22 Jahren erhielt er den Doktortitel für eine Arbeit über die frühe Geschichte der Labour Party. Er verschlingt Bücher. Er verbringt seinen Urlaub in den USA, wo er Tennis auf Cape Cod spielt. Wenn er in Boston oder Washington ist, ersteht er kiloweise Bücher.

Sicherheitsbeamte, die nachts durch das Schatzamt patrouillierten, stießen in einer Ecke der Bibliothek nicht selten auf eine Gestalt, die über einem gewaltigen Papier- und Bücherstapel kauerte. Er schreibt ohne Ende. Fast jede Woche war er Gastgeber eines Frühstücks-Seminars für Intellektuelle und Professoren.

Auf Konferenzen läuft er mit dem Notizbuch von Gruppe zu Gruppe, fragt nach Ideen und diskutiert, wie man diese in eine Politik umsetzen kann, die die Wähler gewinnt und nicht befremdet (wie es die Linke in den vergangenen Jahren in so vielen Ländern getan hat).

Als Schatzkanzler kultivierte Gordon Brown ein ernstes Image. Aber er ist witzig und ein guter Gesellschafter, vor allem, wenn er über schottische Fußballteams spricht. Er hat zwei Kinder unter fünf Jahren.

Seine erste Tochter wurde vor fünf Jahren geboren, sie starb zwei Wochen nach der Geburt. Die späte Vaterschaft und das Leben mit zwei kleinen Kindern, von denen eines an Mukoviszidose leidet, haben ihn weicher gemacht.

Gelöste Fesseln

Zehn Jahre lang hat er im Schatten von Blair gestanden. Jetzt sind ihm die Fesseln gelöst. Wie Schmidt nach Brandt, so wird auch Brown ein Regierungschef für sein Land sein, anstatt auf die Weltbühne zu drängen.

Brown, Merkel und Sarkozy sind alle Außenseiter, die es dank ihres Willens und ihres angeborenen Talents geschafft haben, an die Spitze ihrer Staaten zu kommen. Sie sind im selben Alter. Sie sind Europäer und Transatlantiker.

Können sie ein goldenes Dreieck bilden, um Europa und ihre Nationen voranzubringen? Können Brown und seine beiden europäischen Kollegen eine neue Ära der europäischen Geschichte formen? Kann Brown, der frühere Anführer des pro-europäischen Labour-Flügels, diese Jahre wiederentdecken?

Oder wird doch die Euroskepsis dominieren, die tief in die DNS der britischen Politiker eingedrungen ist? Die Antwort darauf wird die Zukunft von Großbritannien entscheiden, und die von Premierminister Brown.

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