Süddeutsche Zeitung

Sozialdemokraten:Vertraut mir

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Der angeschlagene SPD-Chef Martin Schulz kämpft um Rückhalt in seiner Partei. In der gibt es Unzufriedenheit - aber keine echte Alternative.

Von Peter Burghardt und Christoph Hickmann, Cuxhaven

Man wird ja bescheiden als oberster Sozialdemokrat. Und dankbar selbst für Zuneigung im kleinen Rahmen. Es gab eine Zeit, die ist noch gar nicht lange her, da war Martin Schulz als Präsident des Europäischen Parlaments auf internationalen Bühnen unterwegs, ehe er sich, wenn auch nur für kurze Zeit, in die umjubelte Hoffnung der SPD verwandelte. Es folgte der Niedergang, der am Wahlabend bei 20,5 Prozent endete. Nun, eineinhalb Wochen danach, betritt Martin Schulz an einem verregneten und windigen Abend eine schon etwas ältere Mehrzweckhalle im deutschen Nordwesten. Und freut sich, dass sich die Leute hier über ihn freuen.

Das vorwiegend ältere Publikum in der Kugelbake-Halle am Strand von Cuxhaven erhebt sich am Mittwochabend und klatscht rhythmisch. "Vielen Dank für den freundlichen Empfang", antwortet der Ehrengast, sein rheinischer Singsang hallt, Rührung liegt in der Stimme. "Vielen Dank für die Zeichen der Solidarität, das tut einem gut in schwierigen Zeiten." Es ist sein erster Auftritt im niedersächsischen Landtagswahlkampf seit dem Absturz. Und es ist auch Therapie, mitten im nächsten Wahlkampf, seinem fünften in diesem Jahr. Zumindest in Berlin fragen sich derzeit viele Genossen, ob es auch sein letzter als SPD-Chef sein könnte.

Denn längst nicht alle an der Parteispitze waren begeistert von Schulz' Ansage, er wolle Parteichef bleiben. Auch in der Bundestagsfraktion fragen sich viele, ob er der Richtige ist, um die SPD in den nächsten Jahren wieder nach oben zu führen - oder zumindest erst einmal den weiteren Abstieg zu verhindern. In der ersten Woche nach der Wahl sah Schulz dann, ob beim öffentlichen Auftritt oder bei Personalentscheidungen, nicht sehr glücklich aus. Und am vergangenen Wochenende kam noch jene Spiegel-Reportage hinzu, für die Schulz einem Reporter des Magazins monatelang Einblicke aus nächster Nähe gewährt hatte. Der gescheiterte Kandidat, der für sich stets in Anspruch genommen hatte, nicht taktisch motiviert zu handeln, erscheint darin als jemand, dessen Denken und Handeln von taktischen Erwägungen durchzogen ist - etwa wenn er während des Umfragehochs zu Beginn seiner Kampagne frohlockt: "Ich werd' nicht konkret! Da können die mir den Buckel runterrutschen." Mit "die" sind "die Schwarzen" gemeint - also die Unionsparteien, deren Kanzlerin Angela Merkel er dann später einen "Anschlag auf die Demokratie" vorwirft, weil sie sich im Wahlkampf auf kaum etwas festlegen und bloß nicht polarisieren will.

Trotz aller Unzufriedenheit - eine echte Alternative gibt es nicht zum gescheiterten Kandidaten

Doch trotz aller Unzufriedenheit dürfte sich vor der Wahl in Niedersachsen an der SPD-Spitze kaum noch Gravierendes tun. Niemand will sich vorwerfen lassen, mit Parteiquerelen den Wahlkampf von Ministerpräsident Stephan Weil gestört zu haben, der um seine Wiederwahl kämpft und zuletzt in Umfragen mit der zwischenzeitlich enteilten CDU praktisch gleichziehen konnte. Und nach der Wahl am übernächsten Sonntag? Selbst da ist noch nicht klar, ob etwas passiert. Schließlich müsste, falls Schulz nicht von selbst zurückzieht, irgendjemand die Unzufriedenheit artikulieren und den Vorsitz beanspruchen.

Aber wer? Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz würde sich das Amt wohl zutrauen und meldete auch gleich am Wahlabend intern zumindest leise Zweifel an Schulz' Ambitionen an. In der aktuellen Zeit mahnt er nun zur Zurückhaltung im Umgang mit der AfD. "Die permanente Debatte über rechtspopulistische Parteien ist der größte PR-Erfolg, den sie erzielen können", sagt er dort - was man als Kontrastprogramm zu Schulz lesen darf. Der hatte im Wahlkampf immer wieder ausgiebig auf die AfD eingedroschen, in der Hoffnung, eigene Anhänger zu mobilisieren.

Doch Olaf Scholz ist im Lauf seiner Karriere nicht gerade durch Risikofreude aufgefallen - und die Frage ist, welche Verbündeten er überhaupt hätte. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig etwa dürfte derzeit eher daran interessiert sein, dass Schulz zunächst bleibt und dann womöglich 2019 den Weg freimacht - wenn sie selbst so weit wäre. Auch der wahlkämpfende Ministerpräsident Weil könnte im Fall eines Erfolgs am übernächsten Sonntag noch einmal eigene Ambitionen entwickeln - weshalb auch er kein Interesse daran haben kann, dass Scholz Vorsitzender wird und es dann womöglich die nächsten Jahre bleibt. Weil hat zuletzt mehrfach erklärt, dass Schulz seine Unterstützung habe.

An der Basis jedenfalls, auch das zeigt sich in Cuxhaven, ist Schulz weiterhin ziemlich beliebt. Und wenn Stephan Weil am 15. Oktober die Landtagswahl gewinnen sollte, würde das auch Schulz weiter stabilisieren. Die jüngsten, für die SPD erfreulichen Umfragen nennt der Parteichef in Cuxhaven "eine Ermutigung".

Er kann sie gebrauchen, schließlich ist seine eigene Niederlage noch frisch. "Da bist du erst mal down", berichtet Schulz in seiner knapp zwanzig Minuten langen Rede. "Du hast den Niederschlag einzustecken." Er macht aber auch klar, dass er offenbar keinen Grund sieht, nun gleich alles in Frage zu stellen - schließlich, sagt er, sei die Partei "programmatisch und organisatorisch gut genug aufgestellt".

Die Strecke bis zum Parteitag im Dezember ist lang. Doch was Schulz in Cuxhaven abliefert, klingt alles in allem wie ein Appell an die Partei, ihm zu vertrauen. Trotz allem.

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Quelle:
SZ vom 06.10.2017
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